"Coco" im Kino:Wenn der Tod kein Ende bedeutet, sondern nur eine schmalere Taille

"Coco" im Kino: Ein Leben ohne Musik ist kein Leben ist, nicht einmal im Jenseits: Miguel (rechts) und Hector.

Ein Leben ohne Musik ist kein Leben ist, nicht einmal im Jenseits: Miguel (rechts) und Hector.

(Foto: AP)

"Coco", der neueste Hit der Pixar Studios, ist ein lustiger Animationsfilm über die Vergänglichkeit des Lebens. Seine Entstehung war trotzdem von politischer Aufregung begleitet.

Von Karoline Meta Beisel

Es gibt im Jenseits keine Toiletten. Das hätte man sich fast schon denken können: Keine funktionstüchtigen Organe, also auch kein Harndrang. Die Frage, die der Film "Coco" ungefähr in seiner Mitte beantwortet, mag also nicht die, nun ja, drängendste sein, die man zum Leben nach dem Tod stellen könnte. Aber unwichtig ist sie auch nicht. Vor allem, wenn man noch gar nicht gestorben ist, sondern sich aus Versehen auf die falsche Seite der Grenze zwischen Leben und Tod verirrt hat, wie es dem zwölfjährigen Miguel Rivera passiert.

Miguel will unbedingt Musiker werden. Sein Idol ist der berühmte, aber leider schon tote Troubadour Ernesto de la Cruz, eine Art mexikanischer Elvis. Miguels Familie hält davon aber gar nichts: Seit seine längst verstorbene Ur-Ur-Omi Imelda von ihrem Mann verlassen wurde, weil der lieber Musiker werden wollte, als sich um die Familie zu kümmern, ist Musik bei den Riveras verboten. Nicht mal in einen Flaschenhals darf Miguel pusten, ohne mit der Schlappe eins drüber zu bekommen.

Am Tag der Toten, jenem Feiertag, an dem in Mexiko der Verstorbenen gedacht wird, will Miguel aus dem Grab von Ernesto de la Cruz eine Gitarre ausleihen, um doch noch beim Talentwettbewerb auftreten zu können - und da passiert es: Miguel landet in der Welt der Toten. Die, und das ist tatsächlich eine drängende Frage, überhaupt nicht schauerlich ist, sondern so bunt und lebendig, dass man sofort vergisst, dass hier alle längst gestorben sind. Als ein Toter Miguel erblickt, fällt ihm buchstäblich die Kinnlade runter. Einen lustiger Animationsfilm über den Tod, das muss man erst einmal hinbekommen.

In Mexiko ist "Coco" der erfolgreichste Kinofilm aller Zeiten

Mit "Coco" hat sich Pixar zum ersten Mal seit 2015 etwas Neues ausgedacht. Ansonsten leidet die Firma unter akuter Fortsetzeritis: Zuletzt liefen "Cars 3" und "Findet Nemo 2", als Nächstes kommen "Die Unglaublichen 2" und "Toy Story 4" - wobei sich Letzterer verzögern könnte: Pixar-Oberboss John Lasseter hat abrupt eine Auszeit genommen, weil etliche Mitarbeiterinnen mit Angrapsch-Vorwürfen an die Öffentlichkeit gingen, und die Drehbuchautoren Rashida Jones und Will McCormack, die im "Toy Story 4"-Team dabei waren, sind wegen "philosophischer Differenzen" ausgestiegen - die kreativen Stimmen von Frauen und Farbigen bekämen bei Pixar kein ausreichendes Gewicht, sagten sie der New York Times. Ein Blick ins Portfolio scheint die Analyse zu bestätigen. Nur bei einem von bis jetzt 19 Filmen des Studios hat eine Frau Regie geführt, und nur bei einem Film ein Regisseur, der nicht aus einer weißen Familie kommt.

Offenbar wirkt sich das auch auf die Geschichten aus: Nur drei hatten eine weibliche Hauptfigur; und "Coco" ist die erste, in der es zwar erneut um einen kleinen Jungen geht, aber immerhin nicht um einen weißen. Zu Beginn zog die Produktion trotzdem erst mal die Wut der mexikanischen Community auf sich - weil Disney versuchte, sich den Begriff "Día de los Muertos" als Marke schützen zu lassen.

Dann aber hat Pixar jedenfalls an der Cultural-Appropriation-Front noch die Kurve bekommen: Die Firma gab den Plan mit der Marke auf und engagierte die schärfsten Kritiker als Berater. Jetzt heißt es im Abspann, dass der Tag der Toten eine mexikanische Tradition sei, "für weitere Informationen besuchen Sie Ihre örtliche Bibliothek." Offensichtlich eine gute Strategie: In Mexiko ist "Coco" der erfolgreichste Kinofilm aller Zeiten.

Der Tod bedeutet hier kein Ende, sondern vor allem eine schmalere Taille

Das liegt aber nicht nur daran, dass bei den kulturellen Bezügen keine Fehler gemacht wurden, sondern vor allem an der zwar nicht total überraschenden, aber herzerwärmenden Geschichte. Das Jenseits ist in "Coco" kein fahler Ort, sondern eine buntere, funkelnde Kopie der Welt der Lebenden, mit Häusern, Theatern und einem Verwaltungsapparat. Der Tod bedeutet hier kein Ende, sondern vor allem eine schmalere Taille: Die Verstorbenen laufen als Skelette umher, ohne Nase, aber mit Augäpfeln, und für den Día de Muertos aufs schönste herausgeputzt. Gemeinsam mit seinen skelettierten Verwandten und dem mitgereisten Hund Dante (!) muss Miguel einen Weg finden, zu seiner lebendigen Familie zurückzukehren - und natürlich die Sippschaft davon überzeugen, dass ein Leben ohne Musik für ihn kein Leben ist, nicht mal im Jenseits.

Die von traditioneller mexikanischer Musik inspirierten Lieder in "Coco" sind dabei zwar eingängig, lassen sich aber nicht so dramatisch schmettern wie etwa "Let it go" aus "Die Eisprinzessin". Für Eltern ist das eine gute Nachricht. Noch dazu kann man mit den Liedern ein paar Brocken Spanisch lernen: "Music is my language and the world is mi familia", singt Miguel etwa, oder "with every beat of my proud corazón". Das musikalische Corazón des Films aber ist das Lied "Remember Me". Miguel singt es in einer wirklich sehr rührenden Szene für seine demente Ur-Omi Coco, nach der der Film benannt ist - nur, weil der Tod hier kein trauriges Ereignis ist, heißt das ja nicht, dass es gar keinen Grund zum Weinen gäbe.

"Ich hoffe, du stirbst bald", wird Miguel bei seiner Rückreise ins Leben von seinen Ahnen verabschiedet. Unter Lebenden würde man wohl sagen: Auf Wiedersehen.

Coco - Lebendiger als das Leben, USA 2017, Regie: Adrian Molina, Lee Unkrich, Buch: Matthew Aldrich, Molina; Kamera: Matt Aspbury, Dannielle Feinberg; Musik: Michael Giacchino. Schnitt: Seve Bloom, Unkrich. Mit den Stimmen von Anthony Gonzalez, Gael García Bernal, Benjamin Bratt. Walt Disney, 105 Minuten.

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