"König von Deutschland" im Kino:Die Macht des Herrn Müller

Olli Dittrich und Veronica Ferres in "Der König von Deutschland".

Eheroutine mit der dominanten Gattin Sabine (Veronica Ferres): Olli Dittrich als Thomas Müller in "Der König von Deutschland".

(Foto: Zorro Film)

Eine Reise in die Welt der Überwachung: David Dietl, der Sohn des großen Helmut, debütiert mit der Satire "König von Deutschland", in der er mit einer kecken Monarchen-Phantasie spielt und mit dem diagnostisch-parodistischen Blick auf die Mediengesellschaft.

Von Rainer Gansera

König von Deutschland" hieß der erste Solo-Hit von Rio Reiser, dem Wortführer der Berliner Anarchos von Ton Steine Scherben. Der Song war eine selbstironische und satirische Phantasie aus royaler Allmachtsperspektive, gereimt in Knittelversen: "Im Fernseh'n gäb' es nur noch ein Programm / Robert Lembke 24 Stunden lang", oder: "Ich wär' schicker als der Schmidt und dicker als der Strauß / Und meine Platten kämen ganz groß raus".

In demselben Jahr, in dem Reisers Song die Charts eroberte, 1986, präsentierte Helmut Dietl seine geniale Medien- und Gesellschaftssatire "Kir Royal": ein TV-Sechsteiler, der von den Abenteuern des Klatschreporters Baby Schimmerlos in der Münchner Schickeria erzählte.

Helmut Dietls Sohn David, Absolvent der Film- und Fernsehakademie Berlin, spielt in seinem Kinodebüt "König von Deutschland" mit beiden Motiven: mit der kecken Monarchen-Phantasie und mit dem diagnostisch-parodistischen Blick auf die Mediengesellschaft.

Allerdings ist sein Held kein Möchtegern-Prominenter, sondern das Gegenteil: der Durchschnittlichste aller Durchschnittsdeutschen. Der wird nun zum "gläsernen Menschen", zum Prototyp des ausspionierten, überwachten und manipulierten Bürgers. Tolles Szenario: der König der Normalverbraucher als ahnungslose Laborratte für Marketing-Strategen.

Thomas Müller (Olli Dittrich) entspricht wie durch ein Wunder exakt dem Mittelmaß, in jedem detailgenau vermessenen Aspekt - von der Körpergröße (1,78 Meter) über die Beischlafpraxis (sieben Minuten bis zum Orgasmus) bis zum obligatorischen Eigenheimwunsch.

Zu Beginn wird sein Spießer-Biotop mit Bildern gezeichnet, die wie hyperrealistische Stillleben anmuten. Szenarien eines eingefrorenen Lebens: der kuriose, das Lächerliche streifende Job als Texter für Navigationssysteme, die Eheroutine mit der dominanten Gattin Sabine (Veronica Ferres), das Unverständnis für den Teenager-Sohn Alexander, der sich mit seiner Freundin in die Kellerhöhle zurückzieht und an Punkrocksongs bastelt. Als einzige Ausschweifung gestattet sich Herr Müller erotische Phantasien mit Arbeitskollegin Ute - als Königin seiner Träume.

Plötzlich ein Karrierecrash, die Entlassung, ein Selbstmordversuch am grandiosen Stausee, und die wundersame Rettung durch einen mysteriösen Fremden, der dem Verzweifelten einen hochdotierten Job bei Industries Unlimited verschafft.

Worin der Job besteht, bleibt im Unklaren, denn Thomas' neuer Chef geht mit ihm einfach nur einkaufen und spazieren, befragt ihn zu politischen Themen, zu seinen Vorlieben. Olli Dittrich stattet die Thomas-Figur mit einer derart rührenden Arglosigkeit aus, dass man ihr wie beim Kasperltheater zurufen möchte: vorsicht, aufgepasst, dein vermeintlicher Wohltäter ist das böse Krokodil!

Denn hinter Industries Unlimited steckt eine Marketing-Agentur, die an Thomas "lebendige Markt- und Meinungsforschung" betreibt - für neue Strategien, den Menschen noch mehr sinnlose Dinge zu verkaufen, ihre Meinungen und Vorlieben aufzugreifen und zu manipulieren.

Es kommt der Augenblick, an dem Thomas im Supermarkt neue Produkte entdeckt, die er sich immer gewünscht hat - etwa Bierflaschen mit Schraubverschluss-Kronkorken. Auch in Politikerreden tauchen plötzlich Sätze auf, die wortwörtlich aus seinem Mund stammen. Da kann auch bei diesem reinen Toren das Heureka-Erlebnis nicht ausbleiben.

So kommt ganz folgerichtig der Punkt, an dem er die Chance wittert, seine Meinungsführerschaft aktiv zu ergreifen und tatsächlich "königliche" Macht auszuspielen. Nur leider belässt es David Dietl an dieser Stelle - an der sich die Geschichte dank der brillanten Darsteller in schwindelnde Höhen hätte schrauben können - bei zaghaften Andeutungen systemstürzlerischer Wunschprogramme. Er zieht sich auf ein recht vorhersehbares Midlife-Crisis-Szenario zurück.

Nur die Marketing-Fuzzies mit ihrem Big-Brother-Strippenzieher (Hanns Zischler) im Hintergrund dürfen ihre Machtphantasien von Labor-Überwachung und Medienmanipulation entfalten: Sie kidnappen Thomas und verkabeln ihn, um direkten Zugang zu den heiß begehrten Daten seines Unterbewusstseins zu finden.

Auch wenn Dietl das Potenzial seiner Idee hier nicht ausschöpft, gelingt ihm doch insgesamt die souverän in Szene gesetzte Reise in eine Welt der Überwachung und Kontrolle, die sich manchen Science-Fiction-Visionen der Sechzigerjahre gespenstisch annähert.

König von Deutschland, D 2013 - Buch und Regie: David Dietl. Kamera: Felix Novo de Oliveira. Mit: Olli Dittrich, Veronica Ferres, Wanja Mues, Katrin Bauernfeind. Verleih: Zorro, 97 Minuten.

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