Kino: Konzertfilm von Michael Jackson:Pfandhaus der Träume

Was für ein Mann. Was für ein Leben. Man hätte Michael Jackson einen besseren posthumen Film gewünscht - ein wahrerer als "This Is It" ist kaum vorstellbar.

Jens-Christian Rabe

Ein beispielloses Dokument der Stärke sollte man erwarten. Flink und kraftstrotzend wie eh und je, so Show-und Filmregisseur Kenny Ortega, habe er den Meister schließlich bis zur Nacht vor seinem Tod erlebt: "Er war dünn, das stimmt. Gelegentlich auch etwas müde. Aber im Grunde sahen wir einen starken, glücklichen und entschlossenen Michael. Er wollte die Show mehr als alles andere und war in jedes Detail involviert. Er war enorm präsent und engagiert. Das ist die Wahrheit. Wirklich." Und von Jacksons Konzertmanager Randy Philips wurde im Vorfeld sogar das Wort überliefert, dass man Jackson in "This Is It" bei der Verfertigung seines letzten Meisterwerks erleben könne: "Es ist, als ob man Michelangelo dabei zusieht, wie er die Decke der Sixtinischen Kapelle bemalt." Klar. Darunter würde diese Sache nicht zu machen sein. Da konnte man sicher sein.

Kino: Konzertfilm von Michael Jackson: Comeback des Jahres: Michael Jackson in einer Szene aus "This is it".

Comeback des Jahres: Michael Jackson in einer Szene aus "This is it".

(Foto: Foto: filmstarts.de)

Dagegen stehen natürlich der traurige Tod des Popstars Ende Juni in L.A. an einer Überdosis des Betäubungsmittels Propofol, mitten in der Zeit der Proben für das Londoner Comeback, und hartnäckige Gerüchte über den wahren Gesundheitszustand des 50-Jährigen in seinen letzten Monaten und Jahren. Medikamentenabhängig, bis auf kaum 50 Kilo abgemagert und vollkommen erschöpft sei er gewesen, hieß es immer wieder - jeder habe sehen können, dass ein Mann in diesem Zustand unmöglich die geplanten fünfzig Konzerte durchstehen würde. Sein offizieller Biograph Ian Halperin prophezeite Anfang des Jahres sogar, dass Jackson innerhalb von sechs Monaten sterben werde, wenn man sich nicht ernsthaft um ihn kümmere.

Das tat offensichtlich niemand und Halperin behielt tragischerweise recht. Und so gilt es hier nun nicht von einem gigantischen, wochenlangen Comeback des berühmtesten Popstars der Welt zu berichten, sondern von dem, was davon übriggeblieben ist: ein knapp zweistündiger Kinofilm, von vier Cuttern zusammengeschnitten aus gut 120 Stunden Filmmaterial, das während der Proben der Show im Staples Center in Los Angeles aufgenommen wurde.

Sony und AEG, der Veranstalter der Londoner Shows, sorgten gemeinsam dafür, dass "This Is It" weltweit in 15 000 Kinos gezeigt wird (die New York Times berichtet sogar von 18 000), unter anderem in 2400 chinesischen und knapp 1000 deutschen. Die ersten Vorstellungen hierzulande begannen am Mittwoch um sechs Uhr morgens. Dass sich die Sache finanziell lohnt, scheint deshalb so gut wie ausgemacht. Sony rechnet angeblich damit, dass der Film schon in den ersten Tagen rund 250 Millionen Dollar einspielen wird.

Wie der Film allerdings auf Ruf und Nachruhm des Entertainers wirken wird, dürfte eine andere Geschichte sein. Denn was zu sehen ist, ist zwar kohärent komponiert, im Grunde jedoch nichts Halbes und nichts Ganzes, also weder ein richtiger, spektakulärer Konzertfilm, noch eine echte, aufschlussreiche Dokumentation der Arbeitsweise Jacksons und der Entstehung einer millionenschweren Pop-Show an den Grenzen dessen, was in diesem Genre heute technisch möglich ist. Das macht den Film aber nur interessanter, sobald es um die Deutung des Antriebs dieser im Grunde übermenschlichen Figur geht. Zur laufenden Produktion der Interpretationsindustrie dieses Lebens ist er zweifellos ein gewichtiger Beitrag.

Lesen Sie auf Seite 2, warum manche sagen, der Film sei indiskret.

Was für ein Mann

Wenn, wie in der wichtigsten amerikanischen Filmzeitschrift Variety, jetzt allerdings die Rede davon ist, dass "This Is It" im Grunde doch ein seltsam indiskreter Film sei, weil er Dinge zeige, von denen Jackson selbst nie gewollt hätte, dass sie eine große Öffentlichkeit zu Gesicht bekommt - dann ist das mindestens eine erstaunliche Sichtweise. Denn letztlich ist der Film Dokument eines Perfektionismus, der offenbar keines Probierens mehr bedarf.

Selbst in den viel zu raren Szenen, in denen nicht nur längst Vollendetes aufgeführt wird, also extrem dynamische Choreographien, aufwendig vorproduzierte Einspielfilme oder äußerst tight musizierte Arrangements seiner großen Hits, selbst in den seltenen und kurzen Szenen also, in denen man ihn mit den Musikern sprechen oder Tänzer anleiten sieht, hat man nie den Eindruck, es passiere etwas anderes als die reibungslose Umsetzung der Visionen des Meisters. Zähe Korrekturen oder nervenaufreibende Pannen und Wiederholungen finden nicht statt.

Und auch wenn man vermuten mag, dass es nicht im Sinne der Vermarkter gewesen sein dürfte, Derartiges zu zeigen, so darf auch davon ausgegangen werden, dass es solche Szenen kaum gab. Als Jackson etwa mit dem Keyboarder und musikalischen Leiter Michael Bearden einmal über einen kaum bemerkbaren Tempowechsel in "The Way You Make Me Feel" spricht, wird deutlich, worum es geht. Auf Beardens Einwurf, er könne nicht immer ahnen, wie jeder Song klingen solle, antwortet Jackson blitzschnell schlicht: "I want it like I wrote it." Er will es genau so, wie es auf der CD zu hören ist.

So schwach er also gewesen sein mag - er wusste, was er wollte: Die Leute sollten bekommen, was sie verlangten. Dafür war er offenbar bereit, jede Schmerzgrenze zu überschreiten. Seine beeindruckende Tanz-Performance zu "Billie Jean", während der er fast alterslos erscheint, ist ein unwirklich erscheinender Beweis von Selbstbeherrschung.

Und so sind Michael Jackson wahrscheinlich nicht zuerst der körperliche Verschleiß und seine irre Medikation in die Quere gekommen, die wahrscheinlich auch ein weit größeres Tier zur Strecke gebracht hätte, sondern sein Kunstbegriff. Es ist einer, der extrem modern erscheint, ganz und gar gegenwärtig, weil er auf Perfektion und Höchstleistung fußt, aber natürlich viel älter ist.

Der englische Maler Edward Burne-Jones etwa, von dessen Werk in der Staatsgalerie Stuttgart derzeit eine umfassende Retrospektive zu sehen ist, war überzeugt davon, dass man Gesichtern "ihren typischen Charakter" nehme und sie zu Porträts abwerte, "die für nichts mehr stehen", wenn man ihnen das verleihe, was "die Leute ,Ausdruck' nennen". Seine Bilder zeigen jugendlich androgyne, blasse Gesichter mit leicht eingesogenen Wangen, langen schmalen Nasen, Knospenmündern und spitzen Kinnpartien. Wer hätte da nicht sofort auch Jacksons Antlitz vor Augen? Für darstellungswürdig hielt Burne-Jones dementsprechend allein den Träumen Geliehenes: Mythen, Legenden, Sagen und Märchen. Ebenso hielt es der King of Pop.

Nur dass er eben nicht nur der virtuose Maler sein wollte, sondern auch noch das sagenhafte Bild. Das sagenhaft bewegte Bild. Was für ein Mann. Was für ein Leben. Man hätte beiden einen besseren abschließenden Film gewünscht - ein wahrerer als "This Is It" ist kaum vorstellbar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: