Kino: "Wutprobe":Was lange gärt, wird endlich Wut

Jack Nicholson trifft in der Komödie "Anger Management" als Psychiater mit nicht wenigen durchgeknallten Patienten zusammen - doch ist nie ganz klar, wer nun auf die Couch gehört.

SUSAN VAHABZADEH

Die Welt braucht dringend eine Therapie, aber hinterher ist man ja immer klüger. Der eine will Präsident werden, der andere Diktator, und erst, wenn es soweit ist, dämmert einem, dass ein Therapieplatz zur rechten Zeit sich als feine Sache fürs soziale Umfeld erweisen kann. Es war also genau genommen an der Zeit, dass das Kino eine Hymne abliefert an den Behandlungsbedarf und die Segnungen der modernen Seelenklempnerei. Genau das ist Peter Segals "Die Wutprobe", im Original mit dem schönen, dem entsprechenden Fachlatein entliehenen Titel "Anger Management" versehen. Wut ist gut. Vorausgesetzt, man hat seine fünf Sinne beisammen

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SZ v. 08.05.2003

Dave (Adam Sandler), ein in New York aufgewachsener Neurotiker, wird beispielsweise nie wütend. Geistig gesund ist er aber deswegen noch lange nicht: Er ist nicht in der Lage, seiner Freundin Linda (Marisa Tomei) am Flughafen einen Abschiedskuss zu geben, weil ihn ein Kindheitstrauma plagt - runtergezogene Hose während des ersten Kussversuchs bei einem Straßenfest. Ob sie ihn heiraten will, kann er Linda auch nicht fragen, weil sein Selbstwertgefühl sich im nicht messbaren Bereich befindet. Sein Boss darf ihn rumschubsen. Er ist seinem Sitznachbarn im Flieger schutzlos ausgeliefert. Versucht, Kopfhörer zu bekommen, kriegt aber keine, und irgendwie, ohne sich zu bewegen oder die Stimme zu heben, findet er sich plötzlich vor Gericht wieder: die Stewardess hat einen ausgerenkten Arm, der Flieger hat umdrehen müssen, und Dave wird zu 20 Stunden in einer Selbsthilfegruppe verurteilt, in der man sich am Wiedergewinn der Herrschaft über die Wut, dem anger management versucht. Die Gruppe wird von Sandlers Sitznachbar aus dem Flieger geleitet, dem Psychotherapeuten Buddy Rydell (Jack Nicholson) - und obwohl der doch eigentlich wissen müsste, dass Dave eher ein paar Gefühlsausbrüche mehr gebrauchen könnte, lässt er ihn nicht von der Angel. Schlimmer noch: Erst verdoppelt er ihm die Therapiestunden, dann reitet er ihn in den nächsten Gerichtsprozess hinein, bietet aber großmütig an, ihn zu retten. Von da an wird alles immer schlimmer.

Nicholson, den Meister des subtil Dämonischen, als Arzt zu besetzen, ist geradezu gemein - als hätte quasi einer aus dem Kuckucksnest die Anstaltsleitung übernommen. Klar, dass er Sandler nach Kräften quält. Es ist allerdings, so krank das klingt, sehr lustig, wie er ihn langsam in den Wahnsinn treibt. Nicholson hat neuerdings - es gibt ein paar Szenen in "About Schmidt", denen man das bereits deutlich anmerkt - den Spaß an der Klamotte entdeckt, am Grimassenschneiden und Übertreiben und daran, die Sau rauszulassen. Ungefähr so hat er dann auch seinen irren Therapeuten angelegt - er benimmt sich wie der Teufel von Eastwick im Vollrausch, was, wenn man sich darauf einzulassen gewillt ist, ungeheuren Spaß macht. Weil die Lust, mit der er diese Rolle spielt, ansteckend wirkt.

Daheim in den USA ist Nicholson verrissen worden für seinen Buddy Rydell - er habe sein Spiel, wird ihm vorgeworfen, auf das Niveau von Adam Sandler runtergeschraubt; was eh nur Sinn ergibt, wenn man Sandlers Klamauk für anrüchig hält. Genau genommen grenzt die selbstvergessene Leichtigkeit, mit der sich die beiden in manchen Szenen verlieren, allerdings an Monty Python. Das schönste Beispiel dafür ist eine Szene, in der Buddy Dave am aggressiven Autofahren hindert, indem er ihn zwingt, mitten im Berufsverkehr anzuhalten und "I feel pretty" aus "West Side Story" zu singen. Dave bockt, verliert auch diesen Machtkampf, singt das Lied aber dann, ohne eine Miene zu verziehen und als sei es die natürlichste Sache der Welt, in einer der Musical- Maria angemessenen Tonlage und mit spanischem Akzent. Bei John Cleese würde das jeder zu würdigen wissen. Und bei Sandler ist es genauso komisch.

Ein vollkommener Film ist "Die Wutprobe" nicht - die Auflösung ist weder besonders elegant und noch sehr originell, und im Mittelfeld gerät die Therapie ein wenig zur Nummernrevue: jeden Tag ein neuer Sketch: Die meisten dieser Sketche sind aber ziemlich gelungen. In der Selbsthilfegruppe proleten sich John Turturro und Luis Guzmán gegenseitig an, Woody Harrelson - als bildschöne Galaxia, mit blonder Perücke und auf Stöckelschuhen - erteilt eine Lektion in Sachen Homophobie und Buddy, der aus therapeutischen Gründen bei Dave einzieht, will nachts nackt kuscheln. Irgendwann ist dann relativ klar, dass Buddy selber ein Choleriker ist - er hat die Sache halt nur einigermaßen im Griff, was heißen soll, dass er weder Gefahr läuft, irgendetwas Magengeschwürverursachendes herunterzuschlucken, noch planlos in der Welt herumwütet.

Die Komödie also zur Lage der amerikanischen Nation? Man kann die Geschichte durchaus in den falschen Hals kriegen, was in einigen amerikanischen Verrissen durchklingt - als Rechtfertigung cholerischer Überreaktionen -"Crazy Shrink Treats The Last Sane Man", titelte die New York Times. Zu den bezauberndsten Eigenschaften Hollywoods gehört es, Projektionsflächen zu schaffen, die für viel mehr Raum bieten als für simple Komödien. In "Die Wutprobe" gibt es, von ein paar sehr hübschen Patriotismus- Gags am Anfang abgesehen, beispielsweise die Sache mit der Leuchtreklame auf Adam Sandlers Haus, die mindestens dreimal auftaucht, was kein Zufall sein kann, und auf der ein Soldat zu sehen ist - "An Army of One" steht da. Vielleicht ist diese Komödie tatsächlich tiefer im Jetzt und Hier verwurzelt, als es auf den ersten Blick scheint; aber ihr Verhältnis zur Aggression ist ziemlich komplex. Wenn man "Die Wutprobe" also auf die Wirklichkeit beziehen wollte, würden Buddy Rydells Vorschläge zur Rettung der Menschheit sich vermutlich so ähnlich anhören: Wenn Sie behaupten, Sie seien nicht wütend, weil Ihnen ein halber Stadtteil um die Ohren geflogen ist, muss ich Ihre Therapiezeit leider verdoppeln. Wenn Sie aber nochmal irgendwen tätlich angreifen, wird sie verdreifacht.

Natürlich kommt sowas nicht vor in "Die Wutprobe". Da gehört es auch nicht hin. Aber jeder richtig gute Analytiker würde von seinem Patienten verlangen, er möge gefälligst seine eigenen Schlüsse ziehen - und was auf der Couch gut ist, kann im Kinosessel nicht ganz schlecht sein.

ANGER MANAGEMENT, USA 2003 - Regie: Peter Segal. Buch: David Dorfman. Kamera: Donald McAlpine. Schnitt: Jeff Gourson. Mit: Adam Sandler, Jack Nicholson, Marisa Tomei, Luis Guzmán, Lynne Thigpen, Woody Harrelson, John Turturro, John C. Reilly, Nancy Walls, Kevin Nealon, Heather Graham, Krista Allen, Harry Dean Stanton, Rudy Giuliani. Columbia, 106 Minuten.

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