Kiss in Berlin:Küsschen aus der Hölle

Kiss Berlin Deutschland Konzert

Die Band Kiss gibt ihr einziges Deutschland-Konzert auf der Berliner Waldbühne.

(Foto: dpa)

40 Jahre Feuer, Blut und Rauch, alles unter dem schönen Namen "Kiss": Die Furore-Band feiert Geburtstag auf ihrer "Monster"-Tour durch Europa. Auf dem einzigen Deutschland-Konzert wird den düster gewandeten Fans bescheinigt, die Hauptstadt sei die wahre "Rock City".

Eine Konzertkritik von Melanie Staudinger, Berlin

Die Melodie von "Hells Bells" klingt an, nur ganz kurz. Gene Simmons ist jetzt alleine auf der Bühne. Plötzlich strömt Blut aus seinem Mund, kein echtes natürlich. Der Bassist von Kiss reißt die Augen gespenstisch weit auf und streckt seine blutrote Zunge provozierend aus dem Mund. Aus der Bühne strömt Rauch. Zusammen mit dem Licht aus den roten Scheinwerfern möchte man fast meinen, Simmons käme wirklich direkt aus der Hölle.

Ja, Kiss gibt es immer noch. Die Altrocker haben ein neues Album und touren gerade durch Europa. In Stockholm waren sie schon, in Oslo und Helsinki. Am Mittwochabend nun war die deutsche Hauptstadt an der Reihe, der einzige Auftritt in Deutschland. "Ick bin ein Berliner", ruft Sänger Paul Stanley in die Menge.

Dann ist es aber auch schon wieder vorbei mit den Deutschkenntnissen. Stanley will wissen, ob Berlin die wahre "Rock City" sei. Die Fans geben sich überzeugt, recken die Hände in die Höhe und schreien "Yesssss". Doch ob sie des Titels wirklich würdig sind, müssen sie an diesem Abend erst noch beweisen.

Die Band feiert ihr 40-jähriges Bestehen und auf ihrer "Monster"-Tour auch sich selbst - mit einem Streifzug durch die eigene Geschichte und viel Pyrotechnik. Die vier haben ihre Gesichter wieder geschminkt. Die Masken waren schon auf dem Titel des ersten Albums "Kiss" von 1974 zu sehen.

Luftgitarre auf dem Sitzkissen

Auf der Bühne haben alle vier in ihren dämonisch-phantastischen Kostümen feste Rollen: das Sternenkind Stanley, der Dämon Simmons, der Spaceman alias Lead-Gitarrist Thommy Thayer und der Katzenmann alias Schlagzeuger Eric Singer. Im Hintergrund lodert meist ein Feuer - auf dem Bildschirm.

Von so viel Show lassen sich die Fans gerne beeindrucken. 16.000 sind zur Waldbühne gepilgert. Ausverkauft war sie damit nicht. Fast 70 Euro hätte ein Ticket an der Abendkasse gekostet - die Schwarzmarkthändler haben sich offenbar verkalkuliert. Vor den Eingängen versuchen sie ihre Karten loszuwerden. 20 Euro verlangen die meisten, einer hat es schon aufgegeben. Einen Euro will er pro Ticket, doch auch an diesem Schnäppchen zeigt kaum jemand Interesse.

Die wahren Anhänger haben ihre Karten natürlich schon lange. Sie sind an ihren T-Shirts zu erkennen. Die meisten tragen Kiss-Shirts, manche schon recht ausgewaschen, was vielleicht den großen Andrang am Fanartikel-Shop erklärt.

Led-Zeppelin-Pullis werden aber ebenso akzeptiert wie Oberteile des Hardrock Cafés oder von Mötley Crüe - Hauptsache dunkel. Manche haben sich auch wie ihre Idole geschminkt, einer nutzt das Konzert zur Selbstdarstellung. Außer dem weißen Morphsuit hat er sich einen Stern aufs Auge gemalt und läuft fast die ganze Show über exzessiv tanzend durch die Ränge. Auch er wird geduldet.

Natürlich kommt dann doch noch DAS Lied

Wer nun aber dachte, dass die ersten Kiss-Fans schon mit Rollator anreisen, der irrt. Es gibt die treuen Anhänger, die die Musik schon in den Siebzigern und Achtzigern lebten. Heute outen sie sich wie damals mit zu langen oder gar keinen Haaren, dunkel-düsterer Kleidung und Sonnenbrille. In den vergangenen 40 Jahren scheinen sie sich nur einen gestandenen Bierbauch antrainiert zu haben.

Sie erzählen sich von Motorradtouren oder von einem offensichtlich schon länger zurückliegenden Konzert von Ozzy Osbourne, bei dem dieser relativ betrunken und unsicher auf den Beinen seinen Anhängern ständig die große Liebe gestanden haben muss.

Es sind Fans wie der Mann, der sich Jessie nennt ("Eine lange Geschichte"). Totenkopf-Shirt, extravagante Lederhose, die schulterlangen, lockigen Haare mit der Sonnenbrille gezähmt. Ein wenig verschämt zieht er ein aufblasbares Sitzkissen aus der Tasche. Das Alter eben.

Einige der frühen Fans bringen mittlerweile ihre Familien mit. Marius, sieben Jahre alt, darf heute Mama, Papa und Schwester Sarah, zwölf, begleiten. Die vier sitzen zwar wegen der Lautstärke - ideal ist die Akustik in der Waldbühne heute leider nicht - fast ganz hinten, haben aber trotzdem ihren Spaß. Doch es kommen auch jüngere Leute, die meist vorne in der Arena stehen.

Die großen Hits von Kiss wurden geschrieben, als sie noch gar nicht geboren waren. "Rock 'n' Roll All Night" etwa stammt aus dem Jahr 1975. Mitsingen können sie dennoch alle Lieder. Und wenn Thayer zum fünfminütigem Gitarrensolo aufspielt, unterstützen sie ihn kräftig mit der Luftgitarre. Am Schluss wird Simmons ihnen bescheinigen, dass Berlin doch die wahre "Rock City" sei.

Einziges Deutschlandkonzert von Kiss

16.000 Fans sind zu dem Kiss-Konzert gekommen. Ausverkauft ist die Berliner Waldbühne damit nicht. Die meisten tragen Kiss-T-Shirts, andere sind geschminkt, manche haben Sitzkissen dabei.

(Foto: dpa)

Hell or Hallelujah?

Die Altrocker von Kiss, die 1978 ihre ersten Greatest Hits herausbrachten, beweisen, dass sie noch mithalten können mit den Jungen. Sie bieten eine große Show, wenn auch nicht von der ganz harten Sorte. Ihre Musik war schon immer massenkompatibler als es Albumtitel wie "Dressed to Kill" oder "Creatures of the Night" vermuten lassen.

Im neuen Album "Monster" stellt Kiss die Frage "Hell or Hallelujah". Die Antwort gibt die Band gleich selbst: Flammen lodern um die Musiker, Feuerwerk steigt in die Höhe, die Pyrotechnik lässt es krachen.

Die Fans warten aber alle auf den Mega-Hit "I was made for lovin' You" (1979!). Deshalb verlässt auch keiner seinen Platz, als Sänger Stanley bei "Rock 'n' Roll All Night" schon seine Gitarre publikumswirksam zerstört hat und sich die weißen Schnipsel, die in den Himmel geschossen werden, wieder zu Boden gesenkt haben. Und dann, bei der zweiten Zugabe kommt das ersehnte Lied natürlich doch noch. Nun sitzt kaum mehr jemand auf den Bänken der Waldbühne, sie sind auch verdammt unbequem. Die Rocker spielen noch ein, zwei weitere Songs - knapp zwei Stunden stehen sie auf der Bühne. Sie sind ruhiger geworden, ja. Aber nicht viel.

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