Klassik:Donnerfrei

Immer leuchtet, strahlt und lockt der Diskant: Ein grandioser Münchner Abend von Grigorij Sokolov. Dieser durch und durch uneitle russische Pianist überzeugt seine Hörer mit Bach, Beethoven und Schubert, ohne sie zu verführen.

Von Reinhard J. Brembeck

Der Pianist Grigorij Sokolov hat sich den ausverkauften Münchner Herkulessaal fast völlig verdunkeln lassen. Vielleicht auch deshalb, weil er seine Hörer bevorzugt in dunkle Klanglandschaften entführen will, und da duldet er eben keine Ablenkung durchs Auge. Für viele Klassikhörer gilt Sokolov derzeit als die Nummer eins, wenn es um Bach, Mozart, Beethoven, Schubert, Chopin, Brahms geht. Diesen Ausnahmestatus hat sich dieser scheue, antivirtuose und völlig showfreie Musiker in den letzten 50 Jahren erarbeitet.

Wer zu Sokolov geht, kommt den genannten Komponisten näher als bei anderen Pianisten. Schlichte Zweistimmigkeit, die für Bach typisch ist und auf dem modernen Klavier immer etwas vereinsamt wirkt, klingt bei Sokolov wie ein voller Orchestersatz. Dabei donnert er nie. Sokolov ist ein Frühromantiker, der nichts mit historischen Überlegungen oder Interpretationsansätzen im Sinn hat. Er ist ein Pianist, der den pathetischen Charakter seines Instruments respektiert, aber immer zwanglos Wege findet, Musik mit dem modernen Klavier zu versöhnen, die nicht dafür komponiert wurde.

Bach, Beethoven, Schubert - sein Programm legt er als große Erzählung an

Immer leuchtet und lockt der Diskant bei Sokolov in einem hinreißend milden Licht. Mittelstimmen und Bass sind dagegen zurückgenommen. Sokolov weist jeder Stimme eine eigene Klangfarbe zu, alles ist genau hörbar, lebendig phrasiert und fern allem sklavischen Metronomdenken. Mit dieser bewegenden Klarheit spielt Sokolov in München Bachs 1.Partita genauso wie Beethovens frühe D-Dur-Sonate und Schubert mittlere a-Moll-Sonate, dessen Moments Musicaux und einen um Chopin gruppierten Reigen von sechs Zugaben. Der Abend dauert bis 23 Uhr.

Aber obwohl Sokolov dezidiert nur auf die erklingende Musik verweist, in der sich sein Tun mit den Partituren so grandios kurzschließt, fehlt seinen Auftritten auch nur der Anschein von Weihe oder Kunstreligion. Stattdessen gibt er ganz nüchtern den Aufklärer, der über Rang, Bedeutung und derzeitige Relevanz dieser Kompositionen unterrichtet: Aufklärung wird bei diesem Pianisten zur Erleuchtung.

Sokolovs Größe begründet sich darin, dass jeder Moment, jeder Gestus, jeder Satztyp gleicherweise zum Hörer spricht. Nichts ist nebensächlich, nie ist etwas banal oder kompositorisch unverstanden. Und Sokolov bedrängt niemals seine Hörer, er übertost sie nicht und brilliert und verführt nicht. Sondern er erzählt leicht und mit einem Nachdruck, der dem Notenverständnis entspringt.

Sein Programm ist als große Erzählung angelegt. Auf Bachs virile Partita antworten zuletzt Schuberts vielteilig depressive Moments, auf Beethovens in sich zerrissene Sonate antwortet diejenige Schuberts. Gerade weil deren Kopfsatz ein zart und langsam singendes Motiv bald mit herben Akkordballen belastet, die im größten denkbaren Gegensatz dazu zu stehen scheinen. Schubert, suggeriert Sokolov, mag von Beethovens Largo inspiriert sein, das am Ende spannungsreiche Klänge liefert. Grigorij Sokolov spielt sie wie Geistererscheinungen. Je länger dieser grandiose Abend nachklingt, umso mehr solcher Querbezüge drängen sich auf. Und umso reicher erscheinen die Denkspiele dieses Musikers.

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