Kino:Die dunkle Seite der Burger-Bulette

Kino: Visionär oder Verräter? Michael Keaton (Mitte) spielt in der Tragikomödie "The Founder" den Vertreter Ray Kroc, der aus dem "Speedee-System" von Dick und Mac McDonald ein weltweites Fast-Food-Imperium aufbaute, indem er die Burger-Brüder über den Tisch zog.

Visionär oder Verräter? Michael Keaton (Mitte) spielt in der Tragikomödie "The Founder" den Vertreter Ray Kroc, der aus dem "Speedee-System" von Dick und Mac McDonald ein weltweites Fast-Food-Imperium aufbaute, indem er die Burger-Brüder über den Tisch zog.

(Foto: Daniel McFadden/Splendid)

Der Spielfilm "The Founder" zeigt, wie aus einem kleinen Schnellrestaurant in Kalifornien das McDonald's-Imperium entstand. Eine Erfolgsgeschichte erzählt als amerikanischer Albtraum.

Von David Steinitz

Die Welt vor McDonald's darf man sich getrost als einen schrecklichen Ort vorstellen. Die Herstellung der Hamburger war pure Anarchie, das Fleisch brutzelte auf dem Grill, wie es wollte, der Ketchup wurde in beliebigen Mengen aufs Brötchen gespritzt, und die Menge der Gurkenscheibchen pro Burger unterlag keinerlei Kontrolle. Serviert wurden die unförmigen Burgermonster von Mädchen, deren Miniröcke gefährlich weit über dem Knie aufhörten, und bevor man einen Burgerladen überhaupt betreten konnte, muss man an den halbstarken Teenagern in Blue Jeans vorbei, die sich am Zigarettenautomaten ihre Elvistollen kämmten.

In dieser Fast-Food-Steinzeit beginnt der Spielfilm "The Founder" von John Lee Hancock, der die wilde und wahre Räuberpistole hinter dem Aufstieg des McDonald's-Imperiums erzählt, damals in den Fünfzigerjahren, als die Menschen sich noch mit Fleisch und Zucker zum Glück verführen ließen. Die mutigen Revolutionäre in dieser Geschichte sind die Brüder Dick und Mac McDonald, die Anfang der Fünfzigerjahre zu dem Schluss kamen, dass auf einen anständigen Hamburger genau vier Kleckse Ketchup und zwei Gurkenscheibchen gehören und dass ihre Zielgruppe keine paarungswilligen Halbstarken, sondern brave amerikanische Familien sein sollten.

Der dramaturgische Kniff des Films ist, dass er diese Erfolgsgeschichte nicht nur als amerikanischen Traum, sondern zugleich als amerikanischen Albtraum erzählt. Und zwar, indem er die Story der Brüder aus der Sicht jenes Mannes zeigt, der sie gnadenlos über den Tisch gezogen hat, um aus ihrem kleinen Familienbetrieb in San Bernardino, Kalifornien, ein weltweites Fast-Food-Imperium aufzubauen.

Mit dem "Speedee-System" werden Burger innerhalb von 30 Sekunden hergestellt

Ray Kroc, gespielt von Ex-"Batman" und -"Birdman" Michael Keaton, ist ein erfolgloser Vertreter Anfang fünfzig, der zu Beginn des Films mit seinem verbeulten Auto über staubige Highways fährt und in graubraunen Motelzimmern übernachten muss, um Schnellrestaurants im ganzen Land Milchshake-Maschinen zu verkaufen, die diese gar nicht haben wollen. Eine Maschine für mehrere Shakes gleichzeitig? Wer braucht schon so was. Der Misserfolg hat Kroc tiefe Falten der Wut und der Demütigung ins Gesicht gegraben, aber er ist ein Mann, der an den amerikanischen Traum glaubt wie kaum ein zweiter. Sein Lieblingswort lautet persistance, Beharrlichkeit, und nachts im Motelbett hört er sich bei einem letzten Glas Whiskey immer noch eine Ratgeberschallplatte zum Thema Ausdauer an. Dafür schleppt er selbst in der Wüste einen tragbaren Plattenspieler mit sich herum. Der Titel der Platte: "Power of the Positive".

Weil fast alle Restaurantbesitzer ihn und seine Milchshake-Mixer vor die Tür setzen, wird Kroc ganz misstrauisch, als er eines Tages eine Bestellung für gleich sechs Maschinen bekommt, aus einem winzigen Kaff in Kalifornien. Er ruft an, es muss sich um einen Scherz oder ein Missverständnis handeln, aber der Mann am anderen Ende der Leitung dröhnt nur über laute Großküchengeräusche hinweg: "Bringen Sie uns doch lieber acht!"

Also macht Croc sich in seinem Wagen auf den Weg nach San Bernardino, um herauszufinden, welcher Laden so gut läuft, dass er acht Mixer gebrauchen kann. Die Tankfüllung für diese Fahrt dürfte eine der besten Investitionen aller Zeiten gewesen sein. Vor dem McDonald's-Lokal der beiden Brüder steht eine riesige Menschenschlange. Kroc bestellt sich staunend für 35 Cent einen Hamburger, eine Portion Pommes und eine Cola, die ihm ohne Wartezeit über die Theke nach draußen gereicht werden. Und da wird ihm klar: Das ist die Zukunft.

Nur die beiden Brüder, denen das Wort "Franchise" Magenschmerzen in ihren Wohlstandsbäuchen bereitet und die lieber nette Familien aus der Nachbarschaft bedienen wollen als anonyme Kunden auf der anderen Seite des Landes, wollen ihm ihre Erfindung nicht einfach so überlassen. Und so kommt es zu einem Fast-Food-Streit, der an der Fritteuse und vor Gericht ausgetragen wird. Ray Kroc ist nämlich nicht gewillt, die Idee der Brüder einfach nur zu kopieren - ihr sogenanntes "Speedee-System", mit dem ein Burger innerhalb von nur dreißig Sekunden bei immer gleichen Qualitätsstandards hergestellt werden kann. Nein, er will auch unbedingt ihren Namen haben, McDonald's. Das klingt nach einem glücklichen Familiennachmittag - wer würde schon bei "Kroc's" essen wollen?

Sprung von Disney zu McDonald's

Regisseur John Lee Hancock hat Erfahrung mit der Aufbereitung solcher Popkultur-Mythen, zuletzt hat er die Tragikomödie "Saving Mr. Banks" mit Tom Hanks inszeniert, in der eine ähnliche Konstellation nach einer wahren Geschichte verhandelt wurde. Der große Walt Disney wollte der Schriftstellerin P. L. Travers Anfang der Sechzigerjahre die Filmrechte an ihrer berühmten Kreation "Mary Poppins" abluchsen, die Autorin aber witterte den kommerziellen Ausverkauf ihrer geliebten Schöpfung. Die Konfrontation der beiden Unterhaltungskünstler wurde zum neurotischen Kleinkrieg um jedes Detail.

Die Geschichte der Burger-Kette erinnert den Drehbuchautor an die Gründung von Facebook

Der Sprung von Disney zu McDonald's ist für Hancock nun kein allzu großer. Abgesehen davon, dass "The Founder" nur wenige Jahre früher spielt, wurde in der amerikanischen Filmindustrie jener Zeit mit Künstlern auch nicht anders verfahren als kurz zuvor mit Ketchup und Gurkenscheibchen. Wer was mit wem dreht, welche Stars sich wie oft auf der Leinwand küssen dürfen, wurde von Perfektionisten wie Walt Disney vorgegeben. Aber während "Saving Mr. Banks" gegen Ende etwas im Kitsch der bunten "Mary Poppins"-Welt versank, ist "The Founder" eine durch und durch böse Realsatire über das Prinzip der Massenproduktion geworden, die das 20. Jahrhundert entscheidend geprägt hat, von der Wirtschaft bis zur Popkultur.

Drehbuchautor Robert Siegel, der durch seinen Blut-Schweiß-Tränen-Film "The Wrestler" zu einem gefragten Geschichtenerzähler in Hollywood geworden ist, bekam vom Enkelsohn von Dick McDonald Zugang zum Familienarchiv. Dort fand er frühe Modellbauten von Schnellrestaurantfilialen, aber vor allem Auszüge aus dem Briefverkehr zwischen den McDonald-Brüdern und Ray Kroc sowie Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen.

Nach dieser ausführlichen Recherche entschloss er sich, es dem Zuschauer zu überlassen, ob es ein Segen oder ein Fluch war, dass Kroc auf die beiden Brüder stieß. So, wie er die Figur des Ray Croc anlegt, kann sein Protagonist, der später vom Time Magazine zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts gekürt wurde, den Zuschauern als visionärer Held oder bösartiger Raubtierkapitalist erscheinen, je nach Überzeugung und Moralstandards. Die ganze Geschichte, sagt der Drehbuchautor, habe ihn sehr an Mark Zuckerberg und die undurchsichtige Gründung von Facebook erinnert, bei der ebenfalls einige Menschen auf der Strecke blieben, während einer voranging, der Visionär oder Verräter oder vielleicht sogar beides auf einmal war.

"Mc Donald's hat das Zeug, zur neuen amerikanischen Kirche zu werden"

Michael Keaton spielt seine Rolle denn auch ambivalent, wie zwei sehr verschiedene Seiten derselben Bulette. Zu Beginn möchte man seinen vom Leben enttäuschten Ray Kroc noch in den Arm nehmen und übers Faltengesicht streicheln. Ein enttäuschter Junge im Körper eines gealterten Mannes, der immer wollte und nie durfte. Aber wenn seine Falten sich beim Anblick des leuchtenden McDonald's-Logos durch ein diabolisches Lächeln zu glätten beginnen, wird sofort klar: Die Sache mit der persistance, der Beharrlichkeit, ist für diesen Mann keine hohle Floskel, sondern eine Überlebensversicherung für den Ernstfall. Die Verhandlungen über die Rechte an McDonald's und seiner Idee einer Franchise-Kette werden erst zum Kampf und dann zum Krieg.

Ray Kroc wird in "The Founder" zu einem Mann stilisiert, der aus dem theoretischen Nietzsche-Konzept, dass Gott tot sei, eine kapitalistische Praxis macht, indem er es wörtlich nimmt. Auf all seinen Vertreterreisen von der Ost- zur Westküste und wieder zurück hat er noch im kleinsten Kaff immer ein Gebäude vorgefunden: die Kirche. Und Kroc erkennt schon am Knistern des Papiers, aus dem er seinen ersten Fließbandburger auspackt, dass die göttliche Institution von nun an ausgedient hat, weil sie weder Fett noch Zucker anbietet. "McDonald's, meine Herren", sagt er in einem der ersten Gespräche mit den beiden Gründer-Brüdern, "hat das Zeug, zur neuen amerikanischen Kirche zu werden."

The Founder, USA 2016 - Regie: John Lee Hancock. Buch: Robert Siegel. Kamera: John Schwartzman. Mit Michael Keaton, Nick Offerman, John Carroll Lynch, Linda Cardellini. Splendid, 115 Minuten.

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