Kleinkunst:Böse neue Welt

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"Schlimmes Ende": Das Stück erzählt, wie das Fürstentum seine Unschuld verlor. Es wird viel gestritten.

(Foto: TAK)

Über das schmutzige Geld der Anleger wird in Liechtenstein geschwiegen. Jetzt nimmt eine mutige Theatertruppe ihr korruptes Land aufs Korn.

Von Uwe Ritzer

Im Dezember 1977 krönte sich Jean-Bedel Bokassa zum Kaiser von Zentralafrika. Es war ein pompöses Zeremoniell im Bokassa-Stadion an der Bokassa-Straße unweit der Bokassa-Universität in der Hauptstadt Bangui. Der Liechtensteiner Treuhänder Werner Walser sorgte dafür, dass der Schreckensherrscher zu dem Anlass die passende Kleidung trug. Er schenkte dem Tyrannen einen kunstvoll bestickten, "hermelingefütterten Mantel, acht Meter lang", wie Walser selbst es beschrieb, und brachte ihn persönlich zur Krönung nach Bangui. Schließlich gelte die alte Weisheit, sagt Walser, "wenn man etwas will, muss man zuerst etwas bringen". Und Liechtensteiner Treuhänder wollen viel. Immer schon und egal von wem. Gerne auch von Schreckensherrschern, die unter Kannibalismus-Verdacht stehen.

Jahrzehntelang war das zwischen Österreich und der Schweiz eingekeilte, alpine Minifürstentum Liechtenstein eine der gefragtesten Steueroasen der Welt. Das ändert sich seit geraumer Zeit, was weniger eigenem Antrieb als vielmehr ausländischem Druck geschuldet ist. Das 37 000-Einwohner-Land ist einer der reichsten Staaten der Welt. Dieser Wohlstand gründet sich darauf, dass die einst bettelarmen Liechtensteiner irgendwann damit begannen, sich den Reichen dieser Welt als Geldverstecker anzudienen. Jahrzehntelang lebten sie ausgezeichnet von dem, was für sie dabei abfiel, denn das war reichlich. Und Treuhänder wie Werner Walser wachten über beides: das schmutzige Geld der Kundschaft und den Wohlstand Liechtensteins.

Die Steueroase trocknet aus. Die Folgen für die kleinbürgerliche Gesellschaft könnten fatal sein

Der Autor Stefan Sprenger, die Dramaturgin Barbara Ellenberger und die Regisseurin Brigitta Soraperra haben die Bokassa-Episode ihrem Theaterstück als Prolog vorangestellt. Obwohl sie streng genommen ein Epilog ist, denn sie spielte kurz nach jener Epoche, um die es bei "Rubel, Riet und Rock'n'Roll" geht. Das Stück handelt davon, wie Liechtenstein reich wurde, zwischen 1950 und 1975. Es erzählt, sagt Sprenger, "wie Liechtenstein seine Unschuld verlor".

Dabei bohrt das Stück tief im Selbstverständnis der Liechtensteiner. Es wühlt in ihrer Verunsicherung, die überall greifbar ist in diesem nach deutschen Maßstäben nicht einmal landkreisgroßen Zwergstaat im Oberen Rheintal. Dort herrscht die diffuse Angst, die fetten Jahre könnten vorbei sein, seit Regierung und Fürstenhaus 2009 der Welt versprachen, das Land werde nun ein sauberer Finanzplatz. Damit allerdings ist auch das bisher so erfolgreiche Geschäftsmodell der Stiftungen, Briefkastenfirmen und anderen fragwürdigen Konstrukten dahin, auf das sich alles gründet. Die möglichen Auswirkungen auf die Gesellschaft im Fürstentum werden kaum thematisiert - nicht in den regierungsgesteuerten Zeitungen, kaum in den Landtagsdebatten. Sie könnten fatal sein. Doch über Unangenehmes schweigt man öffentlich generell lieber in Liechtenstein.

Umso bemerkenswerter ist dieses von Sprenger eigens für das Theater am Kirchplatz geschriebene und dort vom Duo Ellenberger/Soraperra inszenierte Stück. Das Theater ist ein kleines, aber unter den besonderen Umständen sehr feines und mutiges Haus in Liechtensteins größter Gemeinde Schaan. Vier Aufführungen waren bislang zu sehen, alle sehr gut besucht und mit viel Applaus bedacht. Allerdings kamen viele Besucher auch von außerhalb, aus Vorarlberg oder von der anderen, der Schweizer Rheinseite. In den örtlichen Medien wurde das Stück eher inhaltlich referiert als besprochen.

Volkstheater? Ja, aber im Sinne von Franz Xaver Kroetz ein Volkstheater, das dem Volk Schmerzen verursacht. "Eine mentalitätsgeschichtliche Erforschung Liechtensteins", verspricht das Programmheft. Dazu filetieren die sechs Darsteller, die insgesamt etwa 40 fiktive Personen verkörpern, die Landesgeschichte in die 1950er, als sich in Liechtenstein wie überall in Europa Aufbruchstimmung breit- machte; in die 1960er, als die Geldströme von außen das Land fluteten und man mit dem Geldzählen nicht mehr nachkam, wobei besonders viele Anleger, auch von Schwarzgeld, aus Deutschland kamen; und in die 1970er, als die Party langsam in eine Katerstimmung abdriftete. Weil Liechtenstein in dieser Dekade zielstrebig den Ruf erwarb, dass anscheinend jedes schmutzige Geldgeschäft hier seinen Ursprung nimmt oder endet. "Ab diesem Zeitpunkt gilt die Unschuldsvermutung nicht mehr", sagt Sprenger, einer der wenigen offen-kritischen Intellektuellen des Landes. "Ab Mitte der 1970er-Jahre konnte niemand mehr sagen, er habe von allem nichts gewusst."

Die Geschäfte wurden, wie man heute weiß, bis in den Anfang dieses Jahrtausends getrieben. Im Februar 2008, just am Geburtstag des Landesfürsten Hans-Adam II., nahmen Steuerfahnder und Staatsanwälte in Köln den Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel medienwirksam hoch, der wie Hunderte andere Steuerbetrüger weltweit durch einen Datenklau bei der Treuhandabteilung der Vaduzer Fürstenbank LGT aufgeflogen war. Der internationale Reformdruck auf die Steueroase nahm zu. Sie trocknete aus, und ab 2016 wird Liechtenstein automatisch Zinseinkünfte ausländischer Kunden an ihre Herkunftsländer melden. Das Bankgeheimnis alter Prägung ist dann Geschichte.

Das ist mit Risiken verbunden und mit unangenehmen Fragen, die immer häufiger gestellt werden. Im Theater am Kirchplatz zum Beispiel. Es geht um kollektives Handeln und kollektiven Empfinden in einem kleinen, reichen Land. Entsprechend gibt es auf der Bühne keine Hauptdarsteller. Die sechs Schauspieler schlüpfen von Rolle zu Rolle, geben mal den Anwalt, die Hausangestellte, die katholische Mutter, die reiche Gattin. Oder den ehrgeizigen, jungen Treuhänder ohne Skrupel. "Was du am Bau in einem Jahr verdienst, verdiene ich in einem Monat", schleudert er seinem Vater entgegen - und behängt die Mutter mit Pelz und Perlen. Im Hintergrund läuft ein Song von Bob Dylan. "Wenn du mich fragst", sagt ein anderer in weiser Voraussicht, "das mit den Briefkästen nimmt noch ein schlimmes Ende." Und als eine junge Frau der Liechtensteiner Enge nach Amerika entfliehen will, belehrt sie ein Mann: "Die neue Welt, die ist doch hier."

So zieht es auch den Zuschauer von außerhalb in den Sog dieser "Hochdruckzone Liechtenstein" (Sprenger), wo "die Industrie für die Arbeitsplätze sorgt, das Geld für den Staat aber von den Treuhändern kommt". Zwei Jahre hat der sprachgewaltige Schriftsteller alte Tageszeitungen und Landtagsprotokolle nachgelesen, mit Zeitzeugen gesprochen und zu Erzählrunden eingeladen, um aus all diesen Recherchen sein Stück zu destillieren. Dem Theater am Kirchplatz geht es nicht um Anklage oder Schuldzuweisung, sondern um Reflexion: Wie konnte es so weit kommen, dass sich ein Gemeinwesen nur noch über Geld definiert? Über das ganz große Geld sogar, obwohl doch die Gesellschaft selbst ziemlich kleinbürgerlich ist. Die große Sause ist in Liechtenstein vorbei - jetzt wird sie aufgearbeitet.

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