Kammergericht Berlin greift ein:Pressefreiheit selbstverständlich?

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Warum man über einen DDR-Offizier, der jetzt ein hoher Bundespolizist ist, ab sofort wieder berichten darf.

Heribert Prantl

Über ihn durfte man nichts schreiben, keinen Namen nennen, kein Foto veröffentlichen: Der Mann heißt Sven Hüber - und das Landgericht Berlin hatte es, auch der Süddeutschen Zeitung, untersagt, "bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250000 Euro oder Ordnungshaft bis zu sechs Monate" wörtlich oder sinngemäß über ihn und seinen bemerkenswerten Werdegang zu berichten.

Der Fall Hüber zeigt, dass der Pressefreiheit immer noch Fesseln angelegt werden. (Foto: Foto: obs)

Bundesgrenzschutz war nicht nachtragend

Sven Hüber war Oberleutnant der DDR-Grenztruppen und Politoffizier im Grenzregiment 33. Soldaten dieses Grenzregiments haben am 5. Februar 1989 den DDR-Flüchtling Chris Gueffroy erschossen; er war der letzte Mauertote. 1987 hatte Hüber eine Diplomarbeit an der DDR-Offiziersschule in Suhl verfasst. Ihr Titel: "Der Bundesgrenzschutz als Instrument imperialistischer Macht- und Herrschaftssicherung".

Der Bundesgrenzschutz zeigte sich wenig nachtragend: Der DDR-Oberleutnant wurde nach der Wende dort Beamter und machte auch eine schöne Karriere. Heute heißt der Bundesgrenzschutz Bundespolizei und der frühere DDR-Oberleutnant ist Vorsitzender des Hauptpersonalrats, vertritt in dieser Funktion die Interessen der 41 000 deutschen Bundespolizisten gegenüber dem Bundesinnenministerium. Der ehemalige DDR-Oberleutnant ist also ein wichtiger Polizeifunktionär in der Bundesrepublik geworden. Und über diesen Mann und seinen bemerkenswerten Werdegang soll man nichts schreiben, seinen Namen soll man nicht nennen dürfen?

Das ist offensichtlicher Unsinn, und zwar so offensichtlich, dass man diesen Artikel ohne lange Ausführungen zur Pressefreiheit hier an dieser Stelle beenden könnte. Aber das Selbstverständliche ist neuerdings, gerade wenn es über Pressefreiheit geht, nicht mehr selbstverständlich. Das Landgericht Berlin hatte es auf Antrag des ehemaligen Oberleutnants tatsächlich untersagt, "wörtlich oder sinngemäß" den Namen des ehemaligen Oberleutnants zu nennen "und/oder" im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei den DDR-Grenzschützern oder seiner heutigen Tätigkeit bei der Bundespolizei zu nennen. Er habe ein Recht, "in gewählter Anonymität zu bleiben". Eine Publikation verletze die Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre des Mannes.

Gibt es für einen Mann, der in der Öffentlichkeit steht, ein solch umfassendes Recht auf Anonymität? Darf einer, der Vorträge zum DDR-Grenzregime hält und im Fernsehen Interviews darüber gibt, der in der Gewerkschaftszeitung zusammen mit dem Bundesinnenminister auf dem Titel abgebildet ist, Veröffentlichungen über sich, die ihm nicht passen, verbieten? Das Landgericht Berlin sagte "Ja" - und gab so dem Mann ein Recht auf Tabuisierung der Zeitgeschichte.

Das Landgericht Berlin verbot es also zunächst dem Buchautor Roman Grafe, in seinem Buch Deutsche Gerechtigkeit, das vom weiteren Lebensweg der Angehörigen des DDR-Grenzschutzregiments 33 handelt, über Sven Hüber zu schreiben. Und der Süddeutschen Zeitung, die über diesen Rechtsstreit (siehe Ausriss oben) berichtete, traf sodann, bei Vermeidung von Sanktionen, das nämliche Verdikt. Hätte diese Gerichtsentscheidung Bestand gehabt, hätten Betroffene künftig "mit juristischen Mitteln die Meinungsbildung der Öffentlichkeit zu einem historisch besonders bedeutsamen Thema" beeinflussen können.

Pressefreiheit ist kein gesicherter Bestand

Mit dieser soeben veröffentlichten Begründung hat das Kammergericht Berlin die Entscheidung der ersten Instanz aufgehoben. Das Urteil hat grundsätzliche Bedeutung, weil sie den Tendenzen zur Geringschätzung der Pressefreiheit entgegentritt. "Die Presseberichte", so schreibt das Kammergericht, "mögen für den Antragsteller lästig und unangenehm sein." Es sei nachvollziehbar, dass Hüber gerade in seiner heutigen Funktion nicht an seine Tätigkeit als Offizier der DDR-Grenztruppen erinnert werden möchte. Dennoch könne er "nicht ihm missliebige Kritik unterbinden".

Das Gericht erkannte, dass gerade der Versuch des Ex-Oberleutnants, nur ihm genehme Darstellungen zu erlauben, ein besonderes öffentliches Interesse begründe - "zum einen wegen der drohenden Beschränkung der Meinungsfreiheit, zum anderen wegen des Versuchs, auf diese Weise auf eine Darstellung der jüngsten deutschen Geschichte in der Öffentlichkeit Einfluss zu nehmen".

Pressefreiheit ist, wie die Geschichte dieses Prozesses zeigt, kein gesicherter Bestand. Sie ist nicht einfach da, sie bleibt nicht einfach da; sie braucht ihre Hüter. Pressefreiheit ist und bleibt eine Sache der Aufklärung - auch über die jüngere deutsche Geschichte. Unterlassungsverfügungen dürfen einer substantiellen Aufklärung nicht die Basis entziehen. Das Urteil das Kammergerichts, das dies bestätigt, trägt das Aktenzeichen 9U 88/06.

© SZ vom 18.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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