Klassik:Die Sonate bleibt im Salon

Klassik: Arcadi Volodos ist Romantiker geblieben, weil der Virtuose von Haus aus immer Romantiker ist. Sein Spiel zielt auf die Neuschöpfung im Akt des Konzerts.

Arcadi Volodos ist Romantiker geblieben, weil der Virtuose von Haus aus immer Romantiker ist. Sein Spiel zielt auf die Neuschöpfung im Akt des Konzerts.

(Foto: Sony BMG)

Lang galt er als der amtierende Hypervirtuose. In München zelebriert Arcadi Volodos nun eine neue Innerlichkeit.

Von MICHAEL STALLKNECHT

Es gab Zeiten, da galt Arcadi Volodos als der amtierende Hypervirtuose, ein Mann, der so schnell Klavier spielt, dass die Hände fliegen wie in einer Karikatur von Wilhelm Busch. Dass das lange vorbei ist, konnte man bei seinem Konzert in München schon am Programm ablesen: Robert Schumanns "Papillons", die selten zu hörenden Klavierstücke op. 76 von Johannes Brahms und schließlich Franz Schuberts späte A-Dur-Sonate D 959. Das sind alles keine Werke, die auf äußeren Virtuosenglanz zielen, sondern auf intime Verinnerlichung.

Er fächert die Stücke farblich auf, mit feinsten Nuancen und raffinierten Glanzlichtern

Dabei ist die Virtuosität Volodos natürlich geblieben. Sie hat sich nur selbst verinnerlicht, Eingang gefunden in seine Erschließung der Werke. Schnelle Figurationen bleiben bei ihm von gestochener Klarheit, der Einsatz der Pedale erfolgt immer punktgenau. Es dürfte nur wenige Pianisten geben, die so umstandslos, so ohne alle Reibungsverluste von einem rund und körperlich klingenden Fortissimo in ein ebenso erfülltes Pianissimo wechseln können. Überhaupt verfügt der inzwischen 42-jährige Russe im Anschlag über schier endlose Möglichkeiten der Differenzierung. Das gibt ihm Gelegenheit, die Stücke farblich maximal aufzufächern, mit feinsten Nuancen und raffiniert nebenbei aufgesetzten Glanzlichtern zu arbeiten.

Im Münchner Prinzregententheater kommen die blitzschnellen Wechsel zu Beginn gerade Robert Schumanns "Papillons" entgegen. In nur einer Viertelstunde Musik lässt die Komposition die Gestalten eines Maskenballs vorübereilen, die sich aus der Perspektive des Betrachters nur schemenhaft erfassen lassen. Volodos spielt sie denn auch als Klanggespinste von äußerster Delikatesse, die sich oft gegen Ende hin in ein kaum mehr greifbares Pianissimo verflüchtigen. Dabei ist ihm Texttreue nicht das oberste Gebot. Volodos spielt durchaus auch mal ein Crescendo, wo Schumann ein Decrescendo fordert, er lässt auch mal eine eigentlich vorgesehene Wiederholung außer Acht. Als Interpret ist dieser Pianist durchaus ein Romantiker geblieben, wie der Virtuose ja immer von Haus aus Romantiker ist. Sein Spiel zielt auf die Neuschöpfung im Akt des Konzerts, nicht auf die bloße Umsetzung einer Komposition. Das Metrum hält er selten gerade, arbeitet lieber mit vielen kleinen Rubati.

Doch im Höreindruck wirkt nichts davon aufgesetzt oder gar gesucht. Im Gegenteil: Volodos trifft so das Kapriziöse der "Papillons", die Neigung der deutschen Romantik zu einer bis an den Rand des Skurrilen getriebenen Innerlichkeit. In den acht Klavierstücken von Johannes Brahms hört man, warum der Komponist sie allesamt mit "Intermezzo" oder "Capriccio" über schrieben hat. Das sind Formen, die keine architektonische Eigenständigkeit behaupten, gleichsam nicht in sich abgeschlossen sind. Dass sie auch bei Volodos keinen sehr prägenden Eindruck hinterlassen, darf man getrost der Komposition zuschreiben. Brahms' Opus 76 dürfte wohl auch in Zukunft selten gespielt werden. Denn Volodos gibt den Stücken durchaus Haltepunkte in der Harmonik, die er mittels klarer Basslinien markiert. Überhaupt bietet die linke Hand der rechten oft Paroli. Der Satz erscheint deshalb immer als mehrdimensionales Gefüge, wozu auch die differenziert ausgespielten Mittelstimmen beitragen.

Wie viel Formsinn in diesem scheinbar so auf dem Moment heraus agierenden Spiel liegt, verdeutlicht denn auch Schuberts A-Dur-Sonate nach der Pause. In vielen Aufführungen zerfällt dieses viersätzige, dreiviertelstündige Werk in einen eher düsteren ersten und einen demgegenüber unangemessen heiter wirkenden zweiten Teil. Volodos dagegen entscheidet sich für eine raffinierte Hell-Dunkel-Beleuchtung, die alle Sätze gleichermaßen umfasst. Die Sonate als ganze bleibt dabei durchaus im Salon, sie sprengt ihn emotional nicht. Wer will, mag kritisieren, dass dieser Schubert stilistisch nicht wesentlich anders klingt als Schumann und Brahms zuvor. Aber Volodos' metrische Flexibilität kommt gerade Schubert entgegen, der die Tempi immer gern prozesshaft aushandelt. Durch seine Fähigkeit zur Vermittlung zwischen verschiedenen Tempi bilden hier alle vier Sätze am Ende ein stimmiges Ganzes, sogar der immer etwas überlange letzte Satz behält hier eine klare Form.

Bei den Zugaben dagegen darf Volodos getrost auf eine Fülle kleiner Stücke zurückgreifen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf Schuberts Menuett D 600 folgen Frederic Mompous "Les jeunes filles au jardin", auf "Malagueña" von Ernesto Lecuona noch eine "Mélodie" Rachmaninows. Nur das vorletzte Stück ist ein echter Virtuosenreißer, auf den das Publikum natürlich umso mehr gewartet hat. Stehende Ovationen.

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