Klassik in der U-Bahn:Kleingeld für den Star

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Der weltberühmte Violinist Joshua Bell verkleidete sich als Straßenmusiker und geigte in der Washingtoner Metro. Bilanz: In 43 Minuten verdiente er vor 1070 Zuhörern 32,17 Dollar.

Wolfgang Schreiber

Die Welt der klassischen Musik ist erhaben und kostbar - voll von einzigartigen Begebenheiten und makellosen Augenblicken, bevölkert von exquisiten Künstlern und deren bewundernswerten Taten. Heutzutage muss sie aber auch voller Kühnheit, Risiko und populistischer Abenteuer sein. Marketing, Werbung, Aufmerksamkeitserregung gilt als Hauptgebot.

Um das zu begreifen, nehme man einen weltberühmten Geiger, am besten den vielleicht brillantesten und seriösesten der Vereinigten Staaten, und mache mit ihm etwas Nicht-Erhabenes, inszeniere man den Trash. Er muss also in einem Ambiente musizieren, wo ihn niemand vermutet, natürlich ohne Frack, und das so, dass keiner aus dem Publikum ihn und sein kostbares Instrument überhaupt erkennt und würdigt. Ein Experiment, geschehen in der Hauptstadt Washington.

Am 12. Januar, 7 Uhr 51, zur Stunde der morgendlichen Rushhour, begann der 40 Jahre alte Geiger Joshua Bell als Straßenmusiker verkleidet in einer zugigen Metro-Passage Washingtons, der Station L'Enfant Plaza, zu spielen. Und die dieses Experiment durchführende Washington Post hat jetzt darüber in einer großen Reportage berichtet. Bell war von seinem Hotel zur wenige Meter entfernten Metro aus einem einzigen Grund mit dem Taxi gefahren: wegen der Millionen Dollar teuren Stradivari, die Fritz Kreisler einst in der ganzen Welt gespielt hatte.

Bell gab mit ihr kein Konzert, er spielte nur diese Geige und begann mit Johann Sebastian Bachs ebenso bekannter wie schwieriger Chaconne in d-Moll. Hunderte von Passanten, die die Rolltreppe hochgefahren kamen und wie gewohnt den Ausgängen zueilten, nahmen den Stehgeiger natürlich nicht oder nur flüchtig zur Kenntnis. Eine versteckte Kamera hat die Aktion der Tageszeitung aufgezeichnet.

Erst nach drei Minuten seines Bach-Spiels passierte überhaupt etwas Auffallendes. Genau 63 Menschen waren musiktaub an ihm vorüber geeilt, ehe jemand ein paar Münzen in den Kasten zu Füßen des Geigers warf. Nur sehr wenige ließen sich zum Stehenbleiben und Zuhören verleiten, gaben Kleingeld. Am Ende, nach 43 Minuten "Konzert", waren an dem Gebrauchsmusiker 1070 Leute vorüber gelaufen, die ihn insgesamt um 32,17 Dollar reicher gemacht hatten.

Virtuose und Verstörung

Darf man das mit den Gagen vergleichen, die derselbe Künstler nach seinen Konzerten in New York, Boston, Wien, München oder Tokio kassieren darf? Ja, auch damit könne man vielleicht leben, meinte er danach, er brauche dafür dann allerdings keinen Agenten . . .

Für Joshua Bell war das offenbar ein gelungener Lernprozess über Kunstöffentlichkeit, den Wert des Künstlers und zudem eine Grenzerfahrung sein Tun und seinen Ruhm betreffend: "Wenn ich für Eintrittskartenbesitzer spiele, habe ich schon einen Wert. Da habe ich nicht das Gefühl, dass ich erst akzeptiert werden muss, denn da bin es bereits". Bell machte sich wohl schon vor dem Metro-Auftritt seine Gedanken über die neue Spiel- und Hörsituation, über seine "unbekannten" Zuhörer: "Was ist, wenn ich ihnen nicht gefalle? Was, wenn sie meine Anwesenheit übel nehmen?"

Da hat sich ein berühmter Musiker von den Medien überreden lassen zu einer raren, soziologisch aufschlussreichen Musikaktion, zu einem Selbstversuch mit dem Publikum als dem "flüchtigen" Wesen. Bar jeden Schutzes durch Karriere und Konzertsituation wollte Joshua Bell gewiss nicht nur sich und anderen einen Spaß machen, sondern auch erkennen, dass, umgekehrt, die alltäglichen, in allen Städten und Straßen der Welt von mittleren, kleinen und noch kleineren Musikern betriebenen ambulanten Klangaktionen auch Musik hervorbringen. Und dass sein eigener Status als Virtuose, als privilegierter, vom Erfolg verwöhnter Starmusiker auch dank dieser Erfahrung nicht ohne Verstörung bleibt.

© SZ v. 12.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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