Kino:Die Unpassenden

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Das Filmfestival Underdox zeigt aktuelle Werke, die sich nicht in gängige Genre-Schubladen fügen, und öffnet eine Schatzkiste der Video-Kunst

Von Jürgen Moises

Es gibt Filme, die zu lang oder zu kurz sind, um regulär im Kino oder auf bestimmten Festivals zu laufen. Andere sind zu experimentell, passen nicht in gängige Genreschubladen und von verantwortlicher Seite heißt es dann gerne: Dafür gibt es kein Publikum. Dass das nicht stimmt, das beweist bereits zum zehnten Mal das Underdox-Festival. Hier laufen im Werkstattkino, Filmmuseum, Theatiner-Kino und der Galerie der Künstler bis zum 15. Oktober Filme, die in die Münchner Kinolandschaft sonst nicht reinpassen. Obwohl sie "toll" sind, wie Festival-Leiterin Dunja Bialas findet. Genau das war auch der Grund, warum sie und Bernd Brehmer vom Werkstattkino im Februar 2006 auf die Idee kamen, ein "Festival ohne Publikum" zu gründen, wie Underdox im Untertitel anfangs spöttisch hieß.

Innerhalb weniger Monate und mit einem Budget von 1200 Euro haben Bialas und Brehmer 2006 die erste Underdox-Ausgabe im Werkstattkino gestemmt. Das Budget ist inzwischen gewachsen, seit 2008 ist das Filmmuseum als Spielort fest dabei. Seit 2007 gibt es auch eine "Underdox-Halbzeit", die sich in gesonderten Retrospektiven Regisseuren wie Peter Kubelka oder John Smith gewidmet hat, und seit letztem Jahr gibt es außerdem mit Videodox eine Videokunstausstellung. Über die Jahre hat Underdox damit ein immer größer werdendes Publikum gewonnen, und das obwohl die gezeigten Filme noch genauso lang, kurz, experimentell und in keine Schublade passend sind wie früher.

Zur Kategorie "lang" gehört in diesem Jahr "Homeland" von Abbas Fahdel: ein preisgekrönter, sechsstündiger Dokumentarfilm über Menschen im Irak, die in permanenter Erwartung eines Krieges leben (10. und 11. Okt.). Wie sich bereits vergangene Kriegshandlungen auf absurde Weise in europäischen Landschaften offenbaren, demonstriert Isabelle Tollenaeres Essayfilm "Battles" (11. Okt.). Einen Blick ins Jahr 2052 wirft Ion de Sosa in "Sueñan los androides", der in der Reihe "Die Zukunft des spanischen Kinos" läuft. De Sosa stellt seinen Film, in dem die Grenzen zwischen Science-Fiction und Dokumentaressay verschwimmen, heute um 20.30 Uhr im Werkstattkino vor. So gut wie alle Kinokonventionen auf einmal sprengt Wilhelm Hein mit "You Killed the Undergroundfilm or The Real Meaning of Kunst bleibt. . . bleibt. . ." Einer zwischen 1989 und 2013 entstandenen Mischung aus Tagebuch, Essay, Liebesgedicht und politischem Statement, zwölf Stunden lang und ohne Ton auf 16mm-Film gedreht. In einer "Langen Nacht des Underground" am Samstag in der Galerie der Künstler zeigt der 75-jährige Experimentalfilmpionier sein Monumentalwerk mithilfe dreier Projektoren in einer "beschleunigten" Sechs-Stunden-Fassung. Die 16mm-Rollen hat Hein persönlich mit dem Zug aus Berlin angeschleppt. Weil es Unikate sind, die er nur ungern aus der Hand gibt.

Dass das ein guter Rat ist, beweist die vom 10. bis 15. Oktober ebenfalls in der Galerie stattfindende Videodox-Ausstellung mit Videokunst auf VHS aus dem ehemaligen Spiegel-Archiv der Lothringer 13. Das Archiv wurde 2010 aufgelöst und viele der Filme waren seitdem verschwunden. Wiedergefunden hat sie Bialas in der Wohnung des Architekten Peter Haimerl, der im selben Haus wie die Lothringer 13 residiert. Sie lagerten dort in einem Karton.

Eine "wahre Schatzkiste", so Bialas, mit deutscher und internationaler Videokunst aus den letzten 40 Jahren. Eine Auswahl davon steht nun in der Galerie in einem Regal, man kann sie sich wie früher im Archiv selber herausziehen und auf neun alten Videomonitoren anschauen. Was gibt es noch? Neue Filme von Guy Maddin, Tsai Ming-liang und Apichatpong Weerasethakul, internationale Gäste wie den diesjährigen "Artist in Focus" Nicolas Boone, die Modedesignerin Agnès b., die heute um 21 Uhr im Filmmuseum ihren Debütfilm "je m'apelle hmmm..." vorstellt, oder den Leiter des FID Festival du Cinéma de Marseille Jean-Pierre Rehm, der dort bereits um 18.30 Uhr zwei seiner aktuellen Lieblingsfilme präsentiert.

Auf Rehm freut sich Dunja Bialas ganz besonders, weil er mit seiner unkonventionellen Programmplanung beim FID ein wichtiger "Wegbereiter" für Underdox gewesen ist. "Ohne ihn würde es das Festival in dieser Form nicht geben."

Underdox, bis 15. Oktober, Programm unter www.underdox-festival.de

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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