Klassikkolumne:Sehnsuchtswelten

Marianne Crebassa singt dunkel und elegant Lieder von Ravel, Debussy, Fazil Say; Supertenor Juan Diego Flórez ist eine Mozart-Offenbarung; dazu noch Mozarts Requiem unter Leitung von René Jacobs, und Sabine Liebner, Klavier spielt Mauricio Kagel.

Von Reinhard Brembeck

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Marianne Crebassa war der Publikumsliebling und Shooting Star der diesjährigen Salzburger Festspiele, bei deren Eröffnungspremiere sie den zwischen Freundestreue und Liebesverrat zerrissenen Sesto in Mozarts "La clemenza di Tito" sang: dunkel, elegant, erotisch. All das findet sich jetzt auch in ihrem Recital "Secrets" wieder, in dem sie die Klassiker der französischen Lieder erforscht. Mit Ravel träumt sie sich nach Asien hinein, mit Debussy beschwört sie die Erotikwelten der antiken Frauenliebhaberin Bilitis. Vor allem aber ergibt sie sich den mürben Sehnsuchtswelten Faurés und Duparcs. Begleitet wird sie bei diesen Seelenerforschungen von dem Komponistenpianisten Fazıl Say, dessen "Gezi Park 3" Marianne Crebassa an den Schluss der CD setzt: Eine Hommage an die Demonstranten in dem Istanbuler Park, die 2013 niedergeknüppelt wurden (Erato).

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Juan Diego Flórez ist als Extremtenor bekannt, der die aberwitzigsten Tongirlanden von Donizetti, Bellini und Rossini mit größter Selbstverständlichkeit und zudem so tonschön wie elegant singt. Jetzt aber hat sich Flórez, er ist Mitte vierzig, auf Mozart verlegt, und es ist eine Offenbarung. Denn Mozarts Tenormänner wirken ja meist etwas pedantisch, fad und unnahbar. Flórez aber lebt sie als formvollendete Leidenschaftler aus, die mitten im Leben stehen. Seine Virtuosität ist dabei ein Riesenvorteil. Wer schon kann Idomeneos aberwitzig schwere "Meeres"-Arie derart triumphierend singen, wer die kaum leichtere Baumeister-Arie aus der "Entführung" derart zupackend visionär? Die Nummern aus "Tito", "Don Giovanni", "Così" und "Re pastore" machen dann nur noch auf eines Lust: Flórez endlich live in einer Mozart-Oper zu erleben. Am besten heute noch (Sony).

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Die Pianistin Sabine Liebner ist in München eine Institution. Sie kümmert sich regelmäßig um moderne Klaviermusik, die sie so einleuchtend selbstverständlich und klangsinnlich spielt wie ihre Kollegen Schubert oder Brahms. Liebner hat jede Menge Uraufführungen gespielt, aber auch die Großmeister/innen Cage, Feldman, Ustwolskaja, Satie, Koechlin und Earle Brown aufgenommen. Auf ihrer neuesten Platte kümmert sich jetzt um den Chefexperimentator Mauricio Kagel (1931-2008), besonders um dessen Klavierstück "Metapiece (Mimetics)". Der Hörer erlebt dabei eine meditative Klanglandschaft, in die immer wieder Akkorde wie Meteoriten einschlagen. Wer sich dann aber mit diesem Universum genauer beschäftigt, merkt bald, dass das recht eigenwillige "Metapiece" da gleich in drei verschiedenen Varianten erklingt - und schon ist er den Rattenfängern Kagel & Liebner verfallen (Wergo).

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Mozarts Requiem ist ein populärer Problemfall, weil die nicht vom Meister vollendeten Passagen immer ein wenig durch ihre Plumpheit befremden. Deshalb gibt es viele verbesserte Fassungen der von Mozarts Schüler Süßmayr stammenden Vollendung. Auch der Barock- und Mozart-Liebhaber René Jacobs dirigiert jetzt eine Neufassung, die ihm der französische Komponist Pierre-Henri Dutron angefertigt hat. Dutron meidet jedoch allzu offensichtliche Eingriffe in Süßmayrs Fassung. Er bringt vielmehr die Ideen seines Vorgängers auf den Punkt und lichtet den Orchesterpart. Jacobs dirigiert genauso unspektakulär, so dass sich der Reiz dieser Aufnahme erst nach und nach erschließt (harmonia mundi).

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Bachs Weihnachtsoratorium ist derzeit unvermeidlich. Wer diese sechs Kantaten aber einmal überraschend neu erleben will, der muss zur Einspielung des grandiosen Hamburger "Ensemble Resonanz" greifen. Weil da neben neun Streichern und vier Sängern nur noch der Genie-Trompeter Markus Schwind, der (E-)Gitarrist Johannes Öllinger und der auf sechs zwischen 1937 und 2016 gebauten Vintage Keyboards spielende Michael Petermann beteiligt sind, die Choräle singen dann alle zusammen. Wer das als geschmacklos verdächtigt, der sei versichert, dass Bach den frechen Popsound nicht nur gut, sondern mit Gewinn in Struktur und Klarheit so wegsteckt, dass diese geschickt auf 30 Nummern geschrumpfte Version hinreißend rockt, dass da Basspassagen drin sind, die man so immer wieder hören will und dass der Trompeter immer wieder die Sterne zum Funkeln bringt. Am Ende wird sich dann jeder Weihnachtsmuffel auf Weihnachten freuen. (Resonanzraum Records).

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