Kino:Iris blendet

"Blueprint", ein Klon-Melodram mit zweimal Franka Potente.

Von Hans Schifferle

Die junge Frau ist so scheu wie das Wild, das sie fotografiert in den Wäldern Kanadas, einem letzten Paradies in der nahen Zukunft. Mit ihrem zerzausten Haar wirkt sie wie eine Mischung aus Wolfskind und Dian Fossey, zivilisationsflüchtig und geheimnisumwoben. Siri heißt die Frau, und die Vergangenheit holt sie auch ein in ihrer kargen Blockhütte. Eine E-Mail schmuggelt sich ein wie ein Virus in die noch unschuldige Naturwelt und ruft sie zurück nach Deutschland, ans Sterbebett ihrer Mutter Iris.

Franka Potente

Siri und Iris - eine Doppelrolle, die gut zu Potentes Kino-Persona passt.

(Foto: Foto: dpa)

Zwischen gestern und heute, zwischen der Natur Nordamerikas und der Kultur Europas entfaltet sich nun ein besonderes Mutter-Tochter-Melodram. Siri ist nicht nur die Tochter von Iris, einer berühmten Pianistin, sie ist auch deren Klon. Die besessene Künstlerin Iris, seit Jahren an Multipler Sklerose leidend, hat einst den kanadischen Wissenschaftler Fisher zu dem verbotenen genetischen Experiment überredet: Um durch Siri den eigenen Tod zu überleben und das Talent weiterzugeben. In einem wohlgeordneten Schloss im Münsterland wächst Siri heran, ein Mädchen, das nichts anderes liebt als das Chaos.

Die großen Gesten

Rolf Schübel, der mit seinen Dokumentarfilmen "Nachruf auf eine Bestie" oder "Der Indianer" gleichsam die Melodramen der Wirklichkeit beschrieben hat, versucht sich nach "Gloomy Sunday" zum zweitenmal am artifiziellen, kinohaften Rührstück. Er zitiert in "Blueprint" die deutsche Romantik und den expressionistischen Film mit seinen Doppelgänger-Motiven und vielfachen Spiegelungen. Und er spielt immer wieder auf Douglas Sirk an, auf "Schlussakkord", "All That Heaven Allows", "Imitation of Life".

Schübel wagt auch einiges. Er bringt die vielsagenden, bombastischen Kostüme, er zeigt die großen Gesten. Und die Musik, Beethoven, Mozart, Weihnachtslieder und Pop-Songs, die zum Wesen des Melo-Dramas gehören. Er schwelgt in elegischen Hochglanzbildern, am Rande zum großartigen Kitsch.

In jeder Szene wünscht man Schübel, dass es ihm wie Todd Haynes in "Dem Himmel so fern" gelingen möge, das Melo neu zu erfinden. Doch der Plan geht nicht auf, Schübel kann die erlesenen Bilder nicht mit Leben, nicht mit Emotionen füllen. Vielleicht ist er trotz allem zu geschmackvoll und problembewusst geblieben, wo das Melo doch die Genre-Elemente braucht, den hemmungslosen Kintopp. Zudem kriegt Schübel das Drama und den Horror des Klonens nicht richtig in den Griff. Manchmal glaubt man, die Klon-Thematik sei hier nur eine Metapher fürs Erwachsenwerden.

Die Unberührbare

Die Doppelrolle der Siri und Iris wird von Franka Potente gespielt, und das ist natürlich eine Herausforderung für die Schauspielerin, die sich nach ihrer Amerika-Erfahrung an einer Karriereschwelle findet.

Die Doppelrolle passt auch gut zu Potentes Kino-Persona des bodenständigen Girls in einer Welt der Zeitschleifen ("Lola rennt") und Identitätskrisen ("The Bounce Identity"). Die Mutter wie die Tochter werden von der Potente als trotzige Rebellinnen gespielt, die die Männer, die Gesellschaft und das Schicksal links liegen lassen wollen. Die künstlerische Obsession der Iris nimmt man ihr nicht so sehr ab. Zu fix wird aus der monströsen Mama eine betroffene, liebende Mutter, die das Wunder des Lebens anerkennt. Als Siri ist die Potente glaubwürdiger. Sie verkörpert die Siri als Unberührbare, heilig geworden durch die Schuld der Mutter. Wenn sie beim Klavierspiel einmal zu bluten beginnt, dann ist sie nicht nur Opfer, sondern auch ein Vampir, der das Künstliche mit Leben vollsaugt und die Mutter als Hülle zurücklässt.

Sie reanimiert die toten Gegenstände, all die Imitationen des Lebens: das kleine Rentier aus Stoff, das ihr die Mutter einmal geschenkt hat, entdeckt Siri in Kanada als echtes Tier wieder. Der Kreis schließt sich dann wieder zu schnell und offensichtlich. Ein junger Naturbursche entführt sie märchenhaft zu neuen Horizonten.

Ganz selten gelingen Schübel Momente einer neuen Sentimentalität, die das Melo zum Leben braucht: etwa im Blick auf die Figuren am Rande, auf den Wissenschaftler Fisher, der eine Art Ersatzvater von Siri ist, oder auf das Kindermädchen, das so etwas ist wie eine Ersatzmutter. Eine schöne Traurigkeit wird in diesem Blick spürbar, eine Sehnsucht, die wenigstens kurz den Blueprint des Films aufreißt.

BLUEPRINT - D 2003. Regie: Rolf Schübel. Buch: Claus Cornelius Fischer, Schübel nach d. Roman von Charlotte Kerner. Kamera: Holly Fink. Mit: Franka Potente, Ulrich Thomsen, Hilmir Snaer Gudnason, Katja Studt. Ottfilm, 110 Min.

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