Klassik:Ihr schönstes Lächeln

Klassik: Anne-Sophie Mutter spielt nicht einfach die Partituren, sie deutet sie gern einmal auch radikal um.

Anne-Sophie Mutter spielt nicht einfach die Partituren, sie deutet sie gern einmal auch radikal um.

(Foto: Universal Music)

Anne-Sophie Mutter ist die beste und eigenwilligste aller Geigerinnen. Jetzt hat sie Beethovens Violinkonzert in München gespielt.

Von Reinhard J. Brembeck

Und dann schenkt sie ihm ihr schönstes und verführerischstes Lächeln. Gerade noch hat Anne-Sophie ganz versunken und in sich gekehrt Bachs nachdenklich langsame d-Moll-Sarabande im riesigen Münchner Gasteig gespielt - weil sie beim besten Willen nach Beethovens Violinkonzertrasereien nicht noch mehr rasen könne. Da ist Mutter ganz bei dieser melancholisch einer fernen Verliebtheit nachtrauernden Musik, sie folgt ungewohnt dezent den feinsten Flexionen, sie zeigt ein Paradies. Da kann Roberto González-Monjas, der erste Meistergeiger des römischen Orchesters der "Accademia Nazionale di Santa Cecilia" nicht mehr und klatscht und klatscht und klatscht. Das ist ungewöhnlich, dass der zweitbeste Geiger im Saal der Geigensolistin so rückhaltlos seine Begeisterung bekundet. Das weiß auch Anne-Sophie Mutter. Deshalb ihr verliebter Blick. Deshalb tätschelt sie ihm überglücklich immer wieder den Arm.

Antonio Pappano, 1959 in England geboren und Chef des Londoner Royal Opera House, leitet das Cecilia-Orchester im dreizehnten Jahr. Er hat die einst recht verschnarchte Truppe zu einem der besten Orchester der Welt gemacht. Alle Musiker hängen einem warmen Klangideal an. Sie halten rein gar nichts von steriler Brillanz, sondern machen selbst die trubeligsten Momente des "Heldenleben" von Richard Strauss zu einer italienischen Straßenszene, in der ein jeder als Individuum brilliert. Und Roberto González-Monjas spielt dazu die Geigensoli wie eine Primadonna, die sich auf einem Volksfest verlaufen hat, erkannt wurde und nun Häppchen ihres Virtuosentums unter die begeisterte Menge bringt. Dass Pappano eine konventionelle, aber überschäumend lebensfrohe Interpretation anbietet, passt wunderbar dazu.

Im Beethoven-Konzert zuvor setzt Anne-Sophie Mutter auf den großen Kunsternst des aussterbenden deutschen Bildungsbürgertums: Das Erhabene möge hörbar werden. Nun sträubt sich Beethovens Partitur, insbesondere der Kopfsatz, mit jeder Note gegen solch eine Lesart. Schlichte Skalen, mechanische Akkordzerlegungen, einfache Melodien, ein lustvoll dahineilender Marsch: Das bereitet allen Geigern immenses Kopfzerbrechen. Deshalb walzen sie das Tempo langsam und feierlich aus, brezeln Skalen und Akkordzerlegung bedeutungsschwanger auf und spielen sich selbst dann in den Vordergrund, wenn die Hauptstimme im Orchester liegt, und sie nur begleiten sollten.

Anne-Sophie Mutter ist die Hohepriesterin dieser Verklärungsmanie. Da sie eine Megavirtuosin, Klangfarbenorgiastikerin und Musikintellektuelle von Rang ist, gelingt ihr der erste Satz des Konzertes als ein Mirakel. Ihr Vorgehen ist das gleiche wie im Regietheater: Ein faszinierender, aber nach und nach von Irrelevanz bedrohter Text wird so umgedeutet, dass er wie eine Neuschöpfung wirkt. Das ist, wie alle Neuerungen in der Kunst, legitim. Es ist zudem recht faszinierend.

Allerdings bekommt Mutter dann mit den anderen zwei Sätzen Probleme. Weil sie schon den eigentlich beschwingten Kopfsatz als ein langsames und zudem sich völlig selbst genügendes Idyll anlegt, kann sie nicht verständlich machen, warum da noch mehr gesagt werden soll. Der eigentliche langsame Satz kommt dann als schwaches Duplikat daher, und das von Mutter hinreißend als überschäumender Kehraus hingefetzte Finale gehört einer völlig anderen, zupackenden Welt an als die beiden ätherischen Vorgängerstücke. Mutter kann nicht vermitteln, warum Beethoven diese drei Stücke kombiniert, ihr bleibt die Logik des Komponisten verborgen. Konsequent wäre es gewesen, nur den Kopfsatz zu spielen, als eine schöne neue Welt an sich. Aber so konsequent ist dann selbst die radikale Anne-Sophie Mutter leider nicht.

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