Kammerspiele:Alles Zinnober

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Der Schauspielschüler als Selbstbefrager: Wiebke Puls benutzt E.T.A. Hoffmanns Märchen "Klein Zaches" als Nabelschau

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Der Werkraum der Kammerspiele ist diesmal ein schwarzer Kasten, worin schwarz gekleidete Menschen, am Boden krauchend, fröhlich lallen, sabbern und Daumen lutschen. Ein bisschen sieht das aus nach Samy-Molcho-Workshop in der Hosenscheißer-Gruppe. Dabei sind das erwachsene Menschen, die hier Kleinkinder mimen, genau genommen zehn junge Männer und Frauen aus dem dritten Jahrgang der Otto-Falckenberg-Schule.

Homo ludens, der spielende Mensch, ist für die Schauspielerin Wiebke Puls der Ausgangspunkt ihrer Inszenierung "K!lein Zach!es M!ein Zinnob!er", in der sie die Motive für den später professionell ausgelebten Spieltrieb auf der Bühne hinterfragt. Die vielen Ausrufe-, Frage- und sonstigen Satzzeichen in Titel und Untertitel wollen hier offenbar nicht nur manieriert nach Aufmerksamkeit heischen, sondern die eigene Unsicherheit illustrieren. Wiebke Puls also fragt. Und lässt die Schauspielschüler und -schülerinnen sich selbst befragen. Geschlagene zwei Stunden lang.

Das Problem: Weil jedes gute Spiel eine unwiderstehliche Magie ausübt und süchtig macht, wollen auch einige große Menschen, die sich lebenslang eine kindliche Neugier bewahren, vor zahlendem Publikum Pantomimen, Liedchen und jede Menge Text zum Besten geben. Und weil ein derart vielschichtiger Prozess viele offene weiße Stellen und geheimnisvolle schwarze Löcher kennt, erscheint ein Märchen die perfekte Vorlage für so ein Unterfangen. Eines von E.T.A. Hoffmann zumal, weil hier das Absurde, auch Gefährliche stets mitspielt.

In "Klein Zaches genannt Zinnober" verschlüsselt E.T.A. Hoffmann seine Kritik am Duodezfürstentum in der herzallerliebsten Geschichte um den verkrüppelten, potthässlichen Klein Zaches, in dem alle Menschen, die ihm begegnen, dank des beschönigenden Zaubers einer guten Fee einen bildschönen Heilsbringer zu erkennen glauben. Am Ende ermorden sie ihren falschen Messias, die eigene Dummheit blutig rächend. Der Kampf der Dummen gegen die poetische Welt der Feen mittels der Propagierung einer vermeintlichen Aufklärung wäre ein brandaktuelles Thema gewesen. Wiebke Puls hätte es in der Welt des Theaters wie auch in der realen suchen und finden können. Sie tat es nicht.

Stattdessen verwurstelte sie den "Klein Zaches", bis zur Unkenntlichkeit eingedampft in eine mickrige Rahmenhandlung, mit eigenen Texten. Letztere drehen sich, vornehmlich in Monologen, um die Selbstzweifel der Jungmimen kurz vor Ausbildungsschluss und fragen allen Ernstes auch noch danach, was Theater darf. Einen Zwerg mit Buckel ausstellen in Zeiten der Inklusion - geht das? Denkt an Richard III. - also ja. Das Einzige, was die angehenden Profis bei "Klein Zaches. Mein Zinnober" lernen können, ist, sich in einer total verpeilten Inszenierung zu behaupten. Denn als Regisseurin fiel Wiebke Puls nichts Besseres ein, als die nach wie vor hippe selbstreferenzielle Solo-Performance auf Kindergartenniveau wiederzukäuen. Ernüchterndes Fazit: Was man nicht kann, soll man nicht machen.

© SZ vom 16.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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