Kino:Ohne Harvey

Siebzehn Filme im Wettbewerb: Das 71. Filmfestival von Cannes stellt sein Programm vor, aber heikle Fragen bleiben offen: Warum nur drei Regisseurinnen? Und ist Enfant terrible Lars von Trier nach seiner Verbannung wieder dabei?

Von Tobias Kniebe

Die Verkündung des offiziellen Programms war vorbei, die Fragestunde mit dem Festivalchef beendet - und doch blieb das Gefühl, dass die wichtigsten Themen des 71. Filmfestivals von Cannes noch gar nicht geklärt waren. Die Sache mit Lars von Trier zum Beispiel. Im Jahr 2011 war der dänische Berufsprovokateur nach misslungenen Hitler-Witzen zur Persona non grata erklärt worden. Diesmal aber ist sein Serienkiller-Drama "The House That Jack Built" fertig - mit Matt Dillon in der Hauptrolle und offenbar sehr blutig. Steht da nun eine Versöhnung an, die Rückkehr des Enfant terrible an die Côte d'Azur? Schon möglich, sagte Cannes-Chef Thierry Frémaux auf Nachfrage - das werde sich aber erst in den nächsten Wochen zeigen.

Es kann also offenbar noch Ergänzungen geben zu den 17 Filmen des Wettbewerbs, die Donnerstagmittag in Paris vorgestellt wurden. Zu den bekanntesten Namen darin gehört Spike Lee mit seinem Thriller "BlacKkKlansman", der die wahre Geschichte eines schwarzen Polizisten erzählt, der in Colorado den Ku-Klux-Klan infiltrierte. Außer Lee ist nur noch ein weiterer Amerikaner im Palmen-Rennen - David Robert Mitchell mit seiner Neo-Noir-Studie "Under the Silver Lake". Ron Howards "Solo", die neueste Nebengeschichte aus dem "Star Wars"-Universum, läuft, wie vorher schon bekanntgegeben, außer Konkurrenz.

Der Rest der begehrten Plätze zeigt einen starken Fokus aufs künstlerische Kino, ohne großes Augenmerk auf Stars: Der 87-jährige Jean-Luc Godard ist wieder dabei, mit "Le livre d'image" setzt er unermüdlich seine raunenden Kinoessays fort. Auch Jafar Panahi, in Iran immer noch mit Hausarrest belegt, dreht unbeirrt weiter und präsentiert "Three Faces". Italiens Matteo Garrone zeigt "Dogman", Stéphane Brizé setzt mit "En guerre" seine französischen Sozialstudien mit Vincent Lindon fort, und Cannes-Veteran Wim Wenders darf seine Vatikan-Doku "Papst Franziskus - Ein Mann des Worts" immerhin als Special Screening zeigen. Deutschland entsendet außerdem "In My Room" von Ulrich Köhler in die Nebenreihe Un Certain Regard, was erneut bestätigt, dass Maren Ades Firma Komplizen-Film inzwischen einen sehr direkten Draht zum Auswahlteam von Cannes besitzen muss.

Nur drei Regisseurinnen wurden eingeladen, weil es keine "positive Diskriminierung" geben soll

Wichtiger als einzelne Filmtitel waren dann aber doch übergreifende Themen wie der Wandel der Kinowelt durch die "Me Too"-Bewegung - immerhin ist dies das erste Cannes ohne Harvey Weinstein, der bis voriges Jahr noch so etwas wie das Maskottchen jener transatlantischen Filmkunst-Allianz war, die man an der Croisette so leidenschaftlich beschwört. "Die Welt wird nie mehr dieselbe sein", sagte Thierry Frémaux dazu, "und auch das Festival von Cannes wird nie mehr dasselbe sein." Man bewerte etwa die Rolle der Frauen in der Festivalorganisation und in den Jurys neu, was sich diesmal zum Beispiel in der Ernennung Cate Blanchetts zur Juryvorsitzenden zeige. Im entscheidenden Punkt jedoch blieb Frémaux bei seiner klaren Linie: "Eine positive Diskriminierung zum Vorteil von Frauen wird es in unserer Filmauswahl niemals geben."

Im Klartext bedeutet das: Wir können nichts daran ändern, es gibt wieder nur drei Filme von Regisseurinnen im Wettbewerb. Diese drei sind Alice Rohrwacher mit "Happy as Lazzaro" aus Italien, die libanesische Schauspielerin und Regisseurin Nadine Labaki mit "Capernaum" und die Französin Eva Husson mit "Les filles du soleil". Das letztere Werk, das von kurdischen Soldatinnen im türkisch-syrischen Kriegsgebiet erzählt, war Frémaux eine besondere Ankündigung wert - in seiner Eroberung neuer popkultureller Räume erinnere ihn der Film, in dem Julie Delpy und Golshifteh Farahani Hauptrollen spielen, an den aktuellen "Black Panther"-Welterfolg des schwarzen Kinos: "Das ist wie ein Halleluja - wirklich etwas Neues."

Eröffnet wird das Festival wie gemeldet am 8. Mai mit "Todos Lo Saben / Everybody Knows" des Iraners Asghar Farhadi, der sich immer mehr zum globalen Filmemacher entwickelt. Zuletzt hat er in Paris auf Französisch gedreht, nun aber nahe Madrid, auf Spanisch.

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