Karel Gott zum 70.:Gott of Schlager

Grenzüberwinder, Heimatloser, Peter Pan - ist Karel Gott unser böhmischer Michael Jackson? Zum 70. Geburtstag eines Schlagerstars.

Helmut Mauró

Eigentlich wollte er Maler werden. Und, man traut es sich kaum zu sagen: Er war sich sicher, dass man ihn an der Kunstakademie nicht annehmen würde. Deshalb - und hier hätten sich andere rechtzeitig Orientierung holen können - wurde er Elektriker. Nicht Politiker, nein: Elektriker. Karel Gott, der am Dienstag 70 Jahre alt wird, hat die Kurve gerade noch gekriegt und sich auf die Seite der Guten geschlagen, auf die Seite der Musik in ihrer volksbeglückendsten Form, dem Schlager. Ein anderer Karel, Karel Krautgartner, holte ihn 1959 zuerst in seine Band und schickte ihn dann aufs Prager Konservatorium, um Gesang zu studieren.

Karel Gott zum 70.: Einfach zwei Buchstaben weglassen, und schon ist man Gott: Eigentlich heißt der skandalfreie Schlagersänger Karel Gottar.

Einfach zwei Buchstaben weglassen, und schon ist man Gott: Eigentlich heißt der skandalfreie Schlagersänger Karel Gottar.

(Foto: Foto: ddp)

Und wozu das alles? Karel Gott hat es in einem seiner gelungensten Lieder selbst auf den Punkt gebracht: "Einmal um die ganze Welt, und die Taschen voller Geld." Aber die Begründung für dieses heiße Sehnen zeigt die visionären Dimensionen des böhmischen Barden: "Viele främdä Ländä sehn, auf dem Mond spazieren gehn." Am 17. Oktober 1970 veröffentlichte Karel Gott diesen Schlager, nachdem die Möglichkeit des Mondspaziergangs ein Jahr zuvor für die Menschheit wahr geworden war. Schon als Bub habe er davon geträumt, singt er, und der Drang ins Überirdische, Himmlische, scheint Karel Gott tatsächlich in die Wiege gelegt. Natürlich ist Gott wie so oft nur ein Künstlername, die Wirklichkeit ist wie bei allen anderen Schlagersängern auch viel nüchterner.

Als Karel Gottar wurde er in Pilsen geboren, dieser "westböhmischen Metropole", wie sie sich auf ihrer Homepage bezeichnet. Auch hier musste Karel weniger schummeln als seine Kollegen. Einfach zwei Buchstaben weglassen, und schon ist man Gott. Was mussten sich die Heinos, Roy Blacks und Rex Gildos da nicht verbiegen und verleugnen. Aber das Schicksal hat sie ja auch hart dafür bestraft. Karel Gott dagegen stürzte weder besoffen von einer Bierzeltbühne noch aus einem Toilettenfenster. Des weiteren musste er sich weder Vorwürfe versteckter Homophilie oder pädophiler Neigungen gefallen lassen, noch schlief er mit fremden Kindern im eigenen Bett wie etwa Michael Jackson, für den dies auf dem Höhepunkt seines Ruhms das mediale Todesurteil bedeutete.

Tanzen, lachen, glücklich machen

Trotzdem gibt es sanfte Berührungspunkte zwischen dem King of Pop und dem Gott of Schlager: Denn auch Gott hat Rasse- und Genre-Grenzen überschritten, wanderte mutig zwischen den Welten, zwischen Böhmen und Bayern zum Beispiel, zwischen Sudetendeutschen und Österreichern. Für letztere eroberte er 1968 den 13. Platz beim Eurovision Song Contest. Das Lied dafür schrieb Udo Jürgens, ansonsten komponierte für Karel wiederum ein anderer Karel, nämlich Karel Svoboda.

Man weiß natürlich nicht, wie viel Prozent der Böhmen ohnehin Karel heißen. Karel Gott brachte aber auch Landsmannschaften zusammen, die geographisch und auch mental nicht zwingend zusammengehören. Allein wie er "Taschen voller Geld" ausspricht, nämlich "Daschen", weich und weit wie ein ausgebeultes Sakko oder eben wie Fränkisch oder Tirolerisch. Ist der Grenzüberschreiter Karel Gott unser böhmischer Michael Jackson? Wollte Gott nicht schon 1970 auf dem Mond spazieren gehen, 13 Jahre, bevor sich Michael Jackson dann ebenfalls als Moonwalker outete?

Damals, Anfang der siebziger Jahre, rief der junge hornbebrillte Dieter Thomas Heck den Böhmen aus als Shooting Star, worauf sich der angekündigte Titel "Babicka" auch schon wieder reimte, wie sich damals im deutschen Schaugeschäft fast alles reimen musste, was Harmonie und Geborgenheit versprechen wollte. Von null auf Platz sieben hat die Babicka den Karel geschubst, nur die eingeblendete Adresse irritiert: Posener Straße 25, 5620 Velbert 1.

Soll hier Karel von seiner Babicka gedrückt und gehätschelt worden sein? Hier zwischen Mühlheim an der Ruhr und Wuppertal? Karel, ein Heimatloser, vom Ostkommunismus in die Westhitparade Geworfener? Und Babicka? Dieses Idealbild einer Großmutter, Wunschtraum aller Kaffefahrtenbetrüger, wo ist sie abgeblieben? Was die einst alles konnte: "Singen, kochen, tanzen, lachen, glücklich machen." Und: "Pferde stehlen, Äpfel schälen."

Eine Freundin, mit der man Äpfel schälen kann - so etwas kann sich nur jemand ausdenken, der auf dem geistigen Stand eines Dreijährigen stehengeblieben ist. Steckt also nicht auch in Gott ein Peter Pan? Wer sonst könnte eine Biene zum Idol erheben, dargestellt als eine Art Tigerente mit Flügeln, besungen als "die kleine freche schl- ... es folgt eine klitzekleine Gesangspause, in der man das kleine freche "schl" unwillkürlich zu Schlampe ergänzt, es heißt aber dann: "schlaue" Biene Maja. Selbst die Tanzversion in Reggae-Anmutung hat diesen Bubencharme, das gutmütige Peter-Pan-hafte und den drängenden Wunsch, dieser kleinen frechen Biene Maja die Flügel auszureißen.

Die Strafe folgt auf dem Fuß: Bushido featuring Karel Gott in "Für immer jung". Böhmischer Schlager-Gott meets Berliner Betschwester - das Grauen des Rappens und des Schlagers auf CD gebrannt. Darunter die herzerweichenden Hilfeschreie von Karel, der doch nur immer jung bleiben will: "Hab' Blue Jeans in der Seele." Das hätte Jacko dann doch anders gesagt.

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