Klassik:Verzweifeln in den Tiefen

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Vor doppelten Schwierigkeiten und doppelt zu loben: Christian Thielemann, Dirigent in Dresden.

(Foto: picture alliance / dpa)

Christian Thielemann mit der Dresdner Staatskapelle in München: ein wohlwollendes Wiedersehen mit einem bedauerlichen Tiefpunkt.

Von Helmut Mauró

Es ist vielleicht kein überwältigendes Wiedersehen mit Christian Thielemann, dem ehemaligen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, aber ein sehr wohlwollendes und interessiertes. Eine ausverkaufte Philharmonie lässt darauf schließen, dass die Münchner ihren relativ kurzzeitigen Generalmusikdirektor nicht vergessen haben. Und natürlich wollen sie wissen, ob er auch mit seinem neuen Orchester, der legendären Staatskapelle Dresden, bella figura macht. Das tut er im Großen und Ganzen, aber einer kommt ihm dabei in die Quere: Der nicht mehr junge, aber auch noch nicht so alte Pianist Yefim Bronfman, der sich in Ludwig van Beethovens Drittem Klavierkonzert nicht in die Herzen der Hörer gespielt hat und auch sonst nirgendwohin. Das kann er so in seiner Zeit am Curtis Institute weder bei Leon Fleisher und erst recht nicht bei Rudolf Serkin gelernt haben.

Wenn man hört, wie letzterer selbst im fortgeschrittenen Alter höchste Spannung erzeugt und einen ganzen Satz lang durchhält, dann muss man an Bronfmans Beethoven-Konzeption ein wenig verzweifeln. Gerade über das Largo, in dem Beethoven ganz nach unten steigt in die Tiefen des Gemüts, kann man doch nicht so beiläufig, so uninspiriert hinwegspielen. Leidenschaftslosigkeit ist eine Sache, aber so offen zur Schau gestelltes Desinteresse ist beinahe schon verwerflich. Man weiß nicht, warum Bronfman dieses Konzert gespielt hat, man weiß nicht, warum die Staatskapelle Dresden oder Thielemann ihn dazu ermuntert haben. Man dachte immer, in einer Musik wie diesem Beethoven-Largo, die man nicht einmal intellektuell aufarbeiten muss, um sie zu verstehen, da gäbe es keinen affektiven Irrtum, kein emotionales Vertun. Aber so sehr man das Orchester, insbesondere die warmen Streicher, bewunderte, ebenso wie die gestalterische Sicherheit Thielemanns, so sehr musste man sich über das Gesamtergebnis erschrecken.

So sehr man das Orchester aus Dresden bewunderte, so sehr erschrak man über den Pianisten

Dass dieser Reinfall nicht am Orchester lag, wusste man schon vor der Pause, aber in Anton Bruckners Sechster Symphonie wurde es einem noch einmal in aller Ruhe und Weitsicht vorgeführt. Selbst wenn man nur fünf Reihen vom Geschehen entfernt saß und für eine Brucknersche Großbesetzung viel zu nah, so hörte man doch zwischen dem von hier aus zu scharfen hohen Blech hindurch ein sehr homogenes Orchester, innerhalb der Instrumentgruppen und im Zusammenspiel höchst diszipliniert synchron, ohne steril zu klingen. Man hörte freilich auch, dass das Orchester den Saal der Gasteig-Philharmonie nicht gewohnt ist, dass es sich oft ganz auf den Dirigenten verlassen musste und seine allerdings recht präzisen Vorgaben. Der Münchner Gasteig begünstigt bekanntermaßen ein klar durchsichtiges Spiel und verweigert mit seinem relativ kurzen Nachhall konsequent jeden mystisch anmutenden Mischklang.

Zumindest ergibt der sich hier nicht von selbst, man müsste ihn sich permanent erspielen. Insofern ist es für ein Gastorchester hier doppelt schwer und doppelt zu loben, wenn wie mit der Dresdner Staatskapelle am Ende doch noch ein Bruckner-Klang zustande kommt, der über die reine Partiturpflicht weit hinausgeht. Besonders im zweiten Satz, in dem es weniger auf plakative Fortissimo-Außenwirkung ankommt, entwickelte das Orchester zunehmend auch eine beredte Pianissimo-Sprache. Die blieb bis dahin etwas eintönig bis nichtssagend, die Subitopianissimi verpufften oft substanzlos trocken. Da fehlte etwa Vorherhegendes, das innerlich nachklingen könnte. Insgesamt hat die Dresdner Staatskapelle einen vielleicht etwas kleineren Bruckner-Klang als die Münchner Philharmoniker, was der Sache aber keinen Abbruch tut. Im Gegenteil, manchmal hätte man sich mehr Forte- und Fortissimo-Zurückhaltung gewünscht, auch wenn dies die Partitur nicht erlaubt. Die Münchner, die nächste Woche mit Bruckners Vierter unter Leitung ihres neuen Chefs Valery Gergiev antreten, sind herausgefordert.

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