Kampf gegen Anglizismen:Angriff der Sprachretter

Der Kampf gegen Anglizismen hört nicht auf, denn die Verhunzung des Deutschen droht von allen Seiten. Aber die Sprache hat schon ganz andere Dinge überstanden.

Georg Ringsgwandl

Es ist ein Wahnsinn, was die deutsche Sprache schon alles überlebt hat. Tausend Jahre Dialektdurcheinander, Jahrhunderte, in denen die Oberschicht Lateinisch oder Französisch gesprochen hat und dann nochmal 1000 Jahre die regierungsamtliche Strapaze seitens Adolf Hitlers und Konsorten. Jetzt aber droht der Todesstoß aus den Tiefen des world wide web: die Aktion "Lebendiges Deutsch". Wir sollen künftig Klapprechner sagen statt Laptop, Prallkissen statt Airbag, meuten statt mobben, und wenn dich die Pubertät heimsucht, sollst du auf keinen Fall chatten, sondern netzplaudern.

Kampf gegen Anglizismen: Vereint hinter dem "Klapprechner" beim "netzplaudern". Stilblüten einer deutschen Sprache ohne Anglizismen.

Vereint hinter dem "Klapprechner" beim "netzplaudern". Stilblüten einer deutschen Sprache ohne Anglizismen.

(Foto: Foto: ap)

Das ist kein Witz, sondern eine Initiative aus dem "Haus der Deutschen Sprache" (HDS), erbaut von einem Fähnlein sprachbesorgter Käuze, die unerschrocken der Anglizismenflut entgegentreten. Noch ist das HDS nur eine Homepage, aber wenn sich genügend Sprachschuhplattler finden, und das steht beim nächsten Anstieg der Arbeitslosenzahlen zu befürchten, so wird daraus bald ein richtiges Haus mit Schild außen und Ausstellungen innen drin, wo zeigen wie fuckin inglish unsere Sprach fertig macht.

Appelle gehören seit je her zur Folklore der deutschsprachigen Siedlungsgebiete. Alle Daumenlang steigt ein Apostel auf den Stuhl und predigt, wir sollen unser Haus warm einpacken, mal diesel-, mal benzin-, mal gas-, mal überhaupt keine und dann plötzlich batteriegetriebene Autos kaufen, nicht rauchen, uns ballastreich ernähren, Müll trennen und dann wieder nicht, immer gibt's jemanden, der weiß, wie es sein müsste.

Bedrohung von allen Seiten

Man fragt sich nun, welche Zielgruppe diese Sprachwächter im Visier haben. Es können ja nur die sein, die bekehrbar sind zum manierlichen Deutsch. Die brauchen aber keine Nachhilfe mehr, sie kaufen schon seit Jahren die freundlich geschriebenen Sprachverbesserungsbücher von Bastian Sick und Epigonen. Bei der Masse derer aber, die bzgl. dass/das-Unterscheidung schmerzfrei sind, pocht der Sprachsittenwächter vergeblich an eine fest verrammelte Tür. Drinnen sitzen Erna und Herbert im Jogginganzug auf dem Sofa und sehen fern.

Die Verhunzung des Deutschen droht von allen Seiten. Und das Problem sind aber nicht ein paar angstgebeutelte Industrieangestellte, die versuchen, ihr Gestammel mit englischen Brocken aufzumöbeln; die gefährlichste Art der Sprachverstümmelung kommt vielmehr direkt von der Regierung: Job-AQTIV-Gesetz oder Berufenet-Team sind amtlich verordnete Sprachgrausamkeiten, die mit verschärftem Kerker geahndet werden sollten.

Während die Verantwortlichen aber nach getaner Untat mit fett bezahlten Stellen bei einem russischen Gaskonzern oder einem deutschen Energieversorger belohnt werden, streicht man unschuldigen Schülern Rechtschreibfehler an, die ihnen selbst der Kultusminister nicht erklären kann. Gottseidank sind die Kinder noch nicht so ausgefuchst, dass sie den Lehrer fragen, wie jemand Kanzler werden konnte, der so sprach wie Kohl. Oder Ministerpräsident, obwohl er so sprach wie Stoiber. Und wie ist Schröder durchs Abi gekommen, wo er doch selbst bei englischen Politikern einen Dolmetscher brauchte?

Agentur für Arbeit heißt es statt Arbeitsamt, liebe BürgerInnen und Bürger, Gleichstellungsstelle, Genderkompetenz, verhaltenskreative Kinder, Förderschule und so weiter, all dies sind nicht anglizistisch "durchrasste", aber absolut hinterfotzige Wortklingeleien. Ist diese Art heimtückischer Schönsprech der sprachliche Ausdruck zunehmend geschickterer Ausübung von Herrschaft?

Das wird einem in der Schule so nicht gesagt, aber wenn der Bachelor für Kommunikationswissenschaft hört, wie ihm ein Abteilungsleiter in leisen, wohlgesetzten Worten mitteilt, dass er als Praktikant gerne gratis schuften darf, die festen Stellen aber anderweitig gebraucht werden, lernt der zutrauliche Jungwähler, dass die Beherrschung der Sprache keine Marotte weltfremder Schullehrer ist, sondern eine bewährte Waffe für den Überlebenskampf im modernen Dschungel. Und so schickt der gewiefte Personalchef sprachlich ungelenke BewerberInnen auf die Stellen, wo Nicole putzt und Kevin Regale einräumt. Wahrscheinlich also tun Ehrgeiz und das Gerangel um die besseren Stellen mehr für die Pflege der deutschen Sprache als die Appelle der Deutschbewahrer.

Wer setzte denn noch vor kurzem auf eine Renaissance (sic!) deutscher Texte in der Popmusik? Keine zehn Jahre ist es her, da signten (doch so sprachen sie) die Intelligenzbolzen der Plattenindustrie jede Menge deutscher Idiotenbands, die das Publikum mit erbärmlich zusammengeschusterten englischen Texten anbrüllten. Globalisierung hieß es, die Sprache der Popmusik sei nun eben mal Englisch.

Ein paar Jahre später, als die Plattenfirmen ihrem wohl verdienten Siechtum anheimfielen, kamen Judith Holofernes mit der Band Wir sind Helden, Jan Delay und andere deutschsprachige Künstler mit hervorragenden Texten, und heute nehmen die Überreste jener Firmen keinen mehr unter Vertrag, der die Welt von hier aus mit englischen Texten beglücken will. Wer eine saubere Brille hatte, sah schon lange vorher, dass Grönemeyer, Lindenberg und die Ärzte mehr Platten und Konzertkarten verkauften als die meisten der hochgejubelten Ausländer, aber das passte nicht in die Lesart der Branche. Auch diesen Krampf hat die deutsche Sprache also überstanden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie gefährlich ein rappender Libanese in Neukölln der deutschen Sprache werden kann.

Angriff der Sprachretter

Vor fast 300 Jahren schrieb Johann Sebastian Bach in ein Klavierübungsbuch "Explication unterschiedlicher Zeichen, so gewisse manieren, artig zu spielen, andeuten". Auch er, der Nationalheld, kannte also wenig Gnade mit dem Deutschen. Wenn man sich so anschaut, was sie alles erlebt hat, so kommt einem die deutsche Sprache vor wie eine zarte schöne Frau. Jeder meint, er müsse sie beschützen, dabei ist sie zäher als alle glauben.

Die Vorstellung, dass alle von klein auf astrein Deutsch lernen und es später ein Leben lang in Beruf und Familie vollstrecken, hat etwas Beklemmendes. Mir ist es lieber so, wie es ist: Eine sprachliche Elite spricht astreines Deutsch und drumherum wuchert eine Wildnis von Dialekten, Mixturen aus gebrochenem Deutsch und Fremdsprachen, Fachchinesisch vom Installateur bis zum Hirnchirurgen, und dazwischen wuseln die Journalisten mit permissiver Orthographie.

Sprachliche Unbeholfenheit ist kein eindeutiges Merkmal, aber sie macht es einem immerhin einfacher zu erkennen, wen man vor sich hat. Früher, als man den Herrn oder die Dame körperlich vor sich hatte, kamen einem Kleidung, allgemeiner Pflegezustand, sogar geruchliche Faktoren bei der Beurteilung des anderen zuhülfe. Heute dagegen, wo die meisten Kontakte über Telefon, SMS oder E-Mail geschehen, ist die Sprache das einzige Kriterium zur Einschätzung des Gesprächspartners. Willst also nicht übel auffallen Du, bemüh' Dich um ordentlichen Ausdruck.

Verona Feldbusch als Retterin der Sprache

Ernsthafte Gefahr droht der Sprache eigentlich nur von ihren berufsmäßigen Wächtern. Vermutlich hat Verona Feldbusch mit ihrem "Hier werden Sie geholfen" dem Deutschen mehr geholfen als jene Literaturkritiker, die einen Edelverlag solange in den Schwitzkasten nehmen, bis er ihren Roman veröffentlicht, darin sich dann über hunderte von Seiten schön formulierte Trostlosigkeit verbreitet. Hätte man mich als Gymnasiast gezwungen, so etwas zu lesen, wäre ich für die deutsche Sprache verloren gewesen.

Georg R., dessen Eltern nur insgesamt vier Bücher besaßen, hatte aber das Glück von Deutschlehrern, die es verstanden, in dem Unterschichtsbuben eine Begeisterung für die Lyrik von Trakl und die Prosa Wolfgang Borcherts zu wecken. Auch wenn es altklug klingt, gut ausgebildete Germanisten gibt es nicht ohne eine gewisse Zahl hochkarätiger Institutionen, in denen, abgeschieden vom Lärm der Öffentlichkeit, ernsthafte Wissenschaftler sich mit der Sprache auseinandersetzen.

Egal, ob man Musil und Kafka, Heinz Erhardt und Tucholsky oder alle viere verehrt, diese Meister sind nun mal nicht zu haben ohne die ungeheure Menge von Kitsch und trivialem Geschreibsel außenherum. Bei der sprachlichen Produktion ist es wie in einer Autofabrik, es gibt gute Ware und Ausschuss. Ohne Ausschuss keine Qualität. Und dann ist ja noch die Frage, was bitte ist denn 1A und was ist Ausschuss?

Die deutsche Sprache ist durch einen Libanesen aus Neukölln, der in gebrochenem Deutsch rappt, genauso wenig gefährdet wie die Kunst des Automobilbaus durch ein paar Rumänen, die in der Garage eine S-Klasse zu einem Pickup umschweißen. Die Kunst, sie ist ein amöboides Gebilde. Es wabert, wie Wagner sagte. Keiner weiß, woher der nächste Thomas Bernhard kommen wird. Sicher ist nur: vermutlich nicht aus dem germanistischen Seminar.

Poetryslam mit Brecht und Novalis

Man kann sich über poetry slammer aufregen, die, von einer gängigen Mode angelockt, mehr oder minder klapprige Texte zusammenklopfen. Aber immerhin handelt es sich hier um jemanden, der mit Sprachbegeisterung infiziert ist. Es kann gut sein, dass er in ein paar Jahren auf die Texte von Brecht stößt, Novalis und Hölderlin entdeckt und dann dauert es nicht mehr lang und er ist bei Andreas Gryphius.

Nick Woodland, ein englischer Gitarrist, der seit Jahren in München lebt und in seinem Bayerisch-Deutsch sich weder um Artikel noch Fälle schert, studierte lange die Songs von Bob Dylan. Von Dylan gelangte er über Emmylou Harris zu Dolly Parton und entdeckte auf einer ihrer Platten den deutschstämmigen Mandolinenvirtuosen Chris Thile, der mit seiner Band Nickel Creek später einen Robert-Burns- Text vertonte. In den Gedichten von Burns erkannte Nick Einflüsse auf Dylans Lyrik, und kurze Zeit später landete er bei Shakespeare, von wo es nicht mehr weit zu den Griechen war.

Die Klassik ist also nicht so leicht totzukriegen. Sie wurde ja auch nicht überliefert, damit misslaunige Lehrer unschuldige Kinder quälen, sondern weil es über mehr als zweieinhalb Jahrtausende immer wieder Menschen gab, die von bestimmten Werken fasziniert waren. Eines hatte allerdings nie eine Bedeutung: der Appell an die sprachliche Moral.

In dieser kleinen Realitätsrundschau hoffte ich zu zeigen, dass die Aktion Lebendiges Deutsch schon seit der Völkerwanderung läuft. Also, liebe Sprachwächter, das Haus der Deutschen Sprache kann vom Netz genommen und die Stiftung geschlossen werden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: