Kino:Bollywood mit der Polizei

Agnieszka Zwiefkas Film "The Queen of Silence" über ein taubstummes Roma-Mädchen wird beim polnischen Filmfestival Cinepol gezeigt

Interview von Caroline von Eichhorn

Eigentlich wollte Agnieszka Zwiefka einen Film über eine Roma-Siedlung am Stadtrand von Breslau drehen. Als ein taubes Roma-Mädchen ständig ins Bild tanzte, blieb der polnischen Regisseurin nichts anderes übrig, als die zehnjährige Denisa Gabor in den Fokus der Dreharbeiten zu setzen. Herausgekommen ist der Dokumentarfilm "The Queen of Silence", der einen in das Leben eines Mädchen mitnimmt, das als Romni und Taubstumme doppelt diskriminiert ist. Er läuft auf dem Filmfestival Cinepol, das vom 25. bis 29. November polnische Filme zeigt und in diesem Jahr seinen fünften Geburtstag feiert.

SZ: Wie haben Sie reagiert, als Ihnen Denisa ständig vor die Kamera tanzte?

Agnieszka Zwiefka: Ich war furchtbar genervt. Ich hatte mir zu Beginn ja eine ganz andere Story überlegt. Ein Jahr lang habe ich darauf hingearbeitet, dass mir die Bewohner vertrauen und wir zu filmen beginnen konnten. Dann kam Denisa neu in die Community. Sie machte von Anfang an klar, dass sich der Film um sie drehen muss, oder es gibt keinen Film. Einmal wollten wir eine ziemlich emotionale Szene mit dem Jungen drehen, der seinem inhaftierten Vater Briefe malt, weil er nicht schreiben kann. Denisa tanzte ständig Bollywood im Hintergrund, wir konnten die Aufnahmen wegwerfen. Dann mussten wir schnell überlegen, was wir aus der Situation machen und haben uns auf Denisa eingelassen. Von da an waren wir alle in sie verliebt.

Wie haben Sie sich mit Denisa verständigt?

Mit Händen, Füßen, Bildern und allen Wegen, die es rund um das Sprechen gibt. Wir sind immer noch in Kontakt. Sie ruft mich hin und wieder an. Sie kennt meine Nummer inzwischen auswendig. Ich stelle keine Fragen, weil sie ja nicht antworten könnte. Ich schicke ihr Smileys.

In einer Szene tanzt Denisa mit einem Polizisten Bollywood. Das ist kaum noch dokumentarisch, oder?

Nein. Die Szene ist choreografiert. Davon gibt es einige im Film. Damit eröffnen wir einen Raum, bei dem der Zuschauer in Denisas Phantasie einsteigen kann: Die meisten Tanzteile sind von Denisa improvisiert. Wir haben die Szenen an Stellen im Film eingesetzt, wo wir einen Aufhänger gesehen haben. Eine Stelle ist, wie die Polizei vorbeikommt, um die Camp-Auflösung zu besprechen. Der Polizist sollte ursprünglich nur zuschauen, wie die Kids tanzen. Denisa hat ihn aber zum Tanzen gebracht, weil sie das richtig cool fand.

Ihr Film zeigt das Leben der Roma in Breslau - ihr Camp war vom Abriss bedroht. Geht es Roma in ganz Europa ähnlich?

Ja, wir bekommen es nur häufig nicht mit, weil die Siedlungen meist versteckt liegen. Die Roma sind die am meisten marginalisierte Gruppe in Europa. Das Camp in Breslau sollte eigentlich aufgelöst werden. Doch als wir den Film drehten, fürchteten die Stadtbehörden schlechte Publicity auf Arte und HBO und änderten ihre Pläne. Inzwischen ist es sogar gewachsen, weil Roma aus einer Siedlung bei Berlin, die aufgelöst wurde, hierher gezogen sind.

Sie waren drei Jahre lang mehrmals wöchentlich im Lager zu Besuch und hatten Einblicke ins alltägliche Leben. Hat es Sie wütend gemacht zu sehen, dass Eltern ihren Kindern keine Bildung ermöglichen?

Natürlich war ich mal wütend. Ich habe sie öfters angeschrien, etwa wenn sie wieder etwas nicht lesen konnten. Aber sie haben mir auch zugehört. Zum Schuljahresbeginn haben sie ihre Kinder auf die Schule geschickt. Eine Freundin von Denisa, sie ist im Film kurz zu sehen, ist ziemlich gut in der Schule.

Wie ging es Ihnen dabei zuzusehen, wie Eltern ihre Kinder zum Betteln schicken?

Ich habe miterlebt, dass sie keine andere Chance haben. Während des Films habe ich nur beobachtet. Nachdem der Film fertig war, half ich bei der Jobsuche. Sobald eine Firma erfuhr, dass der Bewerber ein Roma ist, hieß es immer: Tut mir leid, der Job ist schon vergeben. Erst wollte ich es nicht glauben. Doch ich habe es viele Male hintereinander erlebt. Viele Roma wollen ihr Leben verändern, aber es existieren Vorurteile in den Köpfen, die es enorm erschweren.

Könnte Denisa schaffen, ihr Tanztalent zu professionalisieren und damit Geld verdienen?

Es ist schwierig. Sie tanzt großartig, aber eben so wie eine taube Person tanzen kann. Es gibt Nuancen in der Musik, die sie nicht hören kann. Allerdings gibt es ein Theater in Polen, das vielleicht ein Stück mit ihrer Geschichte machen möchte. Das wäre eine tolle Chance für sie.

Was sollten Ihrer Meinung nach die europäischen Regierungen machen, um das Leben der Roma zu verbessern?

Bildung. Wenn die Kinder in die Schule gehen, knüpfen sie Freundschaften mit anderen Kindern und verstehen sich gegenseitig besser. Das könnte viele Probleme lösen. Auch die Erwachsenen brauchen Bildung. Die meisten Roma würden alles dafür geben, ihr Nomadendasein gegen ein normales Leben in einer Wohnung mit fließend Wasser einzutauschen.

Was haben Sie während der Dreharbeiten von den Roma gelernt?

Das Leben zu genießen. Roma wissen zu schätzen, was sie haben, auch wenn es nicht viel ist. Sie leben stark im Hier und Jetzt, hängen nicht den guten, alten Zeiten hinterher, aber planen auch nicht so weit voraus. In ihrer Sprache gibt es ein Wort für morgen und eines für die Zeit nach morgen. Das kann irgendwann sein.

The Queen of Silence (OmU); Freitag, 27. Nov., 19 Uhr, Monopol, Schleißheimer Str. 127

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