Klassiker:Durchs Ofenrohr

Für KrimibeilageLIT Seite 8

Oscar Wilde: Das Gespenst von Canterville. Illustrationen von Joëlle Tourlonias. Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin 2014. 32 Seiten, 12,95 Euro.

Eine heimelige Version von Oscar Wildes berühmten "Gespenst von Canterville" illustriert mit Bildern, die an ein Puppenhaus erinnern.

Von Fritz Göttler

Er hat jede Menge Schlechtes getan in seinem Leben, der alte Sir Simon, und das bereut er nun wirklich heftig. Müde ist er, denn seit dreihundert Jahren hat er deshalb nicht mehr geschlafen. Herumspuken muss er, in seinem alten Schloss. Sir Simon ist einer von Oscar Wildes bekanntesten Helden, das "Gespenst von Canterville", das in der gleichnamigen Erzählung mit uramerikanischer Skepsis und für traditionalistische britische Spukwesen schockierendem Pragmatismus konfrontiert wird - in Gestalt des amerikanischen Gesandten Hiram B. Otis, der das Schloss gekauft hat, und seiner Familie, darunter die Tochter Virginia.

Joëlle Tourlonias hat die tragikomische Geschichte angenehm lakonisch in Bildern gestaltet, hat das Schloss Canterville auf intimes Puppenhausformat gebracht, mit schön verwinkelten Zimmerchen, die über Ofenrohre miteinander kommunizieren, bis in die Rückzugs- und Ruhekammer Sir Simons hinauf - so dass die Gruselatmosphäre geprägt ist von dezenter Heimeligkeit. Die schönsten Spuk- und Kriminalgeschichten funktionieren über ihre locations, über die Räume, in denen Schreckliches und Blutiges einst sich ereignete, die Geheimnisse bergen und zu ihrer Lösung mysteriöse Hinweise und Indizien enthalten für alle, die gelernt haben zu schauen und zu beobachten. Wie immer bei Oscar Wilde - der persönlich auf einem Bild an einer Wand im Schloss über das Geschehen wacht -, in seinen Erzählungen, Märchen und Stücken, geht es um Erlösung, und vielleicht ist sowieso die detektivische Auflösung eines Falles eine Form der Erlösung aus dem Ungewissen. Für Sir Simon und seine Helferin Virginia wird es eine schreckliche Prozedur, die aber der Imagination überlassen bleibt. "Der Tod muss so schön sein. Endlich im Frieden sein."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: