Klassikkolumne:Keine Gulaschsuppe

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Julian Steckel spielt Zoltan Kodálys Cellosolosonate op. 8, das "Neue Testament" der Celloliteratur, vorbildlich. Außerdem neue CDs mit dem großartigen Pianisten Evgeni Koroliov und dem Nachwuchscellisten Adolfo Gutiérrez Arenas.

Von Julia Spinola

(Foto: N/A)

In Spanien ist er schon länger erfolgreich, seit einigen Jahren tritt er auch international auf: Der Cellist Adolfo Gutiérrez Arenas, 1975 in München als Sohn spanischer Eltern geboren, begann zunächst mit dem Klavier und wechselte mit 14 Jahren zum Cello. Mit Dvořáks Cellokonzert stellt er sich auf einer reinen Dvořák-CD selbstbewusst in die Tradition eines Rostropowitsch. An den elektrisierenden, zufahrenden Gestus von Jaqueline du Pré kommt Arenas nicht heran. Aber er hat einen wunderbar kultivierten, warmen, kräftigen Celloton, kann den Klang ins Zarte zurücknehmen, ohne an Farbe zu verlieren und versenkt sich mit einfühlsamer Leidenschaft in Dvořáks hochromantische Musiksprache. Die Magdeburger Philharmoniker machen unter Chefdirigent Kimbo Ishii durch Emphase und wogende Agogik wieder wett, was an Klangkultur fehlt. (Lbs Classical)

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Zoltán Kodály kennt man vor allem als Musikethnologen, Musikpädagogen und Vater der folkloristisch geprägten ungarischen Moderne, der den etwa gleichaltrigen Landsmann Béla Bartók zum Sammeln von Volksliedern anregte. In Kodálys rhapsodische, herb expressive Musik flossen Pentatonik und eine dem Ungarischen abgelauschte Rhythmik ein. Julian Steckel interpretiert die Cellowerke Kodálys rund um den "Achttausender der Celloliteratur": die Sonate für Violoncello solo op. 8 von 1915, farbenreich, ausdrucksvoll, zugleich rhythmisch sehr präzise. Er hat dieses Stück mit vielen Lehrern studiert, unter anderem mit dem legendären ungarisch-amerikanischen Cellisten János Starker, der ihn ermahnte, man dürfe aus der beinahe improvisatorisch anmuten Struktur dieser Musik keine "Gulaschsuppe" machen. Die Geigerin Antje Weithaas ist Steckels absolut brillante Partnerin in Kodálys Duo für Cello und Violine op.7. Beide hören und reagieren sie nicht nur traumwandlerisch sicher aufeinander, sondern sie lassen sich auch niemals ins Vage wegtragen und wissen in jedem Moment genau, was sie musikalisch sagen wollen. (CAvi Music)

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Gleiches kann man leider von dem 19-jährigen chinesischen Pianisten Chen Xue-Hong nicht behaupten, obwohl er für seinen Lieblingskomponisten Frédéric Chopin ein kristallines Jeu Perlé, technische Makellosigkeit, kultivierte, klavierstundenschön ausgeformte Phrasierung und im Akkordischen auch ein volltönendes Forte aufbietet. Seine Interpretationen sind jedoch von geradezu erschütternder Harmlosigkeit. Es ist Chopin ohne jeden Abgrund, eine musikalisch belanglose Salonmalerei, die Xue-Hong selbst in der todessüchtigen Sonate Nr.2 anbietet, mit geschmackssicher dosierter Morbidität, die niemanden angreift. Da sehnt man sich unwillkürlich nach dem rückhaltlosen Furor des großen Emil Gilels, der Chopin als wild-romantischen Geistesverwandten eines Théodore Géricault oder eines Eugène Délacroix verstehen konnte. Dass ein solch bedingungsloser Ausdruckswille, die vollständig uneitle, ungeschönte Hingabe an ein Werk, keine Frage des Alters ist, sondern eine der ästhetischen Grundeinstellung, zeigt der Vergleich mit einer furiosen Aufnahme der 1. Ballade von Chopin aus Gilels frühen Jugendjahren. Ein so riskantes Spiel kann sich heute freilich kein Nachwuchskünstler mehr leisten. Es ist auch der vom Musikbetrieb diktierte Zwang zu technischer Perfektion, der jungen Musikern ein Übermaß an Ausdruck regelrecht austreibt und sie dazu verleitet, ihr Spiel zu gefälligem Wohnzimmersound hin zu glätten.(accentus)

Damit soll keineswegs einem Interpretationsstil das Wort geredet werden, der sich im blindwütigen Ausagieren von Ausdrucksimpulsen erschöpft. Wie man interpretatorische Tiefe und Disziplin übereinbringen kann, beweist seit Jahren der 1949 in Moskau geborene Evgeni Koroliov, der noch bei Heinrich Neuhaus und Maria Yudina studiert hat. Koroliov hat die Kunst, Struktur und Ausdruck als zwei direkt auseinander hervorgehende Momente des Musikalischen erfahrbar zu machen, an Bachs Werken geschult. Auf seiner neuen CD versenkt er sich mit größter Zartheit, aber ohne Sentimentalität in die Intermezzi von Johannes Brahms. Es gelingt ihm eine geistige Durchdringung dieser großenteils aphoristischen inneren Monologe, die bei aller Tiefe und trotz des präzise herausgearbeiteten polyphonen Gewebes der motivischen Struktur so spontan klingen, als seien sie ihm im Augenblick des Spiels gerade eingefallen. Die Klarheit seines Ansatzes bewahrt ihn davor, die Miniaturen gänzlich subjektivistisch, als rubatoselige, freie Assoziationen aufzufassen, wie es etwa Glenn Gould getan hat. (tacet)

© SZ vom 06.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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