Kino: "Darjeeling Limited" von Wes Anderson:Letzte Hoffnung Stewardess

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Drei exzentrische Brüder treffen sich in einem indischen Zugabteil und rauchen wie die Schlote: Mit "Darjeeling Limited" setzt Wes Anderson sein fantastisches Familienkino fort.

Rainer Gansera

Es war einmal, vor über fünfzig Jahren, da holte der Westen sich ein neues Land in sein Blickfeld, zur Inspiration, zur Rekreation, zur Erleuchtung. Aufbruchstimmung in der Literatur, im Kino: "Die Reise nach Indien hat heute die traditionelle Griechenlandreise ersetzt. Aber nicht nach irgendeiner exotischen Landschaft bricht Jean Renoir auf, sondern eher zur Wiege aller indoeuropäischen Zivilisationen; er erwartet von Indien, dass es ihm den Grundton zurückgibt, der sich hier bei uns in einem misstönenden Konzert verloren hat", schrieb Jacques Rivette 1952 zu Jean Renoirs Film "The River".

Ein Fall von Erleuchtung: Adrien Brody als Peter, Jason Schwartzman als Jack und Owen Wilson als Francis (v.l.) in "Darjeeling Limited" von Wes Anderson. (Foto: Foto: ddp)

Eine Dekade später wurde der Trip zu den Ursprüngen dann zur Magical Mystery Tour: Pop, Aussteigerpathos, Erleuchtungsfolklore. Was passiert nun, wenn die Kinder der Blumenkinder nach Indien aufbrechen? Bei Wes Anderson, Jahrgang 1969, haben sie beides im Gepäck: die Reminiszenz an Renoirs "poetisches Meisterwerk" (Anderson) und an den hippiesken Aufbruch der sechziger Jahre. Ihr Resümee: "Es sollte eine spirituelle Reise werden, aber das hat nicht so richtig funktioniert!"

Wenn Wes Anderson in seinem fünften Spielfilm drei Brüder in einen Zug namens Darjeeling Limited (der den indischen Bundesstaat Rajasthan durchquert) setzt, dann ist wohl klar, dass auch sie im Anderson-Universum unterwegs sind, mit all seinen Absurditäten und Obsessionen: Drei in sich verschlossene Charaktere, die ihr Lebensunglück hinter der Maskerade exzentrischer Kaspereien verbergen; klaustrophobische, puppenhausartige Schauplätze, die aufgesprengt werden wollen; eine Atmosphäre aus Melancholie, wohlsituierter Dekadenz und bekifftem Witz; ein Figurentheater, das sich um die Suche nach familiärem Zusammenhalt dreht.

Man kennt das aus "Die Royal Tenenbaums" (2001) oder "Die Tiefseetaucher/The Life Aquatic with Steve Zissou" (2004), und es gab zuletzt begründete Vorwürfe, dass Anderson nurmehr repetitiv sich selbst umkreisen würde. Darauf antwortet er in "Darjeeling Limited" mit erzählerischen Befreiungsschlägen und überraschenden zentrifugalen Bewegungen.

Vor einem Jahr haben die drei Whitman-Brüder sich aus den Augen verloren, nach dem Tod des Vaters, nun treffen sie sich im Erste-Klasse-Darjeeling- Limited-Zugabteil zur gemeinsamen "spirituellen Reise". Zögernd enthüllen sich die Lebenskatastrophen: Peter (Adrien Brody) - mit Vaters großer Sonnenbrille auf der Nase sieht er wie eine mysteriöse Eule aus - weiß nicht mehr weiter, weil er eine Frau verlassen will, die er nicht liebt, die aber ein Kind von ihm erwartet. Francis (Owen Wilson), der Älteste, geht am Stock und sein Kopf ist von Bandagen verhüllt: Ergebnis eines Motorradunfalls, den er - so deutet er es an - absichtlich herbeigeführt hat.

Typisch Anderson, wie er diesen bandagierten Kopf einerseits zur Clownsmaske macht, andererseits zum tragischen Anblick. Bei ihm kippt immer das Lachen in ein Erschrecken um, und umgekehrt. Auch Jack, der jüngste (Jason Schwartzman, der am Drehbuch mitschrieb), arbeitet gerade eine Beziehung ab.

Francis, der über hinreichende finanzielle Mittel verfügt, hat die Reise initiiert und übernimmt sogleich das Kommando. Ein Kontrollfreak, in dessen detailversessener Regieführung sich Wes Anderson augenzwinkernd spiegeln mag. Irgendwo im Gepäckabteil hat er seinen Assistenten (Wally Wolodardsky) placiert, der das Tagesprogramm - vom Zähneputzen bis zum Besuch diverser Kultstätten - auf dem mitgebrachten Computer ausdruckt, in Plastikfolie einschweißt und den Brüdern unter der Tür zuschiebt.

Schon bei der Bestellung im Speisewagen bevormundet Francis die Brüder, die sich an die peinlichen Maßregelungen der Mutter erinnert fühlen. Aus diesem Konflikt treibt Anderson anfangs die Komik der Dreibrüder-Konstellation hervor: Jack stürzt sich in eine kurze, heftige Affäre mit der hübschen Bordstewardess, Peter hantiert mit Giftschlangen, Francis schluckt seine Pillen, alle drei rauchen wie die Schlote und die Kamera verliebt sich in das Rot-Türkis-Safrangelb der indischen Kleider und Dekors.

Auf großer Suche

Bis sich der Zug verfährt und die Brüder, bepackt mit elf Koffern und dem Computer, den Weg zu Fuß fortsetzen müssen, und plötzlich Zeugen eines tragischen Unfalls werden. Hier, in einem indischen Dorf, angesichts des Todes eines Kindes - eine parallele Passage findet sich, unvergesslich, in Renoirs "The River" -, wandelt sich der Erzählton ganz ins Ernste, und Anderson, der bis dahin alle Symbolik der "Sinnsuche" - vom Kofferballastabwerfen bis zum slapstickartigen Aufspringen auf den fahrenden Zug - vorgeführt und ironisiert hat, kann nun das Sichnäherkommen der Bruder in schlichten Gesten zeigen.

Als Prolog hatte Anderson ein Jahr zuvor einen dreizehnminütigen Kurzfilm fabriziert, der "Hotel Chevalier" heißt und in den USA als Vorfilm lief oder auf iTunes zu sehen ist. Hier wird mit einer für Anderson erstaunlichen Gefühlspräzision von einer Nicht-mit-dir-nicht-ohne-dich-Liebe erzählt. Man sieht Jack, der sich in ein Pariser Nobelhotel zurückgezogen hat, er bestellt sich ein exquisites Abendessen aufs Zimmer, legt eine Platte auf: Peter Sarstedts "Where do you go to my lovely?"

Dann steht die Frau, vor der er aus Amerika floh, in der Tür: Natalie Portman, mit ihrem burschikosen Kurzhaarschnitt verhängnisvoll schön wie Jean Seberg in Godards "Außer Atem", und man versteht sofort, dass Jack niemals von ihr loskommen wird. Nach kurzen Präliminarien landen sie im Bett, und wenn die Frau sphinxhaft sagt: "Wir können ja gute Freunde bleiben!?", lautet die Antwort: "Ich kann nie und nimmer dein Freund sein!"

Mitten auf dem Darjeeling-Trip enthüllt Francis das eigentliche Ziel: den Besuch der Mutter, die in einem Himalaya-Kloster als Nonne lebt und Waisenkinder betreut. Rabenmütterlich hat Patricia (Anjelica Huston) einst ihre eigenen Kinder im Stich gelassen, um fromm zu werden und ihre Wohltätigkeit exotischen Dritteweltkindern zu schenken. Als sie erfährt, dass ihre Söhne in Indien weilen, lässt sie ausrichten, dass der Augenblick nicht günstig sei für einen Besuch.

Aber im Anderson-Universum hat solche Abweisung nichts Verstörendes, und in der Begegnung der Brüder mit der Mutter wird sein Herzschlag am deutlichsten spürbar. Die große Suche, die er in seinen Filmen beschreibt, wird immer ins Leere laufen.

THE DARJEELING LIMITED, USA 2007 - Regie: Wes Anderson. Buch: Wes Anderson, Roman Coppola, Jason Schwartzman. Kamera: Robert Yeoman. Musik: Randall Poster. Songs von Kinks, Rollings Stones, Peter Sarstedt u. a. Mit: Owen Wilson, Adrien Brody, Jason Schwartzman, Amara Karan, Wally Wolodarsky, Waris Ahluwalia, Barbet Schroeder, Bill Murray, Anjelica Huston. 20th Century Fox, 91 Minuten.

HOTEL CHEVALIER, USA 2007 - Regie, Buch: Wes Anderson. Kamera: Robert Yeoman. Mit: Natalie Portman, Jason Schwartzman. Fox, 13 Minuten.

© SZ vom 2.1.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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