Königlich Dänisches Ballett:Koks in der Kulisse

Skandal oder symptomatisch für die Tanzwelt? Das Königlich Dänische Ballett und sein Direktor stehen unter Drogenverdacht. Die Truppe gehört zur internationalen Tanzelite und sitzt damit eigentlich auf dem Präsentierteller - doch nach Aufklärung sieht es derzeit nicht aus.

Dorion Weickmann

Kurz vor den Theaterferien ließ die dänische Tageszeitung Jyllands-Posten die Bombe platzen: Der künstlerische Direktor des Königlich Dänischen Balletts, Nikolaj Hübbe, und etliche seiner Schutzbefohlenen sollen seit Jahren Kokain konsumieren. Dem Blatt war ein Geheimdossier zugespielt worden, das die Theaterleitung in Auftrag gegeben hatte, um die Arbeitsbedingungen ihrer Tänzer auszukundschaften. Was dabei herauskam, hat einen Sturm der Entrüstung provoziert und Kultusminister Per Stig Møller zum Eingreifen bewogen. Die Vorwürfe müssten, verkündete der Dienstherr, rückhaltlos aufgeklärt werden. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus.

Hübbes launisches bis jähzorniges Naturell hat ihm offenbar Feinde in den eigenen Reihen beschert, die seine Verhaltensauffälligkeiten nun mit fortwährendem "Missbrauch psychedelischer Drogen" erklären. Unter dem Deckmantel der Anonymität haben etliche Ensemblemitglieder sowohl der Studienleiterin Helle Hedegaard Hein als auch Journalisten erzählt, dass von der Leitungsebene bis hinunter ins Corps de Ballet Kokainkonsum an der Tagesordnung sei. So sollen nach einer "Dornröschen"-Premiere im vergangenen Jahr fünf Nachwuchstänzer in Hübbes Büro mit Stoff versorgt worden sein, wiewohl keiner der Whistleblower den Chef persönlich hat eine Line ziehen sehen.

Hein lieferte ihren Report bereits Anfang Mai, doch der Intendant Erik Jacobsen breitete erst einmal den Mantel des Schweigens darüber und beriet sich nur mit seinem innersten Zirkel. Bis Jyllands-Posten Wind von der Affäre bekam und den Bericht an die Öffentlichkeit zerrte.

Pikant ist die Angelegenheit einerseits, weil das Königlich Dänische Ballett zur globalen Tanzelite gehört und damit auf dem Präsentierteller sitzt. Andererseits ticken die Uhren in Kopenhagen auch nicht anders als im Rest der Welt. Das heißt: Genau wie Hochleistungssportler sind Tänzer naturgemäß anfällig für die Einnahme leistungssteigernder und schmerzlindernder Cocktails, wobei Kokain obendrein noch als appetitzügelnder Schlankmacher gilt. Von Arznei-, Drogen-Doping und Alkoholismus wird in der Szene immer wieder gerüchteweise geraunt. Wer aber genauer nachfragt, stößt auf ein Tabu und erhält die lapidare Auskunft, dass zugedröhnte Tänzer wohl kaum bühnentauglich seien.

Was so nicht stimmt. Das offenbarte die Ex-Ballerina Gelsey Kirkland schon 1986 "Dancing on my Grave": Die amerikanische Startänzerin konnte ihre Auftritte erst ab einer bestimmten Kokain-Dosis bewältigen. 1988 starb Kirklands Kollege Patrick Bissell, dessen Rauschmittelexzesse seiner Karriere zunächst keinen Abbruch getan hatten, an einer Überdosis. Und 2007 wurde Nilas Martins vom New York City Ballet mit dem weißen Pulver erwischt, ohne deshalb aus der Truppe zu fliegen.

"Nach einem langen Tag bringt dein Körper dich um"

Ob solche Eskapaden nur die Spitze des Eisbergs sind, lässt sich schwer sagen. Alkohol dagegen, die Volksdroge Nummer eins, ist auch auf dem Tanzteppich ein Dauerbrenner, und zwar in Ost und West gleichermaßen. Die russische Primaballerina Maja Plisetskaja sah Slawa Golubin, einen ihrer Lieblingspartner, an Hochprozentigem zugrunde gehen. Und Katie Bergstrom, langjährige Corps-Tänzerin beim New York City Ballet sagte kürzlich: "Ich glaube, weil Alkohol gesellschaftlich akzeptiert ist, fällt der Missbrauch hier nicht schwer. Nach einem langen Tag bringt dein Körper dich um, und du willst dich nur noch mit einem großen Glas Rotwein auf die Couch setzen." Auf diese Weise, so Bergstrom weiter, gerieten Tänzer in die Fänge der Sucht und betrachteten Alkohol rasch als reinen "Schmerzkiller".

Dabei machen sich Außenstehende häufig nicht klar, unter welchem physischen und psychischen Stress Tänzer ihrem Beruf nachgehen. Verletzungen gehören zum Alltag. In den hierarchisch gegliederten Apparaten fällt niemandem etwas in den Schoß. Und der Druck, aus einer an Jahren knapp bemessenen Laufbahn das Äußerste herauszuholen, tut ein Übriges. Außerdem ist schnell als Moralapostel verschrien, wer der Künstler-Boheme das Privileg bestreitet, hin und wieder über die Stränge zu schlagen.

So machen Drogengeschichten seit Jahrzehnten anstandslos die Runde, ob sie nun die frühe Schaubühne oder Maurice Béjarts Ballet de XXième Siècle betreffen. Gekümmert hat sich bislang kaum jemand darum, vielleicht auch weil der klassische Tanz einem überzeugten Haschesser namens Théophile Gautier einige seiner funkelndsten Schmuckstücke verdankt, darunter "La Péri" (1843) - ein veritables Hohelied auf den Rausch. So gesehen, gehören Drogen zum Standardrepertoire des Balletts.

Trotzdem war der Aufschrei groß, als Darren Aronofskys Psychothriller "Black Swan" vor einigen Monaten in die Kinos kam und das Bild einer zwischen Kokain und Essbrechsucht delirierenden Profession zeichnete. Keinesfalls, so der Branchentenor, sei die Hollywood-Saga mit der Wirklichkeit zu verwechseln.

In der Tat ist das Problembewusstsein für die Risiken des Tänzerberufs in den vergangenen zwei Dekaden gewachsen, auch und gerade in den Führungsetagen. Viele Kompanien beschäftigen inzwischen Beraterstäbe, die das Gesundheitsmanagement der Tänzer steuern, Unfällen vorbeugen und Rehabilitationsphasen begleiten. Weltklasse-Truppen wie das Royal Ballet in London verfolgen eine strikte Null-Toleranz-Politik gegenüber Rauschmitteln und haben entsprechende Agenden publiziert. Gleichwohl bleibt der Körper das einzige Kapital, das Tänzer einsetzen können, weshalb die Versuchung, seine Alarmsignale auszuschalten und dafür notfalls auch illegale Mittelchen in Anschlag zu bringen, selbst durch härteste Strafandrohungen kaum in Schach zu halten ist.

Nach Einschätzung dänischer Experten, die sich zur Krise vor Ort geäußert haben, gedeiht das gravierendste Problem ohnehin auf dem Humus der Ballettkultur selbst: Schlankheitsideal und Essstörungen gehen demnach häufig Hand in Hand. "Black Swan" hat davon erzählt, und so hat ein weltweites Publikum den Film auch verstanden. Zumindest in der Kopenhagener Kulisse spielt Koks tatsächlich eine Rolle, hat doch der Drogenberater des Königlichen Theaters, Jørn Thaning, bestätigt, er werde demnächst "höchstwahrscheinlich eine Person wegen Kokainabhängigkeit behandeln".

Unterdessen will Nikolaj Hübbe seine Unschuld mit einem Urintest beweisen, was Intendant Erik Jacobsen wiederum strikt ablehnt. Keine gute Idee, denn zwanzig von insgesamt zweiundneunzig Tänzern scheinen wild entschlossen, das skandalgebeutelte Haus zu verlassen. Ein solcher Aderlass würde das Prestige der traditionsreichen Kompanie schwer beschädigen. Die hat mit August Bournonvilles hochromantischen Choreographien immerhin ein einzigartiges Ballett-Legat verwaltet.

Hübbe freilich, einst Starsolist beim New York City Ballet, hat sein berufliches Grab wohl selbst geschaufelt. "Niemand lebt fünfzehn Jahre lang in New York, ohne Kokain auszuprobieren", ließ er Hein wissen. Dieser Satz könnte ihm nun zum Verhängnis werden.

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