Klassik-Kolumne:Klanggrüße aus Moskau

Klassik-Kolumne: Gidon Kremer war zeit seines Lebens neugierig, hat immer wieder unbekannte und vergessene Komponisten entdeckt. Sein einiger Zeit gehört seine Aufmerksamkeit Mieczyslaw Weinberg, der dank Kremers Einsatz zunehmend gespielt wird.

Gidon Kremer war zeit seines Lebens neugierig, hat immer wieder unbekannte und vergessene Komponisten entdeckt. Sein einiger Zeit gehört seine Aufmerksamkeit Mieczyslaw Weinberg, der dank Kremers Einsatz zunehmend gespielt wird.

(Foto: imago/Itar-Tass)

Gidon Kremer hat das Violinkonzert von Mieczysław Weinberg phänomenal neu eingespielt. Außerdem: Skrjabins "Poème de l'Extase" und Sinfonisches von Rachmaninow.

Von Julia Spinola

1996 starb 76-jährig der polnisch-russische Komponist Mieczysław Weinberg nach einem von NS-Verfolgung, Flucht und stalinistischer Gefangenschaft gezeichneten Leben einsam und vergessen in Moskau. 2010 brachte die szenische Uraufführung seiner Auschwitz-Oper "Die Passagierin" bei den Bregenzer Festspielen seine Musik hierzulande allmählich ins Bewusstsein. Sein 1959 komponiertes Violinkonzert war eines der wenigen Werke, das Liebhaber des sowjetischen Melodija-Labels schon in den Siebzigerjahren im Westen zur Kenntnis nehmen konnten. Der furiose Interpret der Aufnahme von 1961 mit dem Staatlichen Sinfonieorchester der UdSSR war der Widmungsträger Leonid Kogan. Etwas von der atemlosen Getriebenheit seiner Aufnahme suchte auch Linus Roth in seiner Einspielung von 2014. Gidon Kremer, Weinberg-Pionier der ersten Stunde, nimmt es jetzt wesentlich langsamer. Die agonale Flucht, mit der das Konzert anhebt, gerät dadurch jedoch nicht weniger intensiv, mit existenziellem Kraftaufwand scheint sich der Solopart gegen die Verfolgung zu stemmen. Wie sprechend Kremer in den Mittelsätzen den charakteristisch verschlungenen Wendungen von Weinbergs Melodik folgt, wie er auf seiner Geige singt, haucht, flötet und anklagt, ist ebenso phänomenal wie der schokoladig-dunkle, zugleich transparente Klang des Gewandhausorchesters unter Daniele Gatti. Die irreführende Einschätzung, Weinberg sei ein zweitklassiger Schostakowitsch-Adept gewesen, dürfte mit dieser Live-Aufnahme hoffentlich endgültig vom Tisch sein. (accentus)

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Wie viel chiffrierter und sarkastischer als Weinberg der gut zehn Jahre ältere Dmitri Schostakowitsch komponierte, wird besonders in seiner 9. Sinfonie deutlich. Statt der hymnischen Siegessinfonie mit Chor und Soli, die sich Stalin erhoffte, präsentierte Schostakowitsch einen bitteren musikalischen Witz in klassizistischer Maske und führt das Regime mit Zinnsoldatenmärschen und hohlen Triumphgesten vor. Gianandrea Nosedas Einspielung mit dem London Symphony Orchestra spielt jedoch vor allem im Kopfsatz so leichtfüßig über die Chuzpe dieser Musik hinweg, dass man begreift, wieso Stalin bei der Uraufführung 1945 gar nicht gemerkt hat, dass Schostakowitsch ihm unentwegt die Zunge herausstreckte. Das Presto fegt als rasantes Bravourstück insbesondere der brillanten Holzbläser vorbei. Doch weder der beißende Spott noch die drohenden Gewaltgesten noch dann gar die lastende Depression des Largos gewinnen je wirkliche Eindringlichkeit. Auch in Schostakowitschs 10. Sinfonie bleibt der Klang des London Symphony Orchestra in der halligen Akustik des Barbican Centre allzu kompakt und behäbig. (LSO)

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Zu kaleidoskopisch schillernder Farbigkeit fächert der inzwischen 80-jährige Dmitri Kitajenko das riesenhaft besetzte Gürzenich-Orchester in Skrjabins "Poème de l'Extase" auf. Wissend, dass der kosmische Liebesbrand, mit dem Skrjabin die Menschheit zu befreien hoffte, durch bloße Klangwucht und muskulösen Überdruck nicht zu entzünden ist, lässt er dem irisierenden Klangstrom in den ruhigen Phasen viel Atem und Raum für all die sensualistisch glitzernden und flirrenden Klangreize. Die spiralförmige Steigerung bis in die, leider aufnahmetechnisch etwas übersteuerte, finale Ekstase hinein, baut er trotzdem formbewusst auf. Ein Kuriosum der Aufnahme sind die am Ende erlösend hinzutretenden Chorvokalisen, die auf eine Fassung des langjährigen Chefdirigenten des Gürzenich-Orchesters Yuri Ahronovitch zurückgehen. (Oehms)

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Nach den aufsehenerregenden Einspielungen der Rachmaninow-Klavierkonzerte mit Daniil Trifonov knüpft Yannick Nézet-Séguin nun weiter an die von Eugene Ormandy begründete große Rachmaninow-Tradition des Philadelphia Orchestra an. Die 1. Sinfonie wird mit Sergej Rachmaninows späten Sinfonischen Tänzen gekoppelt, die dem Orchester gewidmet sind. So mitreißend, klangschön, zugespitzt bis in die Details hinein hat man beide Werke schon lange nicht mehr gehört. Der letzte der Sinfonischen Tänze klingt wie ein Blick in die Seele dieses lange unterschätzten großen Komponisten hinein. Auf die Fortsetzung des Sinfonien-Zyklus, der bis zum Jubiläumsjahr 2023 vollendet werden soll, darf man gespannt sein. (DG)

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