Kinophänomen:Komm nach Deutschland, Pepe!

Kinophänomen: Da kiekste: Im Kino-Hit "Perdiendo el norte" versuchen junge Spanier ihr Glück in Berlin - und scheitern am Kauf von S-Bahn-Tickets.

Da kiekste: Im Kino-Hit "Perdiendo el norte" versuchen junge Spanier ihr Glück in Berlin - und scheitern am Kauf von S-Bahn-Tickets.

(Foto: Warner)

Zwei junge Spanier wandern nach Berlin aus, um dort ihr Glück zu finden. Klingt nach Realität? Ist aber der Kinohit der Saison in Spanien.

Filmkritik von Thomas Urban

Das Glück liegt im Norden, und damit meinen zwei junge Spanier: Deutschland. "Perdiendo el norte", Verloren im Norden, ist der Titel einer Filmkomödie, die derzeit ein Riesenhit in Spanien ist, und der im übertragenen Sinne noch eine weitere Bedeutung hat: den Kompass verlieren, sich nicht mehr im Leben zurechtfinden.

Der Spielfilm des Telenovela-erprobten Regisseurs Nacho García Velilla wirft ein Schlaglicht auf die "verlorene Generation" Spaniens. Also jene verzweifelten jungen Leute, die trotz guter Uniabschlüsse wegen der Wirtschaftskrise keinen Job finden. Genau in diese Lage sind im Film Braulio (Julián López) und Hugo (Yon González) geraten. Der eine verliert seine Arbeit in einem Chemielabor, weil die Forschungsmittel gekürzt wurden; der andere könnte zwar in der Firma des neureichen Vaters seiner Freundin anfangen, möchte aber nicht, weil der Schwiegerpapa in spe ihn wie einen Laufburschen behandelt.

Sagenhafte Perspektiven im Wunderland Deutschland

Dann sehen die beiden in der TV-Sendung "Spanier in der Welt" einen Landsmann, der vor dem Brandenburger Tor die sagenhaften Perspektiven im Wunderland Deutschland anpreist. Also: auf nach Berlin! Dort finden sie Unterkunft in einer WG von Spaniern, drucken ihre Lebensläufe aus, machen Kopien von ihren Diplomen und haben die ersten Vorstellungsgespräche. Dumm nur, dass sie kein Deutsch können - und auch keine Ahnung haben, wie sie sich bei den auf Effektivität getrimmten Personalchefs verkaufen sollen.

Hier reiht das Drehbuch ein Nord-Süd-Klischee an das andere, beide Seiten bekommen ihr Fett ab. Die Bewerbungsrunde endet im Desaster, die Jungs müssen schließlich Jobs bei ihrem Vermieter annehmen. Dieser ist ein Türke, der es mit einem Schickimicki-Kebab-Restaurant zu Wohlstand gebracht hat. Und schon folgt das nächste Klischee: Mit offenem Hemd und Goldkettchen führt er sich auf wie ein Orient-Prolo, und redet auch so: "Bin isch Hakan!" Aber eigentlich ist Hakan ein herzensguter Kerl in mittleren Jahren, hat eine spanische Freundin. Seinen beiden neuen Tellerwäschern will er korrektes Deutsch beibringen und sie in die komplizierte Kunst des Fahrkartenkaufs bei der Berliner S-Bahn einweihen. Das endet damit, dass der steife Deutsche hinter dem Schalter ihm acht Fahrscheine verkauft, die er gar nicht braucht - eine hübsche Szene über den Zusammenprall von gleich drei nationalen Mentalitäten.

So irren die beiden Spanier durch Berlin, Deutsche lernen sie nicht kennen, sie halten sich an Landsleute. Hugo verliebt sich in die WG-Mitbewohnerin Carla (Blanca Suárez), und Braulio lässt sich vom knorrigen alten Nachbarn, einem in Berlin hängengebliebenen spanischen Gastarbeiter, die Deutschen erklären.

Alle Probleme der verlorenen Generation, gepresst in 102 Minuten Film

Den Alten stellt der bekannte Schauspieler José Sacristán dar, in Spanien seit Jahrzehnten ein Star. Mit dieser Rollenbesetzung ist auch klar, was Regisseur Velilla im Sinn hatte: eine Neuauflage des Kultfilms "Vente a Alemania, Pepe/Komm nach Deutschland, Pepe" von 1971. Darin führt der Gastarbeiter Angelino, dargestellt vom jungen Sacristán, stolz in seinem Heimatdorf seinen gebrauchten Mercedes vor.

Deutschland, das Paradies: Soziologen nennen diese Träumereien den "Pepe-Effekt"

Er prahlt so sehr mit seinem tollen Leben in München, dass der Küster Pepe, dargestellt vom Komödianten Alfredo Landa, beschließt, es auch dort zu versuchen. Schnell stellt sich heraus, dass Angelino in München hart arbeiten muss, er hat drei Jobs und wohnt in einer billigen Pension. Doch Pepe lässt sich nicht unterkriegen, putzt Fenster, klebt Plakate. Ganz spanischer Macho, missversteht er die hämischen Bemerkungen von zwei deutschen Mitbewohnerinnen als Anmache und stellt sich schließlich stolz als Werbefigur für ein Enthaarungsmittel zur Verfügung.

Der Film lässt es im Unklaren, ob Pepe seine Münchner Erfahrungen als demütigend wahrnimmt. Jedenfalls berichtet er später, wie großartig alles gewesen sei. Pepe ging im Film zurück in sein Dorf. Dort erzählt er, dass er in München groß hätte Karriere machen können, aber am schönsten sei es eben doch zu Hause. Spanische Soziologen reden deshalb vom Pepe-Effekt unter Emigranten: Sie sind zu stolz, gegenüber Familie oder Nachbarn in der Heimat ihr hartes Los oder gar Scheitern in der Ferne einzugestehen.

Die Deutschen bleiben blass

Ähnlich halten es Hugo und Braulio im neuen Film in Berlin. Sie gaukeln den Daheimgebliebenen über Skype die tollsten Erfolge vor. Dabei übertreiben sie so sehr, dass Hugos Eltern gemeinsam mit dessen Freundin einen Überraschungsbesuch in Berlin machen, wo dann das ganze Lügengebäude zusammenbricht. Hugo hat genug, er geht nach Spanien zurück, seine Freundin schleppt ihn vor den Traualtar - aber kurz vor dem Jawort flieht er doch zurück nach Berlin, wo die schöne Carla aus der WG auf ihn wartet. Zu Hause müssen seine Eltern, die auf seine lukrative Karriere beim Schwiegervater gesetzt haben, ihre Wohnung räumen, weil sie die Hypothek nicht bezahlen können. Ein Stück Tragikomödie aus der aktuellen Krise.

Braulio springt derweil als Samenspender für die spanische Freundin des Türken Hakan ein, weil dieser unfruchtbar ist. Dann versucht er, Chinesisch zu lernen, und bringt in der Sprachschule mit seiner schlechten Aussprache den Chinesischlehrer zur Verzweiflung. Ende offen. So ist García Velilla eine Version 2.0 des spanischen Gastarbeiterdramas gelungen. In Spanien der Überraschungshit des Jahres, denn er hat alle großen Probleme der "verlorenen Generation" in 102 Minuten flotte Komödie gepresst. Die Deutschen allerdings sind in beiden Filmen blass: Sie sind humorlose Beamte, strenge, arrogante Chefs und gänzlich uncharmant mit den Frauen. Aber das haben die Spanier ja schon immer gewusst.

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