Kings "Dreamcatcher":Pragmatisch, mythisch, gut

Dem Horror eine Chance: Lawrence Kasdan verfilmt Stephen Kings "Dreamcatcher".

FRITZ GÖTTLER

Krieg auf eigenem Terrain, Belagerungszustand, Infiltration - man erlebt Amerika an der Heimatfront in diesem Film, in einem gnadenlosen Gefecht zwischen Gut und Böse, das für das Schicksal der ganzen Welt entscheidend ist.

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(Foto: SZ v. 09.04.2003)

Es ist ein grausamer, ein schmutziger Kampf, der einen natürlich Dinge zu tun zwingt, die nur durch den Ausnahmezustand zu rechtfertigen sind. Aber die Feinde sind Aliens aus dem All, die seit 25 Jahren versuchen, die Erde zu erobern und alle ihre Lebewesen mit einer Krankheit zu infizieren, der die US- Militärs den Namen Ripley gegeben haben - nach der Heldin in dem Film "Alien", die vor ähnlichen Problemen stand, mit schuppigen, sabbernden Ungeheuern, die sich in menschlichen Innereien einnisten und ihre Wirtskörper zum Platzen bringen. Diesmal sind sie im Hinterland von Maine gelandet, einem winterlichen Märchenwald, dem sanfter Schneefall die Aura von verwunschener Vergessenheit verleiht, die man aus den Texten zur Kindheit kennt, von Dickens oder Benjamin. "Ich erwache", heißt es zu Beginn von Stephen Kings Roman (deutsch unter dem Titel "Duddits"), "um zu schlafen, und nehme mir zum Erwachen Zeit. Gehend lerne ich, wohin ich gehen muss."

Vergessen wollen auch vier Jungs, die sich jedes Jahr in diesem Wald einmal zu einem Jagdwochenende treffen. Die täglichen Enttäuschungen vergessen, die Träume, die sich nicht erfüllen wollen, die Einsamkeit, die einen plötzlich die Pistole packen und an die Schläfe setzen lässt, und die Rendezvous, die nicht eingehalten werden von der Traumfrau, die einem plötzlich über den Weg läuft und die natürlich nicht daran denkt zum Muschelessen zu kommen, um halb sechs, nachdem sie ihren Deal erledigt hat . .. All das vergessen, aber sich dafür an die Zeit zurückerinnern vor zwanzig Jahren, die Zeit mit Duddits, dem Jungen, der geistig zurückgeblieben nur deshalb scheint, weil er in Wirklichkeit allen anderen so sehr weit voraus ist.

"The Big Chill" hieß der Film, mit dem, zwanzig Jahre ist das nun schon wieder her, Lawrence Kasdan beinahe so etwas wie ein Kultregisseur geworden wäre: Ein paar Männer und Frauen, die sich treffen, um eines gemeinsamen Freundes zu gedenken, der sich die Pulsadern aufgeschnitten hat, und denen dabei klar wird, dass es nicht einfach sein wird, mit der Leere der bevorstehenden Achtziger fertig zu werden: Glenn Close und Jeff Goldblum waren darunter, Kevin Kline und William Hurt, und Kevin Costner. Dass Kasdan dann doch nicht zum Kult wurde und sich in absurde Tagträumereien, "Grand Canyon", oder groteske amerikanische Mythen, "Wyatt Earp", verzettelte, macht ihn heute zur sympathischen Ausnahmefigur. Man glaubt ihm, wenn er von seinem großen Wunsch spricht, endlich mal einen Horrorfilm, ein splatter movie drehen zu wollen.

Mit einer Analyse setzt der neue Film ein, einem Typen, der seine Probleme mit dem Vater im wahrsten Sinne des Wortes in sich hineinfrisst - bis die Couch des Psychiaters zu Bruch geht. Die Szene nimmt den ganzen Film vorweg, auch der wird, in seiner erzählerischen Entwicklung, seiner Dramaturgie auseinander brechen, unter dem Ansturm der Bilder, Emotionen, Erinnerungen, der Impulsivität von Stephen Kings Phantasie. Und das, obwohl mit William Goldman und Kasdan selbst zwei der Top-Drehbuchexperten Hollywoods am Werk waren. Und mit Morgan Freeman einer jener Stars, die jeden Film auf Kurs bringen können.

Freeman ist ein Dämon in diesem Film, ein apokalyptischer Captain der US Army, der - ein Kilgore der Heimatfront - seinen eigenen Feldzug gegen die Aliens führt, in der Tradition von John Wayne und mit seiner eigenen Blue Unit. Die Hubschrauber-Attacke auf das gestrandete Raumschiff in den Bergen inszeniert Kasdan mit der gleichen wütenden Heftigkeit, mit der einst John Ford den Angriff auf das Dorf der Comanchen zeigte am Ende von "The Searchers".

Eine blinde Aggressivität ist hier am Werk. "No bounce no play" ist das Motto, "kein Prall, kein Spiel" - die amerikanische Gesellschaft ignoriert wieder mal das Spiel von Aktion und Reaktion. Nur kleine Gesten sind den Jungs geblieben, selbstgenügsam, marottenhaft, ein kreisender Zeigefinger, der mit enormer Treffsicherheit anzeigt, wo man verlorene Gegenstände wiederfinden wird, ein Zahnstocher zwischen den Lippen, den man nicht mehr rausnehmen muss, wenn man das Glas kippt. Schizophrenie ist eine Frage des Einstellungswechsels und das Gedächtnis ist eine Rumpelkammer - und als solche wirklich gefilmt -, ein staubiges Lagerhaus, europäischen "Passagen-Werken" nicht unähnlich.

Für King ist amerikanische Geschichte mythisch, für Kasdan eher pragmatisch, und der Clash der beiden Konzepte und Kulturen ist signifikant für den Zustand der amerikanischen Gesellschaft heute. Eine Verwirrung, die erst mal dem Kino angelastet wird - "Dreamcatcher" wurde beim Start vorige Woche in den USA von der Kritik zerrissen. Kasdan nimmt das Genre absolut ernst, das die elementare Furcht erforscht, die Ängste von außen und von innen: was der eigene Körper entfesseln kann aus sich heraus. Und wie die Gesellschaft sich dagegen verhärtet, versteift - einmal ist in der Tat von Priapismus die Rede, der krankhaften Dauererektion! Der Moment höchster Konzentration kommt, wenn einer der vier sich dem Alien, dessen Basilisken- blick ausgesetzt sieht. Da ist er, jener big chill, den das Kino zu verursachen sich vornimmt.

DREAMCATCHER, USA 2003 - Regie: Lawrence Kasdan. Buch: William Goldman, L. Kasdan, nach dem Buch von Stephen King. Kamera: John Seale. Schnitt: Carol Littleton, Raul Davalos. Musik: James Newton Howard. Mit: Morgan Freeman, Thomas Jane, Jason Lee, Damian Lewis, Timothy Olyphant, Tom Sizemore, Donnie Wahlberg. Warner., 134 Min.

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