Kino: "Dem Himmel so fern":Weniger ist Moore

Heim ins Melodram - "Dem Himmel so fern" von Todd Haynes

HANS SCHIFFERLE

Wenn die Kamera von Ed Lachman langsam hinabgleitet ins herbstliche Connecticut von 1957, dann weiß man nicht, ob man im Paradies gelandet ist oder in einem Gefängnis. Man verspürt eine Sehnsucht nach heiler Welt und zugleich hegt man Misstrauen gegenüber der Idylle. Ein erster Riss im Dasein der Whitakers, die mit ihren Kindern ein vorbildliches Leben in der Kleinstadt Hartford führen, wird sichtbar, als Cathy aufs Polizeirevier bestellt wird, nicht um einen James-Dean-Rebellen abzuholen wie bei Nicholas Ray, sondern ihren Ehemann Frank, den angesehenen Chef der Werbeabteilung eines TV-Geräte-Herstellers.

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(Foto: SZ v. 13.03.2003)

Todd Haynes' neuer Film wirkt beinahe so, als würde er aus den Fünfzigern stammen. Die Farben, die Ausstattung, die ganze mise en scène ist genauestens den Melodramen von Nicholas Ray, Max Ophüls ("Schweigegeld für Liebesbriefe", ein Thriller über die Abwesenheit eines Ehemanns) und vor allem Douglas Sirk nachempfunden. In Julianne Moores Spiel blitzen Reminiszenzen an Lana Turner, Jane Wyman, Joan Bennett auf, in Quaids Darstellung schwingt die Erinnerung mit an Fred MacMurray und Robert Stack. "Dem Himmel so fern" gibt sich dabei nicht postmodern ironisch oder campy, sondern ernsthaft und elegisch. Zweifellos, die Schönheit und Vergänglichkeit der herbstlichen Blätter, die Melancholie und Tristesse, die Einzug hält in Connecticut, ist echt. Die Andersartigkeit jener Zeit, ihrer Gesten, Stile und Formen interessiert Haynes. Die Fünfziger erscheinen letztendlich als Territorium der Erinnerung, nah und fern zugleich, gespeist aus den alten, aber immer noch gegenwärtigen Bildern des Kinos, der Werbung und des Fernsehens.

Kann man sich vorstellen, dass es in diesem cleanen Technicolor-Kosmos Homosexualität gegeben hat? Kann man sich darin die Liebe einer verheirateten weißen Frau zu einem farbigen Mann vorstellen? Haynes treibt das weiter, was Ray oder Sirk nur mit einer Farbe, einer Geste angedeutet haben. Der Tabubruch wird plastisch, die Nahtstellen zwischen Verbot und Begehren werden in quälender wie verlockender Weise deutlich.

Dabei spielt wieder das Kino eine wichtige Rolle, als Ort der Träume und der Transgression. Dennis Quaid treibt es bei einer nächtlichen Tour ins Kino, wo gerade "The Three Faces of Eve" läuft, ein Joanne-Woodward-Film über eine multiple Persönlichkeit. Von dort führt ihn der Weg in ein trauriges Schwulenlokal am Ende einer Sackgasse. Das Lichtspielhaus mit seiner Leuchtreklame wird zum Tor einer demimonde, während der TV-Apparat, den er verkauft, den Suburbia-Wahnsinn nur auf den Punkt bringt. Auch Julianne Moore als Cathy hat vor dem Kino eine entscheidende Begegnung. Beinahe würde sie ihn berühren, ihn vielleicht küssen, den farbigen Gärtner Raymond Deagan, den Dennis Haysbert spielt. Mit seiner tiefen hypnotisch erotischen Stimme hat ihr dieser Witwer und allein erziehende Vater einer Tochter Trost gegeben, als sie fast zerbrochen ist an der Entfremdung ihres Mannes, an der Heuchelei der Stadt. Ein kurzer Moment vor dem Kino gegen jede Chance: denn weder die übermächtige weiße noch die kleine schwarze Community duldet nur den Hauch einer solchen Liebe.

American beauty: Diesen Hauch einer Chance filmen Haynes und Lachman in großartiger Manier. Es ist Cathys seidener Schal, der zum Signal der Sehnsucht wird. Ein Windstoß weht ihn ihr aus der Hand, er flattert über das Dach hinweg in den Garten, wo ihn Raymond Deagan, der Gärtner finden wird. Ein geheimes Band stellt der lila Schal dar, ein Farbton, der schräg ist und queer. Wie wenig andere Filmemacher haben Haynes und seine Produzentin Christine Vachon eine schwule Kino-Sensibilität in der amerikanischen Filmtradition wiederentdeckt und im jetzigen Mainstream verankert. Das Kino und das Leben, die europäische Kunst und amerikanische Natur, diese Gegensätze haben Haynes schon in seiner Glam-Rock-Oper "Velvet Goldmine" fasziniert. Jetzt spielt eine zentrale Szene des Films bei einer Kunstausstellung. Während sich die Honoratioren über die Modernen mokieren, findet Raymond Deagan, der in der Natur arbeitet, einen unmittelbaren Zugang zu einem Miro-Bild - eine Szene, die die Popkultur und die high culture zusammenbringt. Am Ende steigt Lachmans Kamera wieder sanft hoch, begleitet von Elmer Bernsteins melodiöser Musik. Eine weiße Blüte des Frühlings kommt überraschend ins Bild. Ein neues Jahr hat begonnen, eine neue Ära vielleicht. Beim Verlassen des Kinos spinnt man die Fiktion fort. Was wird aus den Kindern des Films? Vielleicht wird Cathys Tochter die Paranoia der Fünfziger wiederholen, sich aus Angst vor Aids und jeglicher Berührung abschotten in den Achtzigern oder Neunzigern, wie Julianne Moore in einem anderen Haynes-Film, in "Safe" von 1995, in dem sie dem Himmel ganz und gar fern bleibt.

FAR FROM HEAVEN, USA/F 2002 - Buch, Regie: Todd Haynes. Kamera: Edward Lachman. Musik: Elmer Bernstein. Mit: Julianne Moore, Dennis Quaid, Dennis Haysbert, Patricia Clarkson, Viola Davis. Concorde, 107 Minuten.

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