Neue Sprache für das Steuerrecht:Schön gesagt

Zum Träumen eignet sich Kirchhofs Text zum Steuerrecht ganz vorzüglich: Der Traum handelt aber nicht einfach von niedrigeren Steuern, sondern auch davon, nicht mehr so viel Lebenszeit für dieses blöde Thema verschwenden zu müssen.

Gustav Seibt

Schwer verständliches Steuerrecht ist nicht das Vorrecht unserer Zeit. Die gelegentlich beschworenen Steuererklärungen auf einem einzigen Blatt Papier in der wilhelminischen Zeit vor 1914 bezeichnen historisch sogar nur ein bürgerlich-liberales Zwischenspiel - nach dem feudalen Abgabenwirrwarr mit Lehnszinsen, Kopfsteuern, Naturalleistungen, Zunftabgaben, Verbrauchssteuern einerseits und vor dem modernen Steuerstaat andererseits, der sich als Feinregulierer im Arbeits- und Verbrauchsalltag betätigt.

Gegenwind für Steuersenkungspläne

Wer überschaut, wohin sein Geld fließt, mag, so Kirchhof, am Ende sogar gern Steuern zahlen - mit zufriedenem Blick auf neue Straßen, gute Schulen, höfliche Polizisten.

(Foto: dpa)

Als Preußen sich nach 1806 daran machte, den spätabsolutistischen Feudalwirrwarr durch Reform zu lichten (und nicht einfach revolutionär niederzubrennen wie in Frankreich), brauchte man dafür eine Übergangszeit von fünfzig Jahren, mit Durchführungsbestimmungen, die allein für die Landwirtschaft bis 1843 mehr als 600 gedruckte Seiten umfassten. Man lese nur, womit sich Goethe 1785 herumschlagen musste, als er für das Amt Ruhla eine "Revision der Steuern und Berichtigung der Erbzinsen" erarbeitete - im Druck des Deutschen Klassikerverlages umfasst sie 15 Seiten. Goethe fand die Angelegenheit so verwickelt, dass er seinem Gutachten eine Chronologie vorschaltete, die bis 1778 zurückreichte.

Es ging dabei nicht zuletzt um verschiedene Abgabenformen, etwa Steuern und Erbzinsen, die in Ordinär- und Extraordinärsteuern unterteilt waren (im Verhältnis 4:3), aber auch unterschiedliche Grundlagen besaßen (Grundsteuern und Einkommenssteuern), dabei aber Naturalerträge nur zu Teilen berücksichtigten: "Hat dieses beym Gelde statt warum nicht bey Hühnern, Hähnen, Mohn?" fragte Geheimrat Goethe in einem überraschend kurzen Satz seines langen Gutachtens, um kurz danach fortzufahren: "Hingegen mögte die Entscheidung wegen der Rauchhühner günstiger für die Besitzer ausfallen. Nach dem Auswurfe sollten künftig 104 ¼ Stück mehr und würcklich neue ehmals nicht abgegebne erlegt werden."

Man begreift, warum in einer Welt, in der einzelne Hühnersorten unterschiedlich besteuert wurden, Napoleons "Code civil" ein so großer Erfolg werden konnte, übrigens auch bei Goethe selbst, der seinen Sohn August nicht etwa in der von ihm mitverwalteten Universität Jena die Rechte studieren ließ, sondern in Heidelberg, weil man im Großherzogtum Baden schon nach neuem, französischen Gesetz lebte. Und dort las man herrlich klare Sätze, wie beispielsweise folgende Definition des Nießbrauchs: "Der Nießbrauch ist das Recht, Sachen, woran einem andern das Eigenthum zusteht, wie der Eigenthümer selbst zu benutzen, jedoch mit der Verbindlichkeit, deren wesentlichen Bestand zu erhalten."

Der "Code civil" blieb seither das Modell eines schlagkräftig und verständlich formulierten Gesetzestextes. Paul Kirchhof, der seit Jahren für ein vereinfachtes Steuerrecht wirbt, muss sich an diesem Vorbild messen lassen. Denn es soll bei der Vereinfachung des Steuerrechts ja auch darum gehen, bei den Bürgern die Bereitschaft, dem Staat einen Teil ihrer Einkünfte zu überlassen, wieder zu stärken. Wer überschaut, warum, in welchem Umfang und wohin sein Geld fließt, mag, so Kirchhof, dankbar für solche Klarheit am Ende sogar gern Steuern zahlen - mit zufriedenem Blick auf neue Straßen, gute Schulen, höfliche Polizisten.

"Steuern sind Abgaben zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben ohne besondere Gegenleistung." So hebt Kirchhofs neuer Entwurf an. "Eine Steuer belastet die finanzielle Leistungsfähigkeit des Betroffenen. Sie wird erhoben, wenn der Steuerpflichtige die Erwerbsbedingungen genutzt hat, die die ihm die Rechtsgemeinschaft bietet." Schön gesagt!

Und es geht in den Kopfartikel erst einmal so gut weiter, bei der Definition der Steuerarten (nur vier), der Beschreibung des "Belastungsgrunds der Steuer", bis hin zur Festlegung der "Obergrenze der Gesamtbelastung" für den einzelnen Bürger: "Die jährliche Belastung aus Steuern darf die Hälfte des jährlichen Einkommens nicht übersteigen (Obergrenze). Dabei ist die Belastung mit Umsatzsteuer und Verbrauchssteuern mit 20 von Hundert des Einkommens anzusetzen. Die Erbschafts- und Schenkungssteuer bleibt in diesem Belastungsvergleich unberücksichtigt. Übersteigt die individuelle Jahresbelastung die Obergrenze, ist bis zu einer gesetzlichen Korrektur die verlangte Einkommenssteuer entsprechend zu mindern."

Kein Zweifel: An solchen Formulierungen wurde lange gefeilt, und eine erste Durchsicht, beispielsweise aus der Sicht des Selbstständigen, der Rechnungen stellen muss, ergibt, dass dieses Niveau in vielen einzelnen Bestimmungen eingehalten wird. Fachleute müssen beurteilen, ob ein fatales Prinzip der Gesetzgebung hier nicht doch greift: Je kürzer der Haupttext umso länger das Kleingedruckte, die Ausführungsbestimmungen.

Aber vorerst darf man sagen: Zum Lesen und Träumen eignet sich Kirchhofs Text ganz vorzüglich. Der Traum aber handelt nicht einfach von niedrigeren Steuern, sondern auch davon, nicht mehr so viel Lebenszeit für dieses blöde Thema verschwenden zu müssen.

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