Kirche und Moderne:Ehekrise

Die katholische Familiensynode wirft ihre Schatten voraus: Dürfen Geschiedene wieder heiraten und die Kommunion empfangen? Ein erster Debattenbeitrag sucht einen erstaunlich windungsfreien Weg.

Von Rudolf Neumaier

Sehr bald schon wird sich entscheiden, welche Richtung die katholische Kirche einschlagen will. Wird sie weltoffener oder bleibt sie dogmatisch? Kann und will Papst Franziskus ihre Lehre in neue Bahnen lenken? All das scheint sich an einer Frage zu entscheiden, die in der säkularen Welt eher befremdlich wirkt: Dürfen Katholiken, die sich scheiden lassen und wieder heiraten, die Kommunion in Empfang nehmen? Bisher verneinen maßgebende Kleriker dies, während Universitätstheologen immer wieder Wege finden, wie sich die Bibel anders, also menschenfreundlicher und moderner interpretieren ließe. Drei Monate vor der entscheidenden Bischofssynode in Rom gewinnt die Debatte zwischen Beharrern und Reformern an Fahrt.

In der Jesuiten-Zeitschrift Stimmen der Zeit hat soeben der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper das Wortgefecht mit einem entschiedenen Plädoyer für mehr Barmherzigkeit eröffnet und für einen anderen Umgang mit Menschen, die geschieden sind und in einer neuen Beziehung leben. An der Unauflöslichkeit der Ehe gebe es tatsächlich und grundsätzlich nichts zu rütteln, schreibt Kaspar. Um dann einen erstaunlich kurvenfreien Ausweg einzuschlagen.

Er führt ihn unter anderem über Thomas von Aquin, Benedikt XVI. und das Neue Testament selbst zu logischen Argumenten für Reformen. Bei Aquin liest er, dass Beichtväter "von der Vollmacht zu binden und zu lösen in einer der jeweiligen Situation angemessenen Weise Gebrauch machen" können. Papst Benedikt XVI., einen besonders beharrlichen Dogmatiker in Ehe-Fragen, führt Kasper als Kronzeugen dafür an, dass die "recht verstandene Hermeneutik der Kontinuität praktische Reformen und damit ein Moment der Diskontinuität" einschließe. In diesem Sinne sei das Evangelium stets "in seiner ewigen Neuheit zu erschließen". Das heißt: Es muss ständig neu interpretiert werden.

Roms Dogmatikern und Amtsklerikern wird übel, wenn sie solche Aufrufe lesen. Sie haben sehr alte Deutungen der Bibel und davon abgeleitete Lehren zu vertreten. Wer als Geistlicher Karriere machen will, wird auf Herz und Nieren geprüft, ob er ihre alten Dogmen vertritt. Folglich sitzen an den entscheidenden Stellen denkbar reformunwillige Männer.

Man könnte Kaspers Ja-Aber in der Frage der Unauflöslichkeit der Ehe als Widerspruch in sich auslegen. Und das tun die Gegner von Reformen auch. Ein Publizist hält ihm auf der konservativen Internetseite kath.net Denkfehler vor, der Kardinal schreibe "oberflächlich gefällig" und sei unglaubwürdig. Der Kommentator, ein Jurist, ist geschieden und will nicht wieder heiraten: Wahres Christentum erfordere Opfer, sagt er. Ob widersprüchlich oder nicht, fintenreich ist Kaspers Beitrag allemal. Er schließt mit einem Appell: Die Wahrheit der unauflöslichen Ehe würde "ohne die Zärtlichkeit und Barmherzigkeit zu einem starren und kalten System". Und die biblische "Mahnung, ,in der Wahrheit Christi zu bleiben', schließt die andere, ,in der Liebe Christi zu bleiben'" ein. Die Bischofssynode entscheidet, ob ihre Kirche menschlicher wird oder sie sich weiterhin für göttlich hält.

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