Kino: "Leben des David Gale":Moralischer Knockout

Alan Parker hofft auf Botschaften im "Leben des David Gale". Doch der Film läuft auf dialogische Erschöpfung hinaus.

FRITZ GÖTTLER

Auf dialogische Erschöpfung läuft dieser Film hinaus - Dialogical exhaustion heißt ein Buch seines dubiosen Helden, des Philosophieprofessors David Gale, der an der University von Austin, Texas seinen Studenten vom "kleinen Objekt" Lacans etwas erzählen möchte. Ein jeanshemdsärmeliger Typ, mit nicht ganz feinen Manieren und oft übernächtigtem Gesicht, verkörpert von Kevin Spacey.

Kino: "Leben des David Gale": Über Gräbern weht der Wind in Alan Parkers: "Leben des David Gale".

Über Gräbern weht der Wind in Alan Parkers: "Leben des David Gale".

(Foto: SZ v. 13.03.2003)

In Gestalt von David Gale und unter der Regie von Alan Parker kehrt der Thesenfilm nach Hollywood zurück, das message movie, das aus Überzeugung seine Geschichte entwickelt. Charles Randolph hat "Das Leben des David Gale" geschrieben, ein Amateur gewissermaßen, im Hauptberuf ist er ein Kollege von Professor Gale und lehrt an einer Hochschule in Wien. Vor vielen Jahren ist aus einer ähnlichen Situation - amerikanischer Erzähler, der das Leben studiert in der Stadt von Sigmund Freud - das Werk von John Irving hervorgegangen, das bis heute uns entzückt, verblüfft, schockiert. Eine Langlebigkeit, die man von der world according to Gale wahrlich nicht erwarten darf.

Alan Parker lässt sich seine Drehbuchsprüche gern so schreiben, dass die Figuren damit kurz vor dem moralischen Knockout stehen - Sätze wie: "Never trust a state with more churches than Starbucks ..." Der Staat Texas ist gemeint, der David Gale eines Tages den Prozess macht wegen eines wahrhaft scheußlichen Mordes, an seiner Freundin und Kollegin Constance, gespielt von Laura Linney. Eine undurchsichtige Geschichte - dass einer der radikalsten Aktivisten gegen die Todesstrafe plötzlich selbst in der Todeszelle hockt. Die letzten paar Tage vor der Hinrichtung widmet Gale einer Frau, Reporterin Bitsey Bloom vom News-Magazin, gespielt von Kate Winslet. Und er fängt an, ihr die Geschichte seines Lebens zu entwickeln.

Es ist nicht dieses Leben, für das der Film sich interessiert, und es ist nicht David Gale, als Charakter. Vor dem Unerklärlichen in dieser Figur, dem Widersprüchlichen und Widerwärtigen, hält er sich eher fern. Der Film zielt darüber hinaus, auf die Widersinnigkeit der Todesstrafe, die unbedarfte Leute wie der Gouverneur von Texas vertreten - ja, wir haben ihn nach Bush modelliert, erklärt Parker. Gegen solche Eindimensionalität versucht der Clintonianer Kevin Spacey ein wenig Widerstand, er ist dem Ex-Präsidenten durch Freundschaft, nicht in politischer Überzeugung verbunden.

Sir Alan Parker ist als Filmemacher ein Zerrissener - zwischen England, seiner Heimat, und Amerika, dem Land seines Erfolgs. Das amerikanische Kino ist immer von der Verleihpolitik bestimmt, erklärt er, während wir hier Filme im Vakuum machen, völlig abgetrennt von den Realitäten des Marktes. Ein Bekenntnis zum Professionalismus, zu dem sich manchmal auch eine sentimentale Sehnsucht nach den ungehobelten Anfängen im englischen Kino gesellt - aber nie hat Parker sich in den letzten Jahren wirklich getraut, wieder mal über die Stränge zu schlagen. Nichts von jener Verzweiflung, die früheren Hollywoodimmigranten das Herz zu brechen drohte, wenn die allmächtige Filmindustrie ihnen nur armselige Schaffensmöglichkeiten bieten, sie zwingen wollte, ihre träume zu verraten. Beyond a reasonable doubt, das könnte das Motto für dieses Kino sein, so heißt ein Film von Fritz Lang, der letzte, den er in den USA machen konnte. In dem er von einem getürkten Fall erzählt, den ein Zeitungsmagnat zum Plädoyer gegen die Todesstrafe machen wollte ... Fritz Lang hat aus diesem Wirbel von Authentizität und Fake eine filmische Reflexion gemacht, die noch heute die Gedanken der Zuschauer rotieren lässt.

Alan Parker will mit seinen Botschaften eher für Ruhe sorgen in den Köpfen der Leute. Er spielt auf Sicherheit. George Clooney war lange im Gespräch gewesen für die Titelrolle, aber Clooney, sagt Parker, wollte den Film stärker als Thriller. Vielleicht sollte man sich, wenn man Parkers Film anschaut, ab und zu ein paar Assoziationen genehmigen an "Out of Sight" oder "Solaris".

Eine Schere tut sich auf, bisweilen, in dem was Parker tut und was er tun könnte. Ich bin ein Hooligan von Islington, definiert er seinen Charakter und seine Position in der britischen Filmszene: "Wenn einer einen Ziegelstein nach mir schmeißt, kann ich nicht anders, ich muss zurückschmeißen." Von Ken Loach wurde er seinerzeit zum Filmemachen angeregt, vor ein paar Jahren hat er, der Antiroyalist per se, sich von Prince Charles zum Ritter schlagen lassen. Vielleicht hat der umtriebige Kevin Spacey, der in Hollywood Filme macht und die restliche Hälfte des Jahres sich nun dem Old Vic in London widmen will, gehofft, den Hooligan Parker noch mal aus der Reserve zu locken. Aber dann, am Ende des Films, ist einem fast der Begriff Aktivismus selbst suspekt geworden. Er sei gewiss kein Gegner der Todesstrafe, erklärt Spacey im Zusammenhang mit dem Film - ihm sind all jene zuwider, die immer nur Position beziehen wollen, am liebsten im Fernsehen, im täglichen Polittalk. Eine erschöpfende Vorstellung. Aber darauf, dass einer noch mal einen Ziegel aufhebt, wartet er insgeheim immer noch. THE LIFE OF DAVID GALE, USA 2002 - Regie: Alan Parker. Buch: Charles Randolph. Kamera: Michael Seresin. Schnitt: Gerry Hambling. Musik: Alex Parker, Jake Parker. Produktion: Alan Parker, Nicolas Cage Mit: Kevin Spacey, Kate Winslet, Laura Linney, Gabriel Mann, Matt Craven. UIP, 130 Minuten.

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