Kino: Die Gräfin:Blut ist das neue Botox

Wider die Verrottung des Fleisches: In ihrem neuen Film "Die Gräfin" legt Julie Delpy die Maske des Unschuldsengels ab und opfert zehn Jungfrauen pro Tag.

Rainer Gansera

Es war einmal eine Zeit, in der es noch kein Botox gab, keine Anti-Falten-Cremes und Frischzellenkuren, keine Schönheitschirurgie und Brustimplantate für 16-jährige Castingshow-Mädchen, keine Industrie, die die Verheißung ewiger Schönheit und Jugend zum Produkt verpackt hatte. Aber der Traum davon - der existierte damals, Ende des 16. Jahrhunderts, natürlich auch schon.

Kino: Die Gräfin: Umso größer die Liebe, desto schlimmer der Wahn: die Blutgräfin (Julie Delpy) mit ihrem jungen Liebhaber (Daniel Brühl).

Umso größer die Liebe, desto schlimmer der Wahn: die Blutgräfin (Julie Delpy) mit ihrem jungen Liebhaber (Daniel Brühl).

(Foto: Foto: Verleih)

Ein fataler Traum: verzweifelte Auflehnung gegen das Älterwerden, das immer schon als narzisstische Kränkung, als schmerzhafter Verlust an Attraktivität und Lebenskraft empfunden wurde. Wie träumten ihn Frauen jener Zeit? Hofften sie darauf, dass sich die Jungbrunnen der Sagen und Märchen würde finden lassen? Sehnten sie einen Mephisto herbei, dem man im Tausch für ewige Jugend die Seele verkaufen konnte?

Die ungarische Gräfin Erzsébet Báthory (1560 - 1614), eine der reichsten und mächtigsten Frauen ihrer Epoche, hatte ihre ganz besondere Verjüngungskur: das Bad im Blut jungfräulicher Mädchen. Eines Tages prügelt sie, so erzählt es nun Julie Delpy in "Die Gräfin", ihre Zofe bis aufs Blut - und ein Spritzer landet auf ihrem Gesicht.

Wie die Báthory sich nun vor dem Spiegel reinigt, glaubt sie zu bemerken, dass ihre Haut sich strafft und verjüngt. Nun ist sie überzeugt, das Wunderelixier gefunden zu haben, das sie, die 38-Jährige, wieder für den Geliebten attraktiv machen wird, der 18 Jahre jünger ist - und sie für die Ehe mit einer Gleichaltrigen verlassen hat. Liebesschmerz als Antrieb für einen Verjüngungswahn, der sich zum Horrorszenario steigert, weil die Gräfin immer mehr Mädchen zur Ader lässt und tötet. Nach kurzer Zeit ist die Blutsüchtige bei einer Opferrate von zehn Jungfrauen pro Tag angekommen.

Frostige Kälte

Eine mysteriöse, Schrecken und Faszination erregende Gestalt, rasch von wild wuchernden Legenden umrankt - auch Bram Stoker ließ sich von der "Blutgräfin" für seine Dracula-Erzählung inspirieren. Julie Delpy jongliert mit Fakt, Legende und freier Erfindung, fächert die Geschichte auf zum historischen Schauerstück, zum tragischen Liebesdrama und zur Parabel unserer Zeit. Das Idealbild jugendlicher Schönheit wird zum Götzenbild, dem reichlich Opfer darzubringen sind. Die Rückseite des Jugend-Ideals ist die Verfallenheit an den Tod, die Todespraxis.

Eine Dialektik, für die der Film gleich zu Beginn eine bizarr-eindringliche Metapher findet. Da begräbt die kleine Erzsébet ihren quicklebendigen Kanarienvogel in einem Blumentopf und wundert sich Tage später, dass sich das Tier in einen wurmzerfressenen Kadaver verwandelt hat: "Wie kommt es, dass jemand, den wir in die Erde legen, nicht auch wie ein Samenkorn wachsen kann?" Erzsébet wird nach der Tradition ihres Adelsgeschlechts zu eiserner Härte erzogen, zu Fühl- und Rücksichtslosigkeit. Eine besonders frostige, taktile Kälte charakterisiert ihre Gesten und Handlungen.

Als 15-Jährige wird sie mit einem Mann verheiratet, der sich vornehmlich auf Schlachtfeldern tummelt. Nach dessen Tod erlebt sie zum ersten Mal so etwas wie Glück. Sie verliebt sich stürmisch in den jungen Istvan (Daniel Brühl), der ihr Sohn sein könnte. Jetzt dürfen sich Hand und Haut zart berühren. Umso tiefer die Verzweiflung, als der Geliebte sie verlässt ...

Ursprünglich wollte Julie Delpy neben der Regie nicht auch noch die Hauptrolle übernehmen. Dass sie es dennoch tat, erweist sich als Glücksfall. Nichts kann diese Figur prägnanter konturieren als ihr Unschuldsengel-Gesicht, das sich zu einer Maske des Wahns und der Grausamkeit verhärtet. Als Darstellerin hat Delpy die Schule des Autorenkinos durchlaufen. Sie spielte bei Godard, Schlöndorff, Tavernier, Kieslowski, Jarmusch, und in den beiden Richard-Linklater-Romanzen "Before Sunrise" (1995) und "Before Sunset" (2004).

Dekomposition der Haut

"Du bist schön wie ein Botticelli-Engel", sagt Ethan Hawke zu ihr in "Before Sunrise". Als Regisseurin setzt sie nun alles daran, dieses Bild zu konterkarieren - bis hin zu dem Todesengel, den sie hier spielt, mit Metaphern von der "Verrottung des Fleisches", runzeligen Händen und der Dekomposition der Haut. Gespenstisch anzusehen, als würde jemand bei lebendigem Leibe zum Leichnam präpariert. Ein Anblick nicht unähnlich dem des gebleichten Michael Jackson.

Ein Film, der über die Haut ins Bewusstsein eindringt. Die Figuren neben der Heldin fügen sich in den Stil einer strengen, kühlen Zeichnung, die den Weg der Gräfin in den Wahn albtraumhaft verdichtet. Erzsébet Báthory hat Macht über Menschen, aber keine Macht über die condition humaine. Ihr Allmachtstraum wird monströs. Kokett, zynisch, mit gespielter Naivität fragt sie einmal: "Ist es falsch, schön und jung bleiben zu wollen?"

Die Antwort darauf gibt dieser Film, doch bei seiner Vorstellung auf der Berlinale wurde Julie Delpy noch deutlicher: "Botox steht für mich für einen gestörten, neurotischen, beinahe wahnsinnig zu nennenden Umgang mit dem alternden Körper. Ich genieße das Älterwerden!" Im Film formuliert es eine Kammerdienerin so: "Es liegt Schönheit darin, die Zeit tun zu lassen, was sie tun muss."

LA COMTESSE, F/D 2009 - Buch, Regie und Musik: Julie Delpy. Kamera: Martin Ruhe. Mit: Julie Delpy, Daniel Brühl, William Hurt, Anamaria Marinca, Sebastian Blomberg. X Verleih, 98 Minuten.

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