Kammerspiele:Zugeflüstert und ausgeplaudert

Kammerspiele: Hört dieser Mann gerade wirklich etwas, oder beobachtet er in Wahrheit die anderen? Bei "Top Secret International" kann man nicht sicher sein.

Hört dieser Mann gerade wirklich etwas, oder beobachtet er in Wahrheit die anderen? Bei "Top Secret International" kann man nicht sicher sein.

(Foto: Gabriela Neeb)

In "Top Secret International" lockt Rimini Protokoll die Besucher nicht nur durch ein Meer antiker Heldenköpfe, sondern erzählt auch von der Macht der internationalen Geheimdienste

Von Christiane Lutz

Seinen Partner zu überwachen, ist ein Kinderspiel. Im Internet gibt es Spy-Software zu bestellen, mit der man fremde Telefone ausspionieren kann - nicht nur das des Partners, auch das von Arbeitskollegen oder seinen Kindern. "Sie haben ein Recht, zu wissen", wirbt eine Firma. Schon klar. Ein "Recht zu wissen" gönnt sich auch jeder Staat. Er leistet sich seine eigene "Spy-Software" - in Form von Geheimdiensten. Wie diese arbeiten und warum es sie überhaupt gibt, ergründen Rimini Protokoll in ihrem Projekt "Top Secret International".

Der Ort der Ergründung ist diesmal kein Theater - obwohl die Kammerspiele der offizielle Veranstalter sind - sondern die Glyptothek. Am Eingang erhält jeder Zuschauer einen Kopfhörer und ein zum Notizblock umgebautes Ortungs-Kästchen. Eine Stimme lotst ihn dann durch das Köpfemeer antiker Machthaber, im Originalton erzählen ehemalige und aktive Geheimagenten und solche, die sich mit der Materie auskennen, Wissenswertes über die Arbeit der Geheimdienste. Darunter sind zum Beispiel Beiträge von Jacob Appelbaum, amerikanischer Journalist und Datenschutz- und Anti-Überwachungsaktivist und Gerhard Schindler, ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendienstes.

Zahllose Interviews haben Rimini Protokoll - das sind Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel - für das Projekt geführt. "Geheimagenten aufzutreiben, war gar nicht so einfach", sagt Daniel Wetzel, zwischen ein paar antiken Männerkörpern sitzend, im Flüsterton "als wir aber erst mal einen hatte, der uns weiterempfohlen hat, war es einfacher". Ein Agent erzählt von hinterlassenem Sprengstoff in Libyen, den die EU vor dem IS in Sicherheit bringen will. Ein griechischer Agent, den Wetzel traf, stellte alles, was Wetzel sagte, komplett in Frage. Misstrauen muss eine der Voraussetzungen für eine Agentenkarriere sein.

"Anfangs hatten wir überlegt, das Projekt im Bayerischen Hof zu machen", sagt Wetzel - dem Ort, wo sich tatsächlich viele Agenten treffen. "Da hätte man mehr spekulieren können: Wer trifft sich in dieser Café-Ecke?" Sie entschieden sich für die Glyptothek, "weil uns die Kollision mit der Kunstgeschichte interessiert hat". Begegnungen mit einer Büste Platons oder Mark Aurels sollen daran erinnern, wie das Prinzip des Staates einst seinen Anfang nahm. Und daran, dass es immer schon Machtsysteme gibt, die entstehen und zerfallen. Die hölzerne Spracherkennungssoftware-Stimme liefert Informationen dazu. "Museen funktionieren natürlich komplett anders als Theater", sagt Wetzel. Man habe Angst gehabt, die durch den Audioguide abgelenkten Zuschauergruppen könnten vielleicht einen Platon umschmeißen. "Die Sorge bei unseren Testdurchläufen hat sich aber nicht bewahrheitet." Das Projekt ist übrigens der erste Teil einer Tetralogie namens "Staat", in dem sich Rimini Protokoll mit "Phänomenen des Postdemokratischen" beschäftigt, in Düsseldorf beispielsweise mit überdimensionierten Bauprojekten, in Dresden dann mit der Generation Internet.

An einigen Stellen beim Rundgang dann fordert die Computerstimme den Besucher auf, eine moralische Entscheidung zu treffen, die den Fortgang seiner Route durch die Ausstellung beeinflusst. Etwa: "Würden Sie die Emails Ihres Partners lesen? Gehen Sie in Raum Nummer sechs. Wenn nicht, bleiben Sie hier". Dank des Ortungssystems weiß das Notizbuch-Kästchen ja allzeit, wo man sich befindet und setzt den Rundgang dank der dazu programmierten Inhalte entsprechend fort. Der Zuschauer soll so vom Beobachter zum Entscheidungsträger werden und sich hineinziehen lassen in die komplexe Denkstruktur der Geheimdienste. So gut das eben an so einem Abend möglich ist. Bleibt noch zu hoffen, dass bei der Premiere die Technik nicht versagt. "Ein Albtraum", sagt Wetzel. "Wir haben jahrhundertelang gelernt, wie man mit Bühnenbildnern spricht, aber nicht, wie man mit Programmierern redet."

Top Secret International (Staat 1), von Rimini Protokoll, Samstag, 10. Dez., 14-21 Uhr, Glyptothek, Königsplatz 3

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: