Kino: "Stellvertreter":Unsichtbarer Aufstand

Costa-Gavras hat den "Stellvertreter" von Rolf Hochhuth verfilmt

FRITZ GÖTTLER

Der lange leere Zug, der durch die mitteleuropäischen Ebenen zieht, gleichgültig stampfend in weiten Totalen, das ist das immer wiederkehrende Bild, das diesem Film seinen Rhythmus gibt. Ein Symbol - die Türen der Waggons stehen offen, damit alle sehen, dass der Zug leer ist, er ist unterwegs um Nachschub zu holen, für die Lager, die Gaskammern der Nazis. Die Mechanik des Todes wird sichtbar, die nicht angesprochen wurde in dem Stück "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth, das 1963 für Aufsehen sorgte auf den Bühnen in aller Welt.

Kino: "Stellvertreter": undefined
(Foto: SZ v. 29.05.2002)

Was hat die Juden bewogen, damals, diese Waggons zu besteigen, fragt sich heute Mathieu Kassovitz, der den Pater Fontana spielt, einen jungen streitbaren Jesuiten, der den Papst Pius XII. aufrütteln, zu öffentlichem Protest gegen den Holocaust bewegen will. Und der schließlich, als vatikanische Diplomatie und politische Zurückhaltung dominieren, Zuflucht sucht in einem Akt demonstrativer Solidarität, mit einem gelben Stern ins KZ geht. Hätte ich mit Widerstand reagiert, zur Knarre gegriffen, fragt sich Kassovitz, der bekannt wurde als Regisseur für aggressives Kino, "La Haine" oder "Die purpurnen Flüsse". Er sieht sich, filmhistorisch, als Kind von Costa- Gavras - den er bewundert für die kompromisslose Souveränität, mit der er seine Geschichten vorbringt - und von Spielberg, und auch des Splatter-Kinos von Romero und Raimi.

Costa-Gavras ist ein naiver Filmemacher geblieben, aber natürlich weiß er um den professionellen Hintergrund von Kassovitz. So wie er auch die Echos zu nutzen weiß, die an seinem Drehort mitklingen, dem riesigen Palast des einstigen rumänischen Diktators Ceausescu. Drei verschiedene Lichtströmungen habe ich in diesem Film geschaffen, erzählt er, das kalte Licht der Nazi-Speer- Bauten, dann das Polarlicht der KZs, schließlich das freie Licht in Rom - die Familienszenen im Kreis des Vatikan sind geprägt von einer Mischung aus Savoir- vivre und Gespanntheit.

1969, ein paar Jahre nach Hochhuth, hat Costa-Gavras selber für Furore gesorgt durch seinen Film "Z", ein Pamphlet gegen die Militärdiktatur in Griechenland. Der Film wurde bei den Linken begeistert aufgenommen, seines Engagements wegen, aber danach schnell zum Streitfall in der Diskussion, was politisches Kino sein kann und sein soll - weil er sich nur um die richtigen Inhalte kümmerte und nicht einsehen wollte, dass alle Inhalte über Formen, über Erzähl- und Abbildungs- und Sehprozesse erst geschaffen werden. Der neue Film - "Amen" im Original, in der deutschen Version nach dem Stück "Der Stellvertreter" - hat auf der Berlinale und danach beim Start in Frankreich vor allem durch sein Plakat für Aufsehen gesorgt, das ein Kreuz mit einem Hakenkreuz verschmolz. Eine Provokation des einstigen Benetton-PR-Chefs Olivier Toscani. Auch der träumt vom effektiven Politslogan, strengt sich an die Sachen politisch auf den Punkt zu bringen.

Die Formen reflektiert Costa-Gavras auch in seinem neuen Film nicht, die Botschaft ist ihm wichtig, und sie ist zeitlos - ein Plädoyer gegen die Indifferenz, gegen das Zuschauen, das "Ich kann sowieso nichts machen". Der Film ist ein Aufruf zum Widerstand - nicht mal heute, sagt Costa-Gavras, kann man sich wirklich in Sicherheit fühlen vor den Gefahren eines neuen Faschismus. Seine Helden versuchen, exemplarisch, andere zum Handeln zu bewegen: der SS- Offizier Kurt Gerstein, gespielt von Ulrich Tukur, und der Pater Fontana. Costa-Gavras macht Gerstein zur Inkarnation von Naivität und Aufrichtigkeit - aber die Nazis verwickeln ihn immer stärker in die Produktion, in den Transport des tödlichen Zyklon B. Gerstein wird gezwungen, durch ein Loch in der Wand zu schauen, um den Effekt des Gases selbst zu prüfen. Costa-Gavras zeigt, anders als Spielberg, nicht das Unvorstellbare, das was jeder Darstellung sich entzieht, den Schrecken des Todes in der Gaskammer, aber er zeigt den Reflex davon auf dem Gesicht Gersteins - und schon hier versagen die Mittel der Fiktion.

Gerstein ist die Unschuld des Handelns, Fontana die Reinheit des Herzens - lange war Kassovitz Model für Lancôme gewesen. Der Film ist nicht akkurat, was die historische Wahrheit angeht, er mischt wirkliche mit erfundenen Figuren. Aber es ist keine direkte Schuldzuschreibung, die er letzten Endes betreibt. Er zeigt die Grenzen einer Politik, eines politischen Handelns auf, das weitgehend auf Repräsentation basiert. Und irgendwie sieht man auch "Z" heute mit anderen Augen, der Film wirkt stellenweise ziemlich komisch - schon deshalb weil der alltägliche Faschismus eine fatale Tendenz zur Klamotte hat.

Irgendwann verliert dann sogar die Tendenz zum Symbolischen einiges von ihrer Wirkung. Die Züge, die leer durch die Landschaft ziehen, das könnte auch ein Element der reinen Bewegung sein, einer Bewegung an sich, die keinen Zwecken mehr dient, politischen nicht und nicht dramaturgischen. Der Traum von einer Freiheit wird spürbar, der am Anfang und am Ende des Kinos steht - und den zu träumen man sich einfach trauen muss.

AMEN, F/D 2002 - Regie: Costa-Gavras. Buch: Costa-Gavras, Jean-Claude Grumberg, nach dem Stück von Rolf Hochhuth. Kamera: Patrick Blossier. Musik: Armand Amar. Schnitt. Yannick Kergoat. Mit: Ulrich Tukur, Mathieu Kassovitz, Ulrich Mühe, Michel Duchaussoy, Friedrich von Thun, Hanns Zischler. Concorde Filmverleih, 130 Minuten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: