Kino:Im Patchwork-Gefängnis

Lesezeit: 3 min

In Jan Zabeils Familiendrama "Drei Zinnen" versucht ein neu formiertes Elternpaar den Sohn der Frau von einer gemeinsamen Zukunft zu überzeugen. Aber das wird, vor der drohenden Bergkulisse der Dolomiten, erstaunlich hart.

Von Kathleen Hildebrand

Der emotionale Konsens zu Patchworkfamilien geht, zumindest im deutschen Freitagabendfernsehen, ungefähr so: Klar, es ist schwierig. Aber wenn sich alle zusammenraufen, ist es am Ende fast ein bisschen schöner als in der traditionellen Kleinfamilie.

Aus der Patchworkfamilie, die der Regisseur Jan Zabeil in "Drei Zinnen" zeigt, möchte man hingegen bitte sehr dringend wegadoptiert werden - obwohl das neu formierte Elternpaar doch so wahnsinnig attraktiv, klug, bemüht und vorsichtig ist. Es ist dieser Widerspruch, dieses Nichtgelingen einer Familienzusammenführung, die mit so viel gutem Willen doch eigentlich unbedingt gelingen müsste, das Zabeils Film so interessant und in vieler Hinsicht gelungen macht. Es macht ihn aber auch zu einem der freudlosesten Kinoereignisse des Jahres.

Die Stimmung des Kindes schwankt wie das Bergwetter im Dolomiten-Urlaub

Lea (Bérénice Bejo) hat Tristans Vater für Aaron (Alexander Fehling) verlassen, zwei Jahre ist das her. Jetzt wollen die beiden ihre Beziehung voranbringen: von Berlin nach Paris umziehen, ein weiteres Kind bekommen. Aber das müssen sie irgendwie Tristan (Arian Montgomery) vermitteln. Der wiederum mag Aaron zwar, wehrt sich aber gegen jedes weitere Rütteln am Status quo. Tristan schweigt, rennt weg, weint. Er mag in einem Moment auch mal fröhlich sein, es sind immerhin Sommerferien, aber seine Stimmung schwankt wie das Bergwetter im gemeinsamen Dolomiten-Urlaub, das später noch sehr relevant wird. Bis dahin ist dieser Film ein Kammerspiel über den Kampf um Zuneigung.

Alles ist weiß in der pittoresken Berghütte. Die Wände, die Bettwäsche, die Pyjamas der Kleinfamilie. So unsubtil metaphernfreudig, wie Zabeil die drei nahen und titelgebenden Berggipfel inszeniert ("Mama, Papa, Kind", sagt Tristan in einem seiner guten Momente), darf man dieses Weiß wohl als Farbe der Unschuld interpretieren. Tatsächlich wirken die drei darin aber wie die Insassen einer Nervenheilanstalt, in der die Patienten sich selbst therapieren müssen.

Endlich Kumpels? Alexander Fehling (unten) und Arian Montgomery. (Foto: Verleih)

Das tun Aaron und Lea mit der psychologischen Bedachtsamkeit, die dem urbanen Kreativmilieu entspricht, dem sie angehören. Lea nimmt Tristan in den Arm. Sie sagt ihm aber auch, dass sich an der Situation, dass Aaron jetzt ihr Partner ist, nichts ändern wird. Aaron flüstert in der Bergnacht Selbstentblößendes: "Manchmal fühle ich mich Tristan so nah, dass ich vergesse, dass er nicht mein Sohn ist - und manchmal wünsche ich mir, dass er nicht da ist." Aber es tut sich nichts, schon gar nicht so schnell, wie man es aus dem Fernsehen gewohnt ist. Darin ist dieser Film schmerzhaft realistisch, aber eben auch so wahnsinnig heiterkeitsfrei: Das gemeinsame Holzhacken macht Aaron und Tristan nicht zu den Kumpels; der Junge lügt, klaut Aaron auf der Bergtour die Schnürsenkel. Aaron rastet aus, als Tristan ihn einmal unsanft weckt. Und dann ruft auch noch immerzu Tristans leiblicher Vater George auf dem Handy an.

Irgendwann gibt es eine Szene, in der Alexander Fehling in den Ästen eines alten Bergbaums hängt. Die Kamera blickt von oben auf sein perfekt zerstrubbeltes rotblondes Haar. Er atmet schwer, verbirgt sein Gesicht im perfekt angefusselten Naturfaserpullover. Spätestens hier stellt man sich als Zuschauer die Frage, die der kleine Tristan drinnen in der Hütte gerade zaghaft seiner Mutter stellt: "Warum kannst du Daddy nicht wieder lieb haben?" Ja, warum eigentlich nicht? Es wäre doch für alle so viel leichter. Und man könnte endlich aus dieser Hütte weg.

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Das letzte Drittel des Films spielt in der über allem thronenden, monumentalen Naturkulisse. Eine Nebelwand führt zur Krise, die Aaron und Tristan zusammenbringen müsste, so ist man das nämlich gewohnt aus Familiendramen. Die Nebelwand kommt ihrer Rolle fast unerträglich lange nicht nach - erst nach einem Showdown, den man so radikal dem kleinen Tristan dann doch nicht zugetraut hätte.

"Drei Zinnen" ist düster, perfide und viel interessanter als konventionelle Patchworkdramen mit Happy End. Ob es aber klug war, ihn an Weihnachten in die Kinos zu bringen, wenn die meisten Familien doch eher Trost brauchen als den kalten Spiegel eines ambitionierten Autorenfilms?

Drei Zinnen , D, It 2017 - Buch und Regie: Jan Zabeil. Mit: Bérénice Bejo, Alexander Fehling, Arian Montgomery. Rohfilm/SWR, 90 Minuten.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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