Kinder- und Jugendtheater:Fabelhaftes Bokodil

Kinder- und Jugendtheater: Mit Gartenzwerg und Waffenschein könnte eigentlich alles ganz harmonisch sein. Austauschschüler Dave bei seinen Gasteltern.

Mit Gartenzwerg und Waffenschein könnte eigentlich alles ganz harmonisch sein. Austauschschüler Dave bei seinen Gasteltern.

(Foto: Judth Buss)

Eine Gastfamilie erwartet "Besuch aus Tralien". Doch der Austauschschüler Dave entpuppt sich als Krokodil. In der Uraufführung von Martin Baltscheits Kinderbuch in der Schauburg geht es um "deutsche Leitkultur"

Von Barbara Hordych

Man könnte Martin Baltscheit als einen Philosophen aus dem Fabelreich der Tiere bezeichnen: Den Menschen erzählt er Geschichten vom Löwen, der nicht schreiben kann, von einem Fuchs, der den Verstand verlor, von einem Bären, der mit einer Krähe den Körper tauscht oder von dem lebenswerten Tag einer Eintagsfliege. Für sein jüngstes Bilderbuch "Tschiep!" (2018) erkor er sich ein aus dem Nest gepurzeltes Vogeljunges zum Helden, das von Fröschen aufgezogen wird und sich im babylonischen Stimmengewirr zwischen maunzenden, krähenden, quakenden und kläffenden Tieren als äußerst sprachbegabt erweist. Und entdeckt, dass man mit einem energischen "Wuff" gelegentlich sogar eine gefährliche Katze in die Flucht schlagen kann. "Mir liegt es nicht, nur einen hehren moralischen Anspruch oder eine pädagogische Botschaft umzusetzen. Es muss schon ein besonderer Dreh hinzukommen, damit mich die Geschichte reizt", sagt der 53 Jahre alte Düsseldorfer Künstler über seine oft selbst illustrierten Bücher für Kinder, in denen er in urkomischen und blitzgescheiten Texten überraschend tiefgründige Fragen behandelt.

Im vergangenen Jahr stellte das Multitalent Baltscheit, der für seine Werke nicht nur mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis und dem Deutschen Jugendtheaterpreis prämiert wurde, sondern auch als Hörbuchsprecher aktiv ist, auf dem Filmfest München sein Spielfilmdebüt "Nur ein einziger Tag" vor. In dem Menschen in den Rollen der Fabel-Tiere agierten. An diesem Freitag, 13. April, kommt er erneut in die Landeshauptstadt - um die Uraufführung seines Kinderbuchs "Besuch aus Tralien" in der Schauburg zu erleben.

Um die Kunst der Verständigung geht es auch dieses Mal. Aber im Falle von Baltscheit kann man darauf vertrauen, dass er wieder eine hinreißende Situation voll anarchischem Witz zu diesem Thema erschaffen hat. Tatsächlich entpuppt sich der Austauschschüler Dave, der aus dem weit entfernten "Tralien" anreist, als Krokodil. Ein Umstand, den das Baby der Gastfamilie mit dem Ausdruck "Bokodil" sofort auf den Punkt bringt. Alle anderen, insbesondere die fürsorglichen Gasteltern und die engagierte Lehrerin, vermeiden es geflissentlich, diesen Fakt anzusprechen.

Stattdessen bemühen sie sich, ihrem weitgehend stummen Gast "einheimische Kultur" wie Autofahren, Fußballschauen und Zähneputzen zu vermitteln. Im Gegenzug legen sie sich auch schon einmal zu Dave in den Gartenteich, um sich wie er mit offenen Mündern zu sonnen. Lediglich dass er sein Essen im Maul herumschleudert, anstatt es mit Messer und Gabel zu zerteilen, irritiert sie nachhaltig. Der Clou: Dass der kleine Gast gar kein Junge, sondern ein Krokodil ist, dessen Hand "sich anfühlt wie eine Tasche", wie die Mutter feststellt, geht zunächst nur aus den Bildern von Maria Karipidou hervor.

"Weil niemand ausspricht, wer oder was Dave eigentlich ist, entsteht ein Effekt wie bei den Kasperlestücken", sagt Baltscheit. Die Kinder sähen, dass da ein Krokodil auf der Bühne sei, "nur der Kasperle vorne am Bühnenrand nimmt die Gefahr nicht wahr, die Zuschauer sind ihm also einen Schritt voraus". Als gefährlich erweist sich indessen nicht Dave, der sich im weiteren Verlauf der Geschichte rührend als Babysitter betätigt, seinen Schützling mit dem ungewohnten Müsli füttert und sogar die Zähne putzt. Vielmehr ist es der Nachbar Sprüngli, dem ausgestopfte Tiere an der Wand viel lieber sind als lebende, der die Situation eskalieren lässt.

Den Anstoß zu dem 2017 erschienenen Buch gab der Dressler-Verlag, der bereits Baltscheits Rollentausch-Geschichte "Krähe und Bär" als Hörspiel veröffentlichte. Für die dem Autor übrigens auf der Leipziger Buchmesse der diesjährige Kinderhörspielpreis des MDR-Rundfunkrates überreicht wurde. "Die Grundidee zu dem Tralien-Buch kam vom Verlag, der sich etwas zur Flüchtlingsthematik wünschte", sagt Baltscheit. Weil ihm das "Dokumentarische" nicht liege, suchte er also wieder nach einem besonderen "Dreh". So erschien Dave auf der Bildfläche, der seltsam stille Tralier, der seine menschliche Gastfamilie mit der Frage konfrontiert: Was ist die deutsche Leitkultur? Und wie viel können wir voneinander annehmen, um uns anzupassen?

Froh ist er, dass Rüdiger Pape die Regie übernahm. Er hat schon die Uraufführung von Baltscheits "Nur ein Tag" vor zehn Jahren im Bonner Theater Marabu inszeniert. "Das hat er so wunderbar gemacht, dass ich danach die ganze Truppe zu meiner Hochzeit eingeladen habe, in die Gärtnerei meines Schwiegervaters, wo sie Szenen aus dem Stück gespielt haben", sagt Baltscheit. Seine Zwillingssöhne seien mit ihren heute neun Jahren im idealen Alter für den "Besuch aus Tralien", meint der Autor. "Jünger sollten die Zuschauer keinesfalls sein."

Besuch aus Tralien; ab 10 J., Uraufführung am Freitag, 13. April, 18 Uhr, Schauburg

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