"Get out" im Kino:In einer fremden Haut

"Get out" im Kino: Die Familie kennenzulernen, das ist immer ein großer Schritt. Für Chris (Daniel Kaluuya) und Rose (Allison Williams) steigt das Unwohlsein dabei von Minute zu Minute.

Die Familie kennenzulernen, das ist immer ein großer Schritt. Für Chris (Daniel Kaluuya) und Rose (Allison Williams) steigt das Unwohlsein dabei von Minute zu Minute.

(Foto: Universal Pictures International)

Ein schwarzer Mann wird der Familie seiner weißen Freundin vorgestellt, und ein Albtraum beginnt: der Horrorthriller "Get Out" von Jordan Peele.

Von Tobias Kniebe

Als der Wagen in die Auffahrt einbiegt, wird auf dem Soundtrack sanft eine Harfe gezupft. Das Licht- und Schattenspiel der Bäume huscht über die Windschutzscheibe, der Kies knirscht unter den Reifen, das Herrenhaus kommt in den Blick. Es hat eine Veranda mit weißen Säulen, und man denkt sofort: Sklavenhaltersäulen. Ein Gärtner am Wegesrand hebt grüßend die Hand, er ist alt und schwarz, und man denkt sofort: Onkel Tom.

Was ein Zeichen dafür ist, wie geschickt der Regisseur Jordan Peele in diesem Moment schon den Blick seiner Zuschauer führt. Wenig mehr als zehn Minuten sind in "Get Out" vergangen, und man sieht alles bereits mit den Augen der schwarzen Hauptfigur, Chris Washington (Daniel Kaluuya), der nach ein wenig Zögern eingewilligt hat, die Eltern seiner weißen Freundin Rose Armitage (Allison Williams) kennenzulernen. Irgendwo tief in den Wäldern der USA, wo die Vergangenheit noch lebt.

Ein Zucken im Mundwinkel, ein seltsamer Blickkontakt, was sind das für Schwiegereltern?

Die unbehaglichen Fragen ("Weiß deine Familie, dass ich schwarz bin?") sind da bereits gestellt, die beruhigenden Antworten ("Papa hätte sogar ein drittes Mal Obama gewählt, wenn es erlaubt wäre") sind gegeben, zusammen mit einem aufmunternden Lächeln und einem liebevollen Kuss. Und doch: die Familie kennenzulernen, das ist immer ein großer Schritt. Er wird nicht leichter dadurch, dass irgendwo noch die Gespenster des Rassismus lauern könnten.

Aber gibt es überhaupt eine Situation, in der das Kino mehr bei sich wäre? Alles sollte normal und unverdächtig und entspannt sein. Und ist es vielleicht ja auch. Aber jetzt kommt es auf die kleinsten Zeichen an: ein Zucken im Mundwinkel, ein seltsamer Blickkontakt, eine auffällige Betonung. Für eine Theaterbühne wäre das zu subtil. Und in einer Fernsehserie funktionierte es allenfalls im Pilotfilm.

Die Tür fliegt also auf, die Eltern stehen da, das Töchterchen fällt Dad in die Arme, das formale "Mister Armitage" wird zurückgewiesen, der Fremdling an die Brust gezogen, aus weißem Mund fallen die Worte "My man". Hach, welch Stein fällt allen Willkommenskultur-Harmoniejunkies da vom Herzen. Oder Moment, war das bereits zu viel? Klang das falsch? Ist das schon Mimikry als Zeichen apokrypher Herablassung? Oder die Arroganz der kulturellen Aneignung?

"Get Out" hat in den USA bereits die erstaunliche Summe von 172 Millionen Dollar eingespielt, ohne teure Schauwerte, mit weitgehend unbekannten Darstellern, bei einem lächerlichen Budget von 4,5 Millionen. Solche Wunder der Profitabilität gelingen immer dann, wenn eine Story mittenmang ins schmerzende Herz des Zeitgeists trifft. Rasse ist in den USA ein Feld, auf dem Minenhunde die Arbeit des Sisyphos verrichten. Und nicht nur wegen schießwütiger weißer Polizisten und "Black Lives Matter" - die Sprengkraft reicht bis in die politisch korrektesten Kreise. Und also reicht sie auch ins Herrenhaus der Armitages. Wo jetzt Jovialität demonstriert wird, peinliche Dad-Witze, seltsame Dad-Meinungen ("Rehe sind wie Ratten"), plus demonstrativ gespielte mütterliche und töchterliche Scham ("Hör bloß nicht auf ihn"). Dazu die weiße Selbstverständlichkeit des Besitzens, so bequem getragen wie Dads Breitcordhosen. Und ja doch, erste leise Misstöne. Oder ist das alles nur schwarze Paranoia?

"Get out" im Kino: Die Familie kennenzulernen, das ist immer ein großer Schritt. Chris (Daniel Kaluuya) und Rose (Allison Williams) auf dem Weg zu ihren Eltern.

Die Familie kennenzulernen, das ist immer ein großer Schritt. Chris (Daniel Kaluuya) und Rose (Allison Williams) auf dem Weg zu ihren Eltern.

(Foto: Justin Lubin/Universal)

Rauchen scheint ein ungut emotional besetztes Thema zu sein. Aber okay, das ist Moms Berufung, sie heilt Raucher per Hypnose. Dad (Bradley Whitford) ist Neurochirurg, auch mit ihm ist beim Thema Gesundheit nicht zu spaßen. Und beim Thema Gene. Vor den alten Familienfotos erzählt er, dass sein Vater einst als Sprinter bei den Olympischen Spielen antrat, 1936 in Berlin. Nur um vom schwarzen Jesse Owens geschlagen zu werden, vor Hitlers Augen, welch ein Moment, sagt Dad: "Der ganze perfekte arische Rasse-Bullshit, widerlegt vor den Augen der ganzen Welt". Wer so was sagt, ist doch kein Rassist. Oder?

Die Mutter rührt in der Teetasse, erzählt mit sanfter Stimme - und schon beginnt die Hypnose

Es ist schon sehr geschickt, wie der Regisseur Jordan Peele jetzt die Zeichen der Verunsicherung, der bösen Vorahnung platziert. Und das mit beißend intelligentem Witz. Der Keller musste leider versiegelt werden, sagt Dad: "Wir haben den schwarzen Schimmel dort unten." Oder die Haushälterin (Betty Gabriel) in der Küche, die ebenfalls schwarz ist. Sie hat ein derart festgefrorenes Lächeln im Gesicht, eine derart zombiehafte Leidens- und Duldungsmiene, dass man auf einmal sicher ist: Hier stimmt doch etwas nicht . .

. Vor allem glaubt man nicht, hier das Werk eines Regiedebütanten zu sehen. Diese winzigen Brüche und Irritationen, dieser Spannungsaufbau - das ist doch alles ziemlich meisterhaft. Jordan Peele - der schwarz ist, wie sonst könnte er so ein bedeutsames Stück schwarzer Erfahrung für alle zugänglich machen - war bisher Stand-up-Comedian, unter anderem bei MadTV. Er habe vor allem am Timing gearbeitet, hat er erklärt, das sei beim Horror so wichtig wie im Komischen.

Der Horrorfilm beginnt dann in der ersten Nacht, als Chris mittendrin plötzlich aufwacht. Schlaflos irrt er durchs Haus, hat draußen eine äußerst bizarre Begegnung mit dem Gärtner (Marcus Henderson), stößt drinnen auf Mom (Catherine Keener), die noch wach ist und ihn einlädt, sich zu ihm zu setzen. Sie rührt in ihrer Teetasse, sie hat eine sanfte, aber auch autoritäre Stimme, und Chris merkt zunächst gar nicht, wie die Hypnose beginnt.

Auf welchen Schrecken das Ganze dann hinausläuft, darf hier nicht einmal angedeutet werden, es ist der Spaß der nächsten Stunde, diesem Rätsel auf die Spur zu kommen. Simpler Rassenhass ist es jedenfalls nicht, das wäre nach dieser Einleitung enttäuschend und banal. Die Antworten liegen eher in Chris' Gefühl, das er beim Anblick der schwarzen Bediensteten empfindet. Er fühlt sich ihnen fremd, fremder sogar noch als den Weißen. Und das wird ihm keine Ruhe lassen.

Für Freunde des zünftigen Horrors sei noch gesagt, dass das Finale schon ziemlich blutig wird. Da ist der Film dann allerdings am konventionellsten. Seinen größten Schrecken entfaltet er, bevor die Richtung klar ist, in die es gehen wird, und nur das Unwohlsein von Minute zu Minute steigt. Da zeigt sich wieder einmal die Macht des Kinos, jeden Zuschauer in eine fremde Haut hineinzuversetzen, ganz gleich welcher Rasse er angehört. Und so ließe sich hier dann auch das höchste Lob formulieren: So schwarz wie in "Get Out" hat sich dieser Rezensent schon lang nicht mehr gefühlt.

Get Out, USA 2017 - Regie, Buch: Jordan Peele. Kamera: Toby Oliver. Mit Daniel Kaluuya, Allison Williams, Lil Rel Howery, Bradley Whitford, Catherine Keener. Universal, 104 Minuten.

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