Kino-Hit "District 9":Apartheid gegen Aliens

Eine Stadt, die sich selbst auffrisst: "District 9" - ein kleiner Film aus Südafrika ist der Hit des US-Kinosommers.

Fritz Göttler

Joburg, wir haben ein Problem ... Eine Begegnung der dritten Art, ein close encounter of the third kind, nicht in einer der Metropolen der Welt, New York oder London oder Moskau, die mit Events solcher Größenordnung Erfahrung haben, sondern in Südafrika, in Johannesburg. Ein riesiges Raumschiff taucht in den Achtzigern am Himmel über der Stadt auf, mit einer gewaltigen Besatzung an Bord. Ein paar Jahrzehnte später hängt es immer noch dort am Himmel, in seiner majestätischen Hilflosigkeit, und rostet vor sich hin in der trüben Luft, und die Millionen Fremdlinge sind in einem jämmerlichen Township untergebracht, District 9.

Kino-Hit "District 9": Live aus Johannesburg: Zwangsumsiedlung der schwarzen Aliens aus ihrem "District 9" -der gleichnamige Film kommt im September in unsere Kinos.

Live aus Johannesburg: Zwangsumsiedlung der schwarzen Aliens aus ihrem "District 9" -der gleichnamige Film kommt im September in unsere Kinos.

(Foto: Foto: Sony)

Es steckt enormes Potential in dieser Situation, für soziale Spannungen, politische Intrigen und emotionale Konflikte, für Eskalation und Explosion. "District 9" war vor zwei Wochen der Überraschungshit des amerikanischen Kinospätsommers. Er setzte sich mit 37 Millionen Dollar Wochenend-Einspiel an die Spitze der laufenden Filme, drückte den mit Millionenaufwand gestarteten "G.I. Joe" auf Platz 2 - und mit den 37 Millionen waren die gesamten Produktionskosten von "District 9" schon wieder drin.

Zum Erfolg an der Kinokasse kam der Jubel der amerikanischen Filmkritik - von den simpelsten Blogs bis zum gediegenen Time Magazine wurde die Vermutung immer wieder geäußert, dies sei wohl der beste Sommerfilm gewesen und einer der besten Filme des Jahres dazu. Der Regisseur, Neill Blomkamp, wird im September dreißig. Peter Jackson hat ihm den Film finanziert - nachdem der Junge ein paar Jahre bei ihm in Neuseeland an der Verfilmung des Videospiels "Halo" gearbeitet hatte. Es ist die beste Begegnung eines etablierten und eines jungen Filmemachers, von Erfahrung und Unbefangenheit, seitdem Howard Hawks 1951 Christian Nyby betreute bei dem SF-Klassiker "The Thing from Another World".

"District 9" (der Film wird gerade in verschiedenen Städten auf dem Fantasy Filmfest gezeigt und läuft am 10. September in unseren Kinos an) hat das, was man mit dem ziemlich abgenutzten Begriff Coolness bezeichnen muss. Er bringt ein Gefühl von Freiheit und Spontaneität rüber, wie es heute wohl nur das Genrekino fertigbringt. Die Spontaneität, eine Geschichte mit den phantastischsten Volten zu erzählen und dabei ganz dicht an der Wirklichkeit zu bleiben. Die Freiheit, mal wieder einen Film zu entdecken, wirklich zu entdecken, ohne den Schraubstock der PR, der einen gnadenlos konditioniert und dirigiert.

Es ist keine gewollte Kontaktaufnahme, die die Aliens über Joburg durchführen, eher ein Betriebsunfall - das heißt, sie sind nicht gekommen in pädagogischer Absicht - Keanu Reeves in "Der Tag, an dem die Erde stillstand" - noch in zerstörerischer - die Monster-Ufos über den großen Städten der Welt in "Independence Day". Ihr Raumschiff ist gestrandet, der Steuermann ist dabei draufgegangen, und die Überlebenden haben keine Ahnung, wie sie ihr Ding wieder manövrierfähig machen könnten.

Es sind jämmerliche, dumpfbackige Figuren, nur mit den allernötigsten Computertricks animiert, ungelenke schwarze Klappergestelle, mit ledrigen, schuppigen Gesichtern und schlitzigen Augen. Wo normale Lebewesen eine Nase haben, ringeln sich bei ihnen diverse Wurmfortsätze, aus dem Mund quillt dunkle aschige Flüssigkeit, sie röcheln konsonantisch knackige Sätze, wie man sie aus verschiedenen Buschsprachen kennt. Prawns werden sie im Volksmund genannt, weil sie an Krustazeen erinnern, an Krebsgetier. Der legendäre Hollywood-Kiemenmensch, die Creature from the Black Lagoon, ist eine elegante Schönheit im Vergleich zu ihnen.

Diese Fremden sind nicht vermittel- und nicht integrierbar, die südafrikanische und die internationale Gesellschaft will nichts mit ihnen zu tun haben. Sie torkeln unmotiviert durch trostlose, mülldurchsetzte Hinterhöfe und Nebenstraßen. Sie stellen ein Problem dar, ein Migrantenproblem, von dem es Dutzende aktueller Fälle gibt an Europas Küsten.

Die körperliche Zersetzung

Dies ist ein irgendwie alltäglicher Rassismus, der vom Prinzip der Menschlichkeit nur bedingt erfasst werden kann, eine nationale Politik, die ohne Bedenken in Gewaltaktionen mündet und die Fremden brutal zum Experimentiermaterial macht, dazu marodierende nigerianische Banden, die sich dem Waffenhandel und der Prostitution verschrieben haben. Das ist Apartheid nach der Apartheid, Post- und Hyperapartheid, die nun auch die einstigen Opfer, die Schwarzen, erfasst - die Aliens sind gewissermaßen die Schwarzen der Schwarzen. Auch am Ende dieses Films ist der von jeglicher Realität abgehobene Gedanke einer politischen Korrektheit ad absurdum geführt.

Als er nach einigen Jahren nach Joburg zurückkam, erzählt Neill Blomkamp, der mit achtzehn nach Vancouver ging, habe er diese neue gesellschaftliche Situation mitbekommen. Durch die Eskalation der Gewalt in Zimbabwe sind Millionen von dort nach Südafrika geflohen, illegale Immigranten, verzweifelte Heimatlose, potentielle billige Arbeitskräfte, die von den Einheimischen als bedrohliches Potential angesehen wurden. "Schwarz gegen schwarz", sagt Neill Blomkamp, "das war die Stimmung. Johannesburg fraß sich selber auf, bei lebendigem Leibe."

Von all dem erzählt der Film, nicht demonstrativ wie in einer Geschichtsstunde, sondern in einem Geflecht von emotionalen, komischen, horrenden, in ihrem Schrecken immer surrealen Momenten - die furios alle möglichen Unwahrscheinlichkeiten und Löcher in der Konstruktion überlagern. Das Genrekino als soziologisches Modell, Science-Fiction direkt auf die Straßen von Johannesburg gepflanzt. In seinem Kurzfilm "Alive in Joburg" - auf YouTube zu sehen - hat Neill Blomkamp das schon mal im kleinen Maßstab durchgespielt, mit borathafter Ungeniertheit.

Die Joburger wollen die Fremden raus haben aus dem District 9, die Regierung beauftragt die Firma MNU (Multi-National United, zu der einem verschiedene amerikanische Firmen einfallen, die in den USA in den letzten Jahren die Gunst der Regierung gewonnen haben) mit der Umsiedlung irgendwo vor die Stadt - das Modell dafür liefern die Zwangsräumungen unter dem weißen Apartheid-Regime vor Jahrzehnten. Diese Operation zeigt der erste Teil des Films, in einer verwackelten und verhuschten Pseudodokumentation aus TV-Kommentaren, Bürgerstatements, Nachrichtenbildern und Aufnahmen von Überwachungskameras. Man erlebt die Aggression, die Irritation, die Verzweiflung, die Absurdität - die Aliens sollen mit ihrer Unterschrift die eigene Zwangsumsiedlung signieren.

Mitten drin in diesem aberwitzigen Geschehen ist der Angestellte Wikus van de Merwe, der dummerweise der Schwiegersohn des MNU-Chefs ist. Ein Gutmensch, mehr unbedarft als naiv, ein Rassist trotz freundlichster Absichten, ein "Afrikaans"-Bürokrat, sagt Neill Blomkamp. Wikus wird im Verlauf seiner Arbeit infiziert, er fängt an, sich in einen Fremden zu verwandeln. Er schafft es nicht wirklich zur Identifikationsfigur, beim besten Willen nicht. Aber man erlebt an ihm das ganze Geheimnis des Genrekinos, das lässig feste Positionen aufweicht.

Die körperliche Zersetzung, der Wikus sich ausgesetzt sieht, die Verwandlung ins Unmenschliche - man weiß es von Kafka - hat auch ein Moment der Befreiung. Der Schrecken der Infektion und ihrer körperlichen Zerstörungskraft macht einen schließlich unabhängig vom Terror des gesellschaftlichen Systems, der Konformität, der Identität. So frei war in der Tat bis dahin nur sein Gegenspieler, der hartgesottene Top-Jäger bei MNU. Das ist schon klasse, sagt der in aller Offenheit, ich werde dafür bezahlt, dass ich das tue, was mir Spaß macht. Er meint die Jagd auf die prawns, im Dienste der Gesellschaft. Das Kesseltreiben, das Töten.

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