Kammeroper:Chromatische Schwaden

Lucia Ronchettis "Mise en Abyme" bei den Winterfestspielen in Erl

Von Rita Argauer, Erl

Kinder verlieren sich gerne in solchen Bildern: Etwa eine Zeichnung, in der das Gezeichnete wieder vorkommt und sich kleiner werdend ins Unendliche spiegelt. In der Theorie nennt man das Mise-en-abyme, ein Kunstgriff, den es in der Bildenden Kunst, im Theater oder in der Literatur gibt. Gerade in der Postmoderne, in der das Reflektieren der eigenen Kunstform in der geschaffenen Kunst beinahe zum guten Ton gehört, ist das beliebt. Dem entspricht auch Lucia Ronchettis gleichnamige Kammeroper, die 2015 an der Semperoper uraufgeführt und nun bei den Winterfestspielen in Erl gezeigt wurde.

Ihr "Mise en Abyme" ist eine kleine, spitzfindige Reflexion über das Musiktheater, dessen Geschichte und den Betrieb dahinter. Konkret hängt sie das an der Uraufführung von Domenico Sarros "Didone abbandonata" 1742 in Neapel auf. Briefe und Aufzeichnungen des Librettisten Pietro Metastasio dienen ihr als Libretto, die Komposition wird zur musikalischen Vorlage und die Dramaturgie, die im Original ein zweiteiliges Intermezzo in Buffa-Ästhetik als Blick hinter die Kulissen bereit hält, spiegelt sich in Ronchettis Werk. Das wird - theoretisch aufgedröselt - ganz schön kompliziert. Praktisch aber, als sinnliche Erfahrung in der Aufführung, entwickelt es durchaus Witz. Etwa in der zweiten Szene des vierteiligen Stücks, die eben auf jenem Intermezzo beruht. Ein Impresario und eine Operndiva handeln ihre Zusammenarbeit aus. Die Diva, in hinreißend sicherem und passend schrillem Sopran gesungen von Maria Radoeva, liefert sich einen Schlagabtausch mit dem Countertenor Jan Jakub Monovid. Ein satirischer Blick auf ein Starsystem, das auch heute noch so funktioniert.

Am eindrücklichsten aber ist Rochettis musikalische Arbeit. Sie hat eine zerrissen dünne Partitur für Kammerorchester geschrieben, herausragend musiziert vom Ensemble Risognanze unter der Leitung von Tito Ceccherini. Barocke Anleihen werden da zerhackt und neu zusammenfügt. Besonders schön ist der Anfang, wenn ein Sängerquartett in Bauarbeiterkleidung das alleinige musikalische Gerüst für Alec Avedissian in der Dreifachrolle von Librettist, Erzähler und König bildet. Später dann, wenn dieser kurzzeitig am Kunsterschaffen verzweifelt, setzt sie chromatische Schwaden in den Raum. Zuvor benutzt sie den tollen Kunstgriff, eine Arie für Countertenor und Sopran nur mit Kontrabass und Fagott zu instrumentieren.

Die tonale Mitte als der Bauch der Musik bleibt unerfüllt, nur die äußeren Spektren sind hörbar und verweisen auf die große Leerstelle, die eine so stark als Struktur gedachte Kunstform im Inhalt auch immer hat. Das ist letztlich auch ein minimaler Schwachpunkt. Denn ab und an hängen die Szenen, die der strengen formalen Konstruktion folgen, spannungsdramaturgisch ein bisschen durch.

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