Kino: "Die Kunst des negativen Denkens":Sei nicht so positiv

Wer ist am schlimmsten dran? Eine Feel-Bad-Komödie aus Norwegen lässt einen Kotzbrocken auf eine Behindertengruppe los.

Alex Rühle

Tori ist Optimismuskoryphäe, eine norwegische Sozialtherapeutin, die eine kleine Behindertengruppe einmal wöchentlich mit eisernem Lächeln einschwört aufs positive Denken: "Kleine Veränderungen bewirken große Veränderungen." Mit Selbstkonditionierungsphrasen des Marktes und immergleichem Psychopushing hält sie all ihre Teilnehmer im Zaum, denn wehe, jemand sagt, was er wirklich denkt oder fühlt, dann bekommt er ihr selbstgehäkeltes Kotzbeutelchen gereicht, in das er all die bösen Dinge hineinsprechen muss.

kino die kunst des negativen denkens

Unter Gruppentherapiezwang: Geirr (links) steckt die anderen an.

(Foto: Foto: Filmverleih)

Ein Kotzbrocken von Geirrs Format freilich passt da nicht hinein. Geirr ist seit einem Unfall gelähmt, impotent und braucht einen Treppenlift, um in sein Zimmer zu kommen, eine Depressionshöhle, in der er Johnny Cash hört, Kriegsfilme anschaut, kifft und säuft. Und wie es sich gehört, für einen, der sich selber hasst, ekelt er sich vor Liebesbekundungen seiner Frau Ingvild: "Ich mag keine Frauen, die auf Krüppel stehen."

Gruppenzwang

In einem letzten Versuch, die Ehe zu retten, lädt Ingvild Toris Gruppe zu sich nachhause ein. Auf das, was folgt, trifft Toris Satz ausnahmsweise zu, diese kleine Veränderung des Gruppenlebens wird große Veränderungen mit sich bringen, die Gruppe fliegt nämlich innerhalb weniger Stunden ungefähr so drastisch auseinander wie eines der Kriegsschiffe in Geirrs Filmen.

Eine "Feel-Bad-Komödie" nennt der norwegische Regisseur Bard Breien seinen Debütfilm, mit dem er auf diversen Festivals Preise gewann. Es ist ein wirklich lustiger Film geworden, Festivalbesucher, die die untertitelte Version kennen, versichern, das norwegische Original sei noch weit besser als die deutsche Synchronfassung, in der man tatsächlich manche Wendung der Handlung kaum nachvollziehen kann. Man spürt den Einfluss Lars von Triers, nicht so sehr seines sozialen Experiments "Idioten" als vielmehr seiner dogmatischen Technikaskese. Während Trier sich in "Idioten" aber so ziemlich alles verboten hatte, was Ästhetik und professionelle Normalität des Kinohandwerks ist, betonen die Handkamera und das natürliche Dämmerlicht hier nur dezent den intimen Raum, das Improvisierte des Gruppenzwangs.

Schwarze Wut

Kraftzentrum des Films ist der von Fridjov Saheim gespielte Geirr, der seit seinem Unfall in einer Umlaufbahn um seine schwarze Wut zu kreisen scheint. Nachdem er sich vergeblich gegen die Eindringlinge gewehrt hat, nimmt er den Kampf mit Tori auf.

Auf ihre Frage, was er in letzter Zeit Schönes erlebt habe, sagt er: "Nun, ich war in letzter Zeit gelähmt und impotent, ich habe also nicht so viel Schönes erlebt." Die anderen Behinderten sehen Geirr, gerade weil er sie alle so derb vor den Kopf stößt, als eine Art Befreier an. Ja, er ist ungerecht und destruktiv, aber immerhin artikuliert er, was sie alle, wenn überhaupt, nur noch gefügig ins blickdichte Kotzbeutelchen flüstern: wie demütigend es ist, plötzlich mit einer Behinderung leben zu müssen, wie untröstbar man ist.

Als Tori alleine die Flucht ergreift, sitzen sie eine Nacht lang zusammen fest: der Schlaganfallpatient Asbjörn, die querschnittsgelähmte Marte mit ihrem Mann, der beim Klettern ihr Seil nicht gesichert hatte und den sein schlechtes Gewissen, gepaart mit weinerlichem Narzissmus, selbst fast zum Pflegefall macht. Und dann ist da noch die eingebildete Kranke Lillemor, eine einsame Egozentrikerin.

Wie es sich gehört für eine Komödie, eskalieren die Beziehungen, Geirr sorgt mit Joints, Alkohol und seiner Wut für radikale Entropie, es endet in der Zerstörung des Mobiliars, einer Runde Russisch Roulette und einer fabelhaften Szene, in der die Behinderten untereinander ein Ranking veranstalten, wer von ihnen nun am allerbehindertsten ist.

Nicht alle Handlungsstränge werden plausibel erzählt; was aber kein Wunder ist, wie sollen sieben Menschen in einer Nacht und in nur 79 Minuten Kinofilm Kathartisches erfahren. Insgesamt aber findet Breien, der auch das Drehbuch schrieb, einen beeindruckend treffenden Ton. Und er macht klar, dass der Schmerz Recht hat, dass man nur durch den Schmerz selbst . . . - aber bei solchen Formulierungen wäre einem Geirr längst mit seinem Rollstuhl von hinten in die Kniekehlen gefahren.

KUNSTEN Å TENKE NEGATIVT, Norwegen 2007 - Buch und Regie: Bard Breien. Kamera: Gaute Gunnari. Mit: Fridjov Saheim, Kirsti Eline Torhaug, Marian Saastad Ottesen. Kool Film, 79 Min.

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