Kino:Wunder und Wunden des Orients

Das 34. Filmfest München ist mit zahlreichen Preisverleihungen zu Ende gegangen. Sowohl das Publikum als auch die Jury zeichnen persisch-französische Werke aus

Von Susanne Hermanski

Wer einen Film macht, muss Qualität liefern wollen. Schließlich stecken mindestens 100 Menschen ihre Arbeit hinein. Außerdem ist Filmemachen viel zu teuer, als dass man ungestraft Schwachsinn produzieren dürfte." Stéphane Tchalgadjieff ist da streng - auch wenn dieses Zitat aus einer jener legeren Runden stammt, zu denen das Münchener Filmfest seine Gäste gelegentlich zum Networking-Lunch lädt. Tchalgadjieff ist US-Produzent mit bulgarischen Wurzeln, er saß in diesem Jahr in der Jury des wichtigsten Preises des Filmfests - dem mit 50 000 Euro dotierten Arri/Osram Award für einen Film aus der Reihe "Cinemasters". Die Schauspielerin Pegah Ferydoni, bekannt aus "Türkisch für Anfänger", und Alt-Bürgermeister Christian Ude - Kategorie "Münchnerisch für Fortgeschrittene" - gehörten ebenfalls dazu. Folgerichtig zu Tchalgadjieffs Thesen haben sich die drei dann auch entschieden: für "The Salesman" von Asghar Farhadi.

Für sein subtiles Familiendrama erhielt der Filmemacher (Oscar-Preisträger für "Nader und Simin - Eine Trennung") bereits in Cannes den Preis für das beste Drehbuch und sein Hauptdarsteller Shahab Hosseini den Preis als bester Schauspieler. Asghar Farhadi erzählt diesmal von einem jungen Paar in Teheran, das in eine neue Wohnung zieht. Emad und Rana ahnen nicht, dass die vorherige Mieterin ein nicht ganz einwandfreies Leben geführt hat. Und sie werden prompt von diesem zweifelhaften Lebenswandel der Vormieterin eingeholt. "Wir haben uns dazu entschieden, den Preis einem Film zu geben, den wir zugleich zeitgenössisch und universell fanden", schrieb die Münchner Jury in ihrer Begründung, "und, noch wichtiger: wegweisend für die Zukunft". Denn die französisch-iranische Koproduktion "The Salesman" weise "uns eine Alternative zur vorherrschenden männlichen Problemlösungsstrategie der Rache und Vergeltung", so die Jury. "Das Schöne an diesem Film ist, dass er weibliche Denkmuster aufzeigt - mit einer Intelligenz nicht nur des Hirns, sondern auch des Herzens. Um es mit dem französischen Lyriker Louis Aragon zu sagen: ,L'avenir de l'homme est la femme. Die Zukunft des Mannes ist die Frau."

Kino: Jobben zu Dritt im Imbiss: Kheiron (rechts) spielt seinen Vater Hibat, Frankreichs Jungstar Leïla Bekhti (Paris, je t'aime) verkörpert seine Mutter.

Jobben zu Dritt im Imbiss: Kheiron (rechts) spielt seinen Vater Hibat, Frankreichs Jungstar Leïla Bekhti (Paris, je t'aime) verkörpert seine Mutter.

(Foto: Boxfishfilms)

In Teheran nimmt auch der diesjährige Lieblingsfilm des Münchner Filmfestpublikums seinen Ausgang: "Nur wir drei gemeinsam". Die Komödie des persischstämmigen Franzosen Kheiron gewannt in diesem Jahr den Bayern 2- und SZ-Publikumspreis. Mit Herzenswärme und Witz erzählt darin der Schauspieler und Komiker Kheiron die Geschichte seiner Eltern, die 1984 mit ihm als Kleinkind aus Persien nach Frankreich geflohen sind. Und Kheiron gelingt in seinem Debüt als Regisseur der seltene Spagat zwischen politischer Brisanz und bester Unterhaltung. Er selbst spielt in dem Film die Rolle seines Vaters Hibat. Der hatte schon im Teheran der siebziger Jahre jede Menge Ärger auf sich gezogen. Weil sie sich über den Schah lustig machten, landeten er und einer seiner fünf Brüder sogar für eine Zeit im Gefängnis und werden dort gefoltert. Ja, auch die tragische Komponente ist gekonnt erzählt in "Nur wir drei gemeinsam". Sechs weitere Schwestern und seine entzückenden Eltern bangen um die Brüder.

Als Ayatollah Khomeini die Macht im Land übernimmt, wird die Lage für Habit keineswegs besser. Er und seine junge Frau, die Krankenschwester Ferestheh, fliehen auf dramatischen Wegen über verschneite Gebirgszüge. Sie landen schließlich in den Pariser Banlieues, wo es jede Menge Anlass für Situationskomik gibt: So verpasst Kheirons Mutter zum Beispiel den streng muslimischen Frauen dort erst einmal Aufklärungsunterricht. "Es hat keinen Sinn, bei jedem Bild, das ich zeige, Allah um Vergebung anzurufen, Nadja. Das ist Biologie." - "Dann, Allah, vergib der Biologie!" ruft Besagte und blinzelt durch die Finger auf das Dia mit dem gezeichneten,unbekleideten Paar. Kheirons Vater gelingt es unterdessen, neben diversen Jobs auch noch sein Jurastudium durchzuziehen.

Der "echte" Kheiron arbeitete nach seiner Schulzeit zunächst vier Jahre lang als Erzieher in einem Jugendprojekt und verfolgte seine künstlerische Laufbahn als Rapper und Stand-up-Comedien nebenher. Seine ersten Fernsehauftritte hatte Kheiron, der unter dem bürgerlichen Namen Nouchi Tabib auf die Welt gekommen ist, im Jahr 2007. Als Vorbilder nennt er amerikanische Komiker wie Jerry Seinfeld, Dave Chapelle, Chris Rock sowie den Briten Eddie Izzard. Fast jeder, der seinen Film zum besten des diesjährigen Festivals gewählt hat, dürfte Kheiron persönlich in München erlebt haben. Denn er war zu beiden Vorstellungen seines Films ins City Kino gekommen. Und er hatte, wie auf dem Filmfest üblich, im Anschluss noch viele Fragen der Zuschauer beantwortet.

Wer "Nur wir drei gemeinsam" nun ganz regulär im Kino sehen möchte, muss sich nicht lange gedulden. Die Komödie läuft seit diesem Wochenende bereits bundesweit. Den Verleih hat Christoph Ott von der Produktions- und Verleihfirma NFP übernommen. Ott hat am Samstagabend bei der großen Award-Zeremonie des Festivals im Gasteig den Preis entgegengenommen und in Auftrag von Kheiron ein Grußwort vorgetragen. Unter allen Filmfestbesuchern, die sich an der Abstimmung beteiligt haben, wurde eine Reise für zwei Personen zu den Filmfestspielen in Venedig im September 2016 verlost.

Preise 2016

Arri/Osram Award 2016 für die Cinemasters-Reihe: "The Salesman" (Forushande), Frankreich/Iran 2016; Regie: Asghar Farhadi

Lobende Erwähnung: "Rabin The Last Day", F/Israel 2015; Regie: Amos Gitai

Cinevision Award für den besten internationalen Nachwuchsfilm: "Divines", Frankreich/Katar 2016, Regie: Houda Benyamina

Lobende Erwähnung: "Bella e Perduta", Italien 2015, Regie: Pietro Marcello

Förderpreis Neues Deutsches Kino beste Regie: "Die Hände meiner Mutter", Florian Eichinger; bester Darsteller: "Die Hände meiner Mutter", Andreas Döhler; beste Produktion: "Haus ohne Dach", Jana Raschke und Igor Dovgal; bestes Drehbuch: "Dinky Sinky", Mareille Klein

Der Bayern-2- und SZ-Publikumspreis für den Lieblingsfilm des Münchner Publikums: "Nur wir drei gemeinsam", Frankreich 2016, Regie: Kheiron

Kinderfilmfest-Publikumspreis der Lieblingsfilm des jungen Publikums: "Auf Augenhöhe", Deutschland 2016 Regie: Evi Goldbrunner, Joachim Dollhopf

sz

Wie sehr das Thema Migration und die Folgen gleichermaßen Publikum wie Fachjurys bewegt, stellt eine weitere wichtige Preisvergabe unter Beweis: Mit dem Cinevision Award für den besten internationalen Nachwuchsfilm wurde "Divines" von Houda Benyamina ausgezeichnet. Auch sie ist Französin und Tochter von Einwanderern. Ihre Eltern stammen aus Marokko.

Ihren ersten FIlm lässt sie in einem Ghetto spielen. Dort existieren Glaube und Gefahr, Religion und Rausch eng nebeneinander. Ihre Hauptfigur Dounia sehnt sich nach dem, was sie am meisten entbehrt: Macht und Erfolg. Gemeinsam mit ihrer Freundin Maimouna beschließt sie, ihrem Role-Model zu folgen, dem einzigen, das sie hat: der Dealerin Rebecca. Doch dann begegnet sie Djigui, einem sensiblen Tänzer, und ihre ohnehin chaotische Welt wird in den Grundfesten erschütteert. In Cannes gewann Houda Benyaminas Porträt einer Jugend in Aufruhr die Goldene Kamera. Die Münchner Jury überzeugte die "unbändige Kraft" mit der sie in ihrem Debüt "von dem Aufstieg und Fall eines 16-jährigen Mädchens in einer von Männern dominierten Welt erzählt". Zur Jury gehörten die Schauspielerin Sibylle Canonica ("Jenseits der Stille"), der designierte Geschäftsführer des Gasteig, Max Wagner, sowie der deutsche Regisseur und Produzent Amir Hamz ("Die dunkle Seite des Mondes").

Von der deutschen Filmszene wird alljährlich mit der größten Spannung der Förderpreis Neues Deutsches Kino erwartet. In diesem Jahr war dessen Hauptgewinner "Die Hände meiner Mutter". Florian Eichinger erhielt dafür die Auszeichnung für die Beste Regie, sein Hauptdarsteller Andreas Döhler den Schauspielerpreis. Döhler verkörpert darin einen jungen Familienvater, der sich plötzlich an etwas erinnert, das er lange verdrängt hatte: Als Kind ist er von seiner eigenen Mutter missbraucht worden.

Zur Jury gehörten: Nicole Gerhards, Dietrich Brüggemann und Johann von Bülow. Auch im Portfolio ihres deutschen Förderpreises taucht das Thema Migration unweigerlich auf: Den Förderpreis Produktion gaben sie an Jana Raschke und Igor Dovgal für "Haus ohne Dach". In diesem Film erzählen Mehmet Aktas und Soleen Yusef von drei Geschwistern, die im kurdischen Teil des Irak geboren wurden und in Deutschland aufgewachsen sind. Um den letzten Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen, müssen die Drei in die alte Heimat reisen und die Tote neben ihrem Mann beerdigen.

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