"Körper und Seele" im Kino:Eine der schönsten Liebesgeschichten seit Langem

Kinostart - 'Körper und Seele'

Zwei Versehrte, die sich begegnen: Maria (Alexandra Borbely) und Endre (Geza Morcsanyi).

(Foto: dpa)

In ihrem Berlinale-Gewinner "Körper und Seele" studiert Ildikó Enyedi den Menschen unter Schlachthof-Bedingungen - und erzählt von der zarten Liebe zweier Versehrter.

Von Martina Knoben

Schlachthäuser sind gewöhnlich Orte für Horrorfilme. Die Tötungsgeräte dort, die Kälte, die blanken Wände, von denen sich Blut leicht abwischen lässt, haben schon manchen Serienkillerfilm inspiriert. Und auch den Dokumentaristen bietet das industrialisierte Töten starke Bilder, die fast immer in Anklagen münden: Wenn Rinder brüllend zur Schlachtbank geführt werden, sie unter dem Bolzenschuss zusammenbrechen und mit riesigen Sägen und Zangen zerteilt werden, wird jeder Zuschauer, und sei es nur für Sekunden, zum Vegetarier.

In Ildikó Enyedis "Körper und Seele" entwickelt sich in einem Schlachthof eine sehr, sehr zarte Liebesgeschichte. Es ist eine der schönsten, die das Kino seit Langem gesehen hat. Die ungarische Regisseurin bekam dafür in diesem Jahr den Goldenen Bären der Berlinale. Es sind zwei Versehrte, die sich hier begegnen: Endre (Géza Morcsányi), der Finanzdirektor des Schlachthofs, fühlt sich zu alt und hat einen gelähmten Arm, der schlaff herunterhängt, als Zeichen auch für seine gelähmte Männlichkeit. Maria (Alexandra Borbély), die neue Qualitätskontrolleurin des Betriebs, ist vermutlich Autistin; sie wirkt kühl und roboterhaft, Reden und Zusammensein mit anderen fallen ihr schwer.

Dass diese beiden Menschen zueinanderfinden, ist also eher unwahrscheinlich. Aber wie in "Mein 20. Jahrhundert", Ildikó Enyedis viel beachtetem Debüt, für das sie 1989 in Cannes den Preis für den besten Nachwuchsfilm bekam, ist es das scheinbar Unvereinbare, das bei ihr zusammengehört. Damals waren das ein Zwillingspaar, eine (Polit)heilige und eine Hure. Hier sind es Körper und Seele, Mann und Frau, das Helle und das Dunkle, Mensch und Tier. Gleichmacherei ist das nicht, vielmehr ein Plädoyer dafür, das andere zuzulassen. In einem Land wie Ungarn mit seiner restriktiven Flüchtlingspolitik lässt sich das natürlich politisch verstehen.

Tiere sind hier handelnde und fühlende Subjekte. Sie verdienen Respekt - wie jeder andere

Scheinbar Gegensätzliches, Naturalismus und Poesie, bringt die Regisseurin auch in ihrer Inszenierung zusammen. So sind die Aufnahmen des Schlachtens weitgehend dokumentarisch, eine Woche lang hat Ildikó Enyedi in einem echten Schlachthof gedreht. Die Liebesgeschichte dort aber beruht auf einer fantastischen Behauptung - dass nämlich Endre und Maria Nacht für Nacht dasselbe träumen. Diese Träume durchziehen als märchenhafte zweite Ebene den Film. Darin streifen ein Hirsch und eine Hirschkuh gemeinsam durch den Wald, suchen nach Gräsern und trinken aus einem Bach. Im dünnen Schneetreiben, bei graublauem Winterlicht sieht das gleichzeitig völlig realistisch und unwirklich aus.

Es sind die Hirsche, die den Film eröffnen - Tiere als handelnde und fühlende Subjekte. Diese Haltung findet sich auch in Enyedis Schlachthofszenen. Darin wird brutal nüchtern ein moderner Arbeitsplatz beschrieben, aber der Blick beschränkt sich nicht darauf. Wenn die Kamera eine Kuh begleitet, die zur Tötung in ein Gestell gesperrt wird, und ihr länger in die Augen sieht, wird das Schlachttier plötzlich zu einem Spiegel: Ausgeliefertsein an Schmerz und Leid, Unfreiheit und Sterblichkeit lassen sich darin erkennen, weshalb der Schlachthof bald als unerwartet passender Schauplatz für die Liebesgeschichte verletzlicher Menschen erscheint.

Als dort ein Diebstahl passiert und eine Psychologin bei der Aufklärung helfen soll, erfahren Endre und Maria von ihren gemeinsamen Träumen. Alexandra Borbély und Géza Morcsányi sind wunderbare Darsteller, die in ihrem Spiel all das Ungesagte anklingen lassen, das ihnen eine Begegnung auch tagsüber erschwert. Dabei ist Géza Morcsányi eigentlich kein Schauspieler; er war zwanzig Jahre lang Verleger, arbeitete unter anderem mit Imre Kertész und Péter Esterházy zusammen. Aber wie er Endre verkörpert, ist herrlich trocken, dezent selbstironisch und sehr sympathisch. Eindrucksvoller noch ist Alexandra Borbély, die vom Theater kommt, und Maria als leuchtend fragile Seele spielt. Umso größer erscheint ihr Wagnis, sich der Unordnung (die sie als Autistin nicht ertragen kann!) der Liebe auszusetzen.

Maria fragt sich, wie Liebe geht - und schaut Gummibärchen kauend Pornos an

Das ist trotz des melancholischen Grundtons der Geschichte immer wieder hinreißend komisch. Beispielsweise teilt Maria Endre einmal in aller Öffentlichkeit der Schlachthofkantine mit, dass sie in dieser Nacht bei ihm schlafen will. Dabei will sie zunächst gar keinen Sex, sondern nur mit Endre einschlafen und träumen.

Wie geht Liebe überhaupt? Maria schaut Pornos an und kaut dabei Gummibärchen. Und weil ihr das nicht weiterhilft, fragt sie ihren Therapeuten, der gequält die Hände ringt, ihr dann aber zu Berührungen rät und zu Musik. Deshalb drückt Maria ihre Hand in Kartoffelpüree und fasst in das Fell einer Kuh. Die vielen CDs, die sie in einem Musikgeschäft hört, lösen keine Gefühle in ihr aus, wohl aber die Musik, die ihr die Verkäuferin empfiehlt.

An der Seite ihrer Heldin studiert die Regisseurin die Menschen. Wie sie - oft heroisch - ihren Alltag meistern, wie sie Smalltalk machen, in der Kantine oder beim Kaffeetrinken, sich dabei verbrüdern, andere dagegen ausschließen. Ildikó Enyedi filmt Räume wie Bühnen, auf denen Choreografien des Sozialen stattfinden. Wie nebenbei notiert sie Momente von Korruption im postsozialistischen Ungarn oder die Handy-Verblödung eines jungen Kellners.

Immer wieder sind es Blicke, die ihre Figuren in zum Teil trostloser Umgebung miteinander in Beziehung bringen: lüsterne Blicke von Männern auf Frauenkörper, abschätzige Blicke, mit denen Kollegen Marias Anderssein registrieren. Aber auch die vorsichtigen, tastenden, interessierten Blicke, die Endre und Maria füreinander haben. Und wenn Maria, was selten passiert, Endres Blick glücklich erwidert, dann strahlt auch die Leinwand, als ob plötzlich die Sonne aufgeht.

Nach ihrem vielversprechenden Debüt vor 28 Jahren hat Ildikó Enyedi kaum noch Filme gedreht. Sie selbst beschreibt es als eine "bittere Zeit": "Es verging kein einziger Tag, an dem ich nicht an einem neuen Film gearbeitet hätte, ihn vorangetrieben, geplant, von ihm geträumt oder ihn bereits vorbereitet hätte." Die Versehrtheit ihrer Filmfiguren ist wohl auch ihre eigene. Ihr eindrucksvolles Comeback aber belegt, dass es auch in der Wirklichkeit heroisch verdiente Happy-Ends geben kann.

Teströl és lélekr öl, Ungarn 2017 - Regie, Buch: Ildikó Enyedi. Kamera: Máté Herbai. Mit Alexandra Borbély, Géza Morcsányi. Verleih: Alamode, 116 Min.

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