Kino: "Inglourious Basterds":Die guten, brutalen Jungs

Muss man sich diese "Inglourious Basterds" überhaupt noch ansehen? Unbedingt: Der Film ist Quentin Tarantinos massivster Angriff auf die strengen Türsteher des Kino-Olymps.

Tobias Kniebe

Es war einmal, das sind die ersten Worte des Films, als Titel auf der Leinwand. Dann sieht man eine Märchenlandschaft: saftige Wiesen, Kühe, grünes Hügelland bis zum Horizont - und ein schmales, untypisch hohes Holz-Bauernhaus, wie von Edward Hopper gemalt. Dazu Ennio-Morricone-Klänge, ein Klavier spielt einen Takt Beethoven dazu: Für Elise. Der Bauer schwingt die Axt, ein Bulle von einem Mann. Dann sieht er etwas auf der Landstraße, seine Augen verengen sich. Staub wirbelt auf, ein schwarzer Wagen kommt näher, eskortiert von Soldaten auf Motorrädern, Hakenkreuzflaggen auf dem Kühlergrill. Frankreich im Jahr 1941.

Kino: "Inglourious Basterds": Die guten, brutalen Jungs: Eli Roth (l.) als Sergeant Donnie Donowitz und Brad Pitt als Leutnant Aldo Raine in dem Spielfilm 'Inglourious Basterds' von Quentin Tarantino.

Die guten, brutalen Jungs: Eli Roth (l.) als Sergeant Donnie Donowitz und Brad Pitt als Leutnant Aldo Raine in dem Spielfilm 'Inglourious Basterds' von Quentin Tarantino.

(Foto: Foto: ddp)

Und endlich kann man genauer hinsehen. Die Aufregung von Cannes ist verpufft; alle wichtigen Kritiker, die guten, die bösen und die ratlosen, haben gesprochen. Die Provokationen des Films - Comicgewalt versus Holocaust-Schrecken, Baseballschläger versus explodierende Nazischädel, Brad Pitt mit dem Riesenmesser, das Hakenkreuze in Soldatenstirnen graviert, dazu ein geschichtsfälscherisch verkürzter Zweiter Weltkrieg -, alles unverändert, das Ganze ist sogar eine Minute länger geworden. Ketzerisch könnte man also fragen, ob man sich diese "Inglourious Basterds" jetzt überhaupt noch ansehen sollte. Und die Antwort lautet: ja, ganz unbedingt. Denn gleichgültig, ob man den Film nun lieben oder hassen wird - lauwarm dazwischen dürfte die Reaktion eher nicht ausfallen. Es gibt so viel darin zu entdecken.

Schon diese Eröffnung zum Beispiel: die tiefergelegte Kamera, die extreme Staffelung des Raums, die Nazis, von der Axt im Vordergrund eingerahmt, das alles ist theatralisches Zitat. Aber der italienische Spaghettiwestern, der hier beschworen wird, ist selbst schon Zitat und großes Theater. Ist das nicht zu viel? Na klar. Na sicher. Na und? Auf diese Stimmung muss man sich erst einmal einlassen: Fröhlich. Redundant. Exzessiv. Unbesorgt. Quentin Tarantino schwingt filmische Tautologien, als seien es Baseballschläger. Er haut sein Publikum damit über den Kopf, sooft er Lust hat. Und er hat wahnsinnig Lust.

Aber er ist natürlich auch angestrengt. Der Mann hat, sagen wir mit "Pulp Fiction", Einlass in den Olymp des Kinos gefunden, indem er einfach den strengen Türsteher in ein unheimlich lässiges Gespräch über McDonald's und Cops in Amsterdam verwickelt hat. Schon war er drin und wusste selbst nicht wie. Dort droben aber liebten sie ihn, den dauerquasselnden Nerd, er hatte die Party seines Lebens, er wollte nie wieder weg. Nur leider kennt der Olymp keine Dauerkarten. So versucht Tarantino nun mit jedem neuen Film sich den Zugang zur Party neu zu erkämpfen. Alle paar Jahre rüstet er zur Attacke, dazwischen muss er Kraft sammeln. "Inglourious Basterds" ist sein bisher massivster Angriff.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wann es ernst wird.

We will rock you

Die Anfangssequenz geht indes mit einem Verhör weiter. SS-Standartenführer Hans Landa, brillant gespielt von Christoph Waltz, fragt den Kuhbauern Perrier LaPadite (ganz großartig: Denis Menochet), ob er Juden verstecke. Oder nein, er fragt nicht direkt. Erst einmal verteilt Landa Komplimente, in perfektem Französisch. Zum Beispiel trinkt er ein Glas frische, leuchtend weiße, leuchtend unschuldige Milch, gierig in einem Zug. Dann bricht er in lautes "Bravo" aus - ein Lob für die Kühe. Die beiden Männer sitzen an einem massiven Holztisch. Das Licht kommt direkt von oben, eigentlich ist es Theaterlicht. Eine Theaterszene. Und fast alles, was Landa macht - ein bisschen zu pedantisch jeden Namen auf seiner Judenliste abhaken, ein bisschen zu laut lachen, eine deutlich zu große, absurde Pfeife auspacken - ist einen Tick zu viel. Aber man spürt: Für Tarantino muss es exakt so sein.

Denn obwohl dieser Film praktisch mit der Dampframme gegen die Tore des Kino-Olymps anrennt, verachtet er doch längst die Regeln, die dort gelten. Ist dieses ganze Konzept des Meisterwerks nicht gerade im Kino längst zu wohltemperiert, zu sehr an Strenge, Entsagung, Minimalismus gebunden? Das rockt doch nicht mehr! Also wird er einen Gag, den er lustig findet, jetzt nicht einmal bringen, sondern viermal. Er wird seine eigenen Dialoge auskosten, wird die Szene in dem Moment, wo man im Kopf bereits dreimal "Schnitt" gerufen hat, immer noch weiterlaufen lassen. Auch, wenn buchstäblich schon die Hütte brennt. Und das alles nur für dieses eine, viel missbrauchte, trotzdem hochenergetische Versprechen: We will rock you! Nur um dann doch ganz unvermittelt ernst zu werden.

Ewig hat der Judenjäger der SS den Milchbauern mit seinen Worten und Fragen umkreist, umlauert, zermürbt. Die Kamera ist längst durch die Holzplanken des Bodens hindurchgefahren, sie hat gezeigt, was Perrier LaPadite den Schweiß auf die Stirn treibt: In dem schmalen Zwischenraum zwischen Diele und Untergrund kauert tatsächlich eine Judenfamilie, die er versteckt - und deren Schicksal in diesem Moment besiegelt ist. Man muss sehen, wie schlagartig jede Freundlichkeit aus Christoph Waltz' Gesicht entweicht, wenn er die entscheidende Frage stellt: "Sie bieten Zuflucht für Feinde des Staates, nicht wahr?" Und der Bauer, überwältigt von der Macht eines Bösen, der er nichts entgegenzusetzen hat, nickt. Wenig später fliegen die Holzsplitter, während die Dielen im Kugelhagel von Landas Männern durchlöchert werden. Nur ein Mädchen, Shosanna, darf fliehen. Landa, der Herr über Leben und Tod, zielt auf sie mit seiner Pistole. Aber er schießt nicht.

Eine irre Idee

Wem das zu weit geht, wer sich bei diesem Thema nicht mehr rocken lassen will, der steigt hier natürlich aus. Der würde Tarantino dann auch genervt empfehlen, in Zukunft wirklich lieber Theater zu inszenieren. Und doch hat man nicht das Gefühl, dass hier einer die größten Schrecken nur ausbeutet, dass ihm das Grauen nur Mittel zum Zweck ist. Mehr noch als das Grauen fürchtet Tarantino die Konventionen, die Nazis und Holocaust schon längst umgeben: diese bleischwere, sepiagetönte Suggestion des Authentischen, die ein Spielfilm doch nie wirklich einlösen kann; und diese Tonnenlast der Selbstüberhöhung, die der eiserne Vorsatz mit sich bringt, "der Geschichte gerecht zu werden". An diesem Problem hat das Kino zuletzt noch einmal heftig herumlaboriert, von Tom Cruise bis Florian Gallenberger, und sich dabei anscheinend endgültig in eine Sackgasse manövriert.

Dagegen steht Tarantinos "Es war einmal" - und im letzten Akt ein Moment, der vielleicht in Richtung eines Auswegs weist. Da betreibt Shosanna (Mélanie Laurent), die Überlebende des Anfangsmassakers, ein Kino im besetzten Paris, in dem sich die komplette Naziführung, Hitler und Goebbels inklusive, zu einer Galavorführung versammelt hat. Alle haben geheime Pläne für den Abend - von Winston Churchill über Brad Pitt und seine Guerilla-"Basterds" bis hin zum SS-Mann Landa - aber Shosanna hat den besten: Wenn der Film läuft, will sie das Kino verriegeln und anzünden - ihre Filmsammlung aus Zelluloid wird wie Zunder brennen. Zuvor aber muss sie den Nazis als glamouröse Kollaborateurin gegenübertreten - in einem flammend roten Kleid, mit Pistole in der Handtasche und einem Hauch Rouge auf den Wangen, wie eine indianische Kriegerin. Als sie sich rüstet, singt David Bowie seine großen Zeilen aus "Cat People": "Putting out fire with gasoline". Und auf einmal versteht man, was hier passiert: Tarantino schüttet Benzin ins Feuer des Nazifilms, für den ganz großen Rumms, der den Weg wieder freisprengen soll. Eine irre Idee. So irre, dass sie funktionieren könnte.

INGLOURIOUS BASTERDS, USA 2009 - Regie, Buch: Quentin Tarantino. Kamera: Robert Richardson. Mit: Brad Pitt, Mélanie Laurent, Christoph Waltz, Eli Roth, Michael Fassbender, Diane Kruger, Daniel Brühl, Til Schweiger, Gedeon Burkhard, August Diehl, Martin Wuttke. Universal, 154 Minuten.

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