Kino:Dieser Spider-Man kämpft mit der Pubertät

Kino: Ein "freundlicher Nachbarschafts-Spider-Man" will dieser Peter Parker (Tom Holland) nicht sein.

Ein "freundlicher Nachbarschafts-Spider-Man" will dieser Peter Parker (Tom Holland) nicht sein.

(Foto: Chuck Zlotnick/AP)

So jung wie in "Spider-Man: Homecoming" hat man Peter Parker noch nie gesehen. Gerade deshalb stellt der Film eine existenzielle Frage: Was macht eigentlich einen Superhelden aus?

Von Philipp Bovermann

Die meisten Männer reden da heutzutage nicht mehr so gern drüber, es ist ihnen irgendwie peinlich. Sie sind schließlich keine kleinen Jungs mehr und finden Feminismus gut. Aber es gibt dann doch diese schwachen Momente, da wollen sie mit einem Arm Schulbusse anheben können, an Lianen durch Häuserschluchten schwingen und kopfüber von einem Spinnenfaden hängend hinreißende Frauen küssen, sofern Frauen denn ihr Ding sind. "Spider-Man: Homecoming" hat ein sehr ungezwungenes Verhältnis zu solchen kraftmeierischen Fantasien.

Besonders intensiv treten diese Träume gewöhnlich in jenem Alter auf, in dem sich der Körper verändert, in dem man sich abwechselnd wie ein Superheld und wie eine Spinne fühlt, als welche man am liebsten Wände hochklettern würde, wenn die hinreißenden Frauen herübergucken. Peter Parker ist in der Pubertät, das macht ihn zu einem Superhelden mit High-School-Problemen.

Was zuvor in seinem Leben passiert ist - von radioaktiver Spinne gebissen, Onkel Ben gestorben, "Mit großer Macht kommt große Verantwortung" - setzt der Film als bekannt voraus. Keine schlechte Entscheidung, denn diese Herkunftsgeschichte wurde seit der Jahrtausendwende schon zweimal in großen Kinofilmen gezeigt. Die ältere Zielgruppe kennt sie, und die jüngere wird sich an der fehlenden Herleitung nicht stören, hat sie doch dank der Altersfreigabe ab zwölf Jahren hier wahrscheinlich den größten Spaß. Unterschwellig ist "Spider-Man: Homecoming" ein Familienfilm, wenn auch nicht, oder nicht nur, im herkömmlichen Sinn.

Wie kann ich ein "Avenger" werden?

Im Zentrum steht die berechtigte Frage, wie man ein Superheld wird - ein Spinnenbiss und die daraus resultierenden Superkräfte allein reichen dafür offenbar nicht aus. In dem fiktiven Universum, in dem wir uns hier bewegen, dem filmübergreifenden Marvel Cinematic Universe, heißt das ganz konkret: Wie kann ich ein "Avenger" werden? Das ist die eingespielte Marvel-Superheldentruppe um Heroen wie Iron Man, Captain America, Thor, Hulk und viele andere, verkörpert von Schauspielern, die ihrer Rollen langsam müde werden.

Chris Evans, der Captain America spielt, hat erst vor Kurzem erneut seinen Ausstieg angedeutet, und auch Robert Downey Jr. als Tony "Iron Man" Stark merkt man an, dass er nach sechs Auftritten für Marvel eigentlich keine Lust mehr hat. Hier tritt er, ziemlich trüb, als Mentor und Ersatzvater für Peter Parker auf - der halbstarke Spider-Man soll die "Avengers" verjüngen. Den wiederum spielt der 21-jährige Tom Holland, ein quietschfideles Bürschchen, das genau die Energie mitbringt, die seinem altgedienten Kollegen fehlt.

Iron Man wünscht sich einen "freundlicher Nachbarschafts-Spider-Man"

So überschneiden sich hier produktionstechnische und dramaturgische Probleme, von den juristischen noch gar nicht zu reden. Die Filmrechte an Iron Man und den meisten anderen Avengers hat der Marvel-Verlag nämlich an seinen Mutterkonzern Disney vergeben, die Kinoauswertung der Figur Spider-Man hingegen schon vor Jahren an Sony Pictures. Wenn Tom Holland als "Spider-Man" also kurz in "Captain America: Civil War" auftaucht (wie im Frühjahr 2016 geschehen) oder Tony Stark jetzt Peter Parker die Räuberleiter gibt, ist das ein narratives Joint Venture, um das ohnehin schon gewaltige Marvel Cinematic Universe über die Grenzen des Disney-Imperiums hinaus zu verknüpfen.

Regisseur Jon Watts erzählt das nach einem Schema, das problemlos auch in die Fünfzigerjahre gepasst hätte. Es gibt tolle psychoanalytische Deutungen des Hollywood-Kinos dieser Zeit, und man könnte auch hier locker eine versuchen. Tony Stark alias Iron Man ist nämlich eine doppelte Vaterfigur - einmal als Mentor aus Fleisch und Blut und einmal als Träger jener Hightech-Rüstung, die ihn erst zum Superhelden macht.

Diese Rüstung führte schon immer ein gewisses Eigenleben, man kann sie sogar fernsteuern. Und so rettet Stark seinen jungen Schützling tatsächlich einmal per Remote Control und hält ihm anschließend eine Standpauke, ohne überhaupt selbst in dem Anzug zu stecken. Diese leere Rüstung, der "eiserne Mann", der hier strenge Regeln aufstellt - ist das nicht exakt die Verkörperung dessen, was der Psychoanalytiker Jacques Lacan den "symbolischen Vater" genannt hätte? Dieser verkörpert innerhalb der patriarchalen Ordnung das abstrakte Gesetz. Um den Sohn in die Welt dieser Ordnung aufzunehmen, fordert er den Triebverzicht, also die Kastration. Er verlangt von Peter, ein "freundlicher Nachbarschafts-Spider-Man" zu sein und "am Boden" zu bleiben. Er sei noch nicht reif und solle erst einmal die Schule fertig machen.

"Wenn du nichts ohne diesen Anzug bist, solltest du ihn nicht tragen"

Aber Peter will natürlich höher hinaus, klar. Er sucht das Verbrechen, schwingt zu Punkmusik ("Hey! Ho! Let's go!") durch die Straßen und macht dabei Selfies, findet aber erst mal nur Fahrraddiebstähle. Dann gerät er schließlich doch noch an einen echten Widersacher, den "Geier", der gestohlene Alien-Waffen verkauft. Michael Keaton spielt ihn, eine Anspielung auf seine Rolle im oscargekrönten "Birdman", die wiederum seine frühere Betätigung als "Batman" auf die Schippe nahm. Wie sich herausstellt, ist er der Vater von Peter Parkers High-School-Freundin. Statt der gefürchteten mahnenden Worte am Abend vor dem "Homecoming"-Schulball gibt es also einen Kampf um Leben und Tod auf einem abstürzenden Flugzeug.

Beide Väter, Tony Stark und "der Geier", haben ihre Rüstungen, auch Peter hat Hightech-Equipment in seinem Spider-Man-Anzug. Sein Mentor Stark aber hat den "Stützrädermodus" aktiviert, damit der Jungspund noch nicht auf alle Funktionen zugreifen kann. "Wenn du nichts ohne diesen Anzug bist, solltest du ihn nicht tragen", sagt er. Das scheint Peter wohl einzuleuchten. Er spannt seine Muskeln an - und stemmt mit bloßen Armen ein riesiges Wrackteil in die Luft. Also merkt euch das, liebe Kinder: Um ein wahrer Superheld zu sein, reichen nicht nur die Gadgets vom Papa. Dazu gehört ein bisschen mehr. Man braucht schon auch noch jede Menge Bizeps.

Spider-Man: Homecoming, USA 2017 - Regie: Jon Watts. Kamera: Salvatore Totino. Mit: Tom Holland, Michael Keaton, Robert Downey Jr., Marisa Tomei. Sony, 133 Minuten.

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