Klassik:Oper als Film noir

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Tolle Entdeckung: Max Brands "Stormy Interlude"

Von Egbert Tholl, Salzburg

Was macht man, wenn eine Oper keine abendfüllende Länge hat? Man spielt sie zwei Mal hintereinander. Klingt erst einmal ein bisschen närrisch, doch im Fall von "Stormy Interlude" von Max Brand kommt die Lösung einem Geniestreich gleich. Weil man so diese Musik, die man vorher nicht kennt, besser begreifen kann. Und weil die Wiederkehr des Stücks in der Inszenierung von Amélie Niermeyer nicht einfach eine Wiederholung, sondern eine Weiterführung, eine szenische Variation, ein Glücksfall ist.

Max Brand hatte einen Sensationserfolgt als Opernkomponist mit "Maschinist Hopkins" 1929. Es war die aufregende Zeit, in der sich in der Musik Schönberg-Avantgarde mit ausgereizter Spätromantik, mit Jazz und sachlicher Moderne verband. Jene Zeit, der die Nazibarbarei den Garaus machte. Auch Brand musste fliehen, über Südamerika in die USA, fasste dort nie richtig Fuß, auch nicht als Filmkomponist in den Studios Hollywoods. Ende der Fünfziger Jahre wandte er sich der elektronischen Musik zu, bastelte zusammen mit Robert Moog an Synthesizern, erfand eine Art Ur-Sampler, kehrte 1975 nach Wien zurück und verschwand im engen Gehäuse seines eigenen Ichs, sein eigenes Künstlertum als gescheitert betrachtend.

Aber es gibt, obwohl viele seiner Werke als verschollen gelten, noch so viele herrliche Hinterlassenschaften zu entdecken. Eben zum Beispiel "Stormy Interlude". Das Stück, vielleicht 40 Minuten lang, fand eine herausragende Fürsprecherin, Mirga Gražinytė-Tyla. Die ist Musikdirektorin am Salzburger Landestheater und keine Dirigentin, die sich allein mit dem musikalischen Erarbeiten kanonisierter Werke zufrieden gibt. Stößt sie auf Probleme, sucht sie nach Lösungen. Und im historisch-musikalischen Bewusstsein der jungen Litauerin spielen die Zwanziger Jahre und die Vernichtung von deren künstlerischen Reichtum eine große Rolle.

Eine Mitstreiterin fand sie in Amélie Niermeyer, Professorin am Salzburger Mozarteum, die nicht nur regelmäßig am Residenztheater in München, sondern eben auch Oper in Salzburg und nicht nur dort inszeniert. Zusammen überlegten sie, wie man aus dem kurzen Stück einen etwas längeren Abend machen könnte. Die Lösung: Sie umhüllen die beiden Durchläufe mit Ausschnitten aus der "Nachtmusik", die Brand in den Zwanzigerjahren schrieb. Diese Musik allein ist schon bemerkenswert genug, voller Zitate von Mahler bis Schönberg, aber in einem völlig eigenen Klang. Man hört mechanistische Musik der Moderne, aber auch viel Zärtlichkeit und nervöse Abgründe. Das passt irritierend gut zu "Stormy Interlude", irritierend deshalb, weil Brand das Stück 1955 schrieb, dabei aber den Klang der Zwanzigerjahre nur behutsam seiner - zu dem Zeitpunkt ja nicht mehr - neuen Umgebung anpasste. Anders gesagt: Es klingt, als hätte Schönberg ein Stück für Amerika komponiert und Schreker wäre sein Korrepetitor gewesen.

Die Story ist überschaubar: Mutter und Tochter betreiben ein abgelegenes Hotel, der Mann ist nicht da, ein Gangster schneit herein. Ihm auf der Spur sind zwei Polizisten, sie fangen ihn, nehmen ihn mit, den listigen Frauenverführer, zurück bleiben Mutter und Tochter. Niermeyer spürt den schwarzen Kern der Geschichte auf, macht aus ihr eine Film-Noir-Etüde feinster Unheimlichkeit, im Fernseher küsst Bogart Bacall, auf der Bühne hat die Tochter eine Sehnsucht, will raus aus der Enge, und doch ist sie emotional an die Mutter gekettet, ein trauriges, verlorenes Paar. Auch der Gangster und die Tochter, gespielt und gesungen von der faszinierenden Hannah Bradbury, haben die gleiche Erkenntnis vom Leben: "Zurück bleibt nichts als Verzweiflung."

In der Reprise erweitert Niermeyer das Personal um Schauspieldoubles, die drei Herren werden zum Chor vervielfacht, die Mutter (Frances Pappas) stromert noch verlorener durch eine psychotische Welt, die immer albtraumhafter wird. Einsamkeit umwölbt beide Frauen, ein Flageolett-Klang verfliegt. Aus.

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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