Kai Diekmann: Buch über 68er:Die Rache des Kulturministers

Bild-Chef Diekmann holt zur Abrechnung mit den 68ern aus - und bekommt die Klauen des Ex-Kulturstaatsministers Michael Naumann zu spüren.

Thorsten Denkler, Berlin

Es sollte natürlich auf ihn zurückstrahlen, auf den großen Chef der Bild-Zeitung. Dass Kai Diekmann tatsächlich die Größe besessen hat, seinen schärfsten Kritiker als Laudator einzuladen, um sein Buch vorzustellen. Das sollte alles andere sein als "Der große Selbstbetrug", wie Diekmanns Buch heißt, das im ehrwürdigen Piper-Verlag erschienen ist.

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Auf Schirrmachers Spuren: Auch der Chefredakteur der "Bild"-Zeitung hat sich nun auf 240 Seiten Gedanken über die Zukunft der Deutschen gemacht. Neben dem Autor der SPD-Spitzenkandidat für Hamburg, Michael Naumann, der das Buch mit Diekmann vorstellen wird.

(Foto: Foto: dpa)

An anderer Stelle würde man vielleicht schreiben: Diekmann will einen Beitrag zum 68er-Diskurs leisten. Oder: Es handelt sich um eine kritische Betrachtung der Generation 68. Ist es aber nicht. Dieses Buch ist eine Abrechnung mit den Protestlern und Demonstranten von damals. Und Michael Naumann ist auf Diekmanns Einladung hin gekommen, um Rache zu nehmen in seiner Laudatio.

Man muss wissen: Das Verhältnis zwischen Bild und Naumann, dem ehemaligen Zeit-Herausgeber und Kulturstaatsminister, der jetzt als Spitzenkandidat der Hamburger SPD zur Bürgerschaftswahl 2008 antritt, ist weit unter dem angesiedelt, was man gemeinhin noch als respektvoll bezeichnen würde. Naumann hat es mal als gegenseitige "nackte Verachtung" charakterisiert. In seiner Zeit-Kolumne hat er Bild bereits 2004 als das "Geschlechtsteil der deutschen Massenmedien" beschrieben.

Er hat davon in diesen Tagen nicht viel zurückzunehmen. Was auch damit zu tun haben kann, dass es die Bild-Zeitung geschafft hat, den hanseatischen Spitzenkandidaten der SPD in acht Monaten kaum einmal namentlich zu erwähnen.

Aber Naumann hat die Einladung tatsächlich angenommen, Diekmanns Buch im Berliner Edelrestaurant "Sale e Tabacchi" vorzustellen - oder sagen wir, seine sehr spezielle Sicht auf das Buch darzulegen.

Der Chefredakteur, der zum Buchautor wurde, hat den Ort wohl gewählt. Das Lokal ist im Erdgeschoss der taz untergebracht, jener "einzig ernstzunehmenden Boulevardzeitung" neben der Bild, wie Diekmann versichert.

Diekmann in der selbstgebastelten Höhle des Löwen

Die taz sitzt neuerdings auch nicht mehr in der Kochstraße. Dank einer taz-Kampagne wurde sie nach dem Studentenführer der 68er in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt. Noch ein Grund, an diesem Abend hierherzukommen.

Der Verlag hat die Buchpräsentation als Toskana-Abend angekündigt. Wie Diekmann sagt, als Hinweis auf die Toskana-Fraktion der SPD, angeführt von Alt-Kanzler Gerhard Schröder. Auf den Stehtischen sind - ganz toskanisch -angeordnet: Rote Kerzenlichter, Prosecco als Aperitif, italienischer Wein, Antipasti.

Wenn sich Diekmann in diese selbstgebastelte Höhle des Löwen gewagt hat, dann ist Naumann an diesem Abend der Löwe, dazu auserkoren, den gegelten Eindringling intellektuell zu zerfleischen.

Kai Diekmann, rosa Hemd unter dem schwarzen Sakko, tritt ans Mikrofon. Links hinter ihm steht Naumann, den Unterarm auf den Tisch mit den Freiexemplaren des Buches gestützt, und beäugt den Mann, den er wohl am liebsten aus der journalistischen Landschaft verbannen lassen würde.

Die Gästezahl ist überschaubar. Es sind keine 50 an der Zahl, aber es handelt sich durchaus um eine illustre Mischung. Diekmanns Frau Katja Kessler im Smalltalk mit der Frühstücksfernsehen-Figur Cherno Jobatey, der Plakatkünstler und Alt-Linke Klaus Staeck im Gespräch mit Schröders Regierungssprecher und Ex-Bild-Mann Bela Anda. Mit dabei auch die führenden freien Mitarbeiter der Bild: Georg Gafron und Hugo Müller-Vogg sowie der Chef-Briefeschreiber Franz-Josef Wagner.

Diekmann hebt an zur Abrechnung. Völlig steif vor Gel, das Entenschwänzchen dort, wo andere Männer ehrlicherweise einen Zopf tragen würden. Er liest das Schlusskapitel seines Buches: "Lob der Achtundsechziger". Ein Kapitel einfachster Wahrheiten. Politisch, resümiert er da, seien die 68er "komplett gescheitert". Ästhetisch seien sie ebensowenig ein Gewinn gewesen. Nackte Glühbirnen, ein paar Poster an den Wänden, "häusliche Selbstdarstellung als Kombination von Flohmarkt und Einzelzelle".

Auf der nächsten Seite: Naumanns Replik auf Diekmanns Thesen.

Trostlos sei auch die Kleidung gewesen. Parka, Poncho, Palästinensertuch. "Kein Arbeiter ist so rumgelaufen." Da sei "mangelnde Hygiene als Ausdruck innerer Werte verstanden" worden. Nur ein paar wenige seien es gewesen, die irgendwann genug gehabt hätten von der "blöden Solidarität mit den Kaffee-, Baumwoll- und Bananenpflückern dieser Welt."

Naumann wird dem später entgegenhalten, dass sich "Lebensgefühle nicht im Springer-Bildarchiv rekonstruieren lassen". Er gestehe aber ein, dass "die Leichtigkeit des Koma-Saufens damals noch unerkannt war."

Dank vom Boulevard-Mann für ausgehängte Toilettentüren

Wenn überhaupt etwas von den 68ern hängengeblieben sei, fährt Diekmann "mit heißem Herzen" (Klappentext) fort, dann die Öffnung des Privaten. Schon in der Kommune I seien die Toilettentüren ausgehängt worden, erinnert Diekmann. Als Boulevard-Mann ist er "zumindest in dieser Hinsicht den 68ern zu Dank verpflichtet."

Michael Naumann steht während der Lesung aus dem 13. Kapitel ungerührt am Büchertisch und knetet seine Brillenfassung. Mal lächelt er, wie er einem armen Mann zulächeln würde, der das Alphabet nicht beherrscht. Mal schüttelt er den Kopf, wie er es wohl bei einem Kind machen würde, das sich zum ersten Mal darin versucht, Marmelade gleichmäßig auf dem Butterbrot zu verstreichen.

Bis er endlich selbst an der Reihe ist. Zwei Dinge hätten ihn bewogen, die auch für ihn überraschende Einladung anzunehmen: Zum einen eine "gewisse Rachsucht", zum anderen der Wunsch, herauszufinden, welche Geisteshaltung in und hinter diesem Mann stecke, dessen Blatt er derart anstößig finde, dass er bisher "nicht danach drängte, in der Bild-Zeitung aufzutauchen". Naumanns Ergebnis: Das Buch sei eine "Selbstenthüllung auf 254 Seiten".

Naumann zieht sein Manuskript aus der Innentasche seines Jacketts. Er hat sich durchaus die Mühe gemacht, sich intellektuell mit Diekmanns Thesen auseinanderzusetzen und schält eine gewisse "Verantwortungsdiffusion" heraus. Bei Diekmann seien die 68er die Generalschuldigen für alles. Das Ende der deutschen Sittlichkeit, der Niedergang des Religiösen, Kinderfeindlichkeit und Globalisierung. "Auf ihr Konto geht einfach alles". Die 68er und mit ihnen die Gutmenschen hätten, laut Diekmann, "dem Land die Zukunft genommen".

Der SDS und die Folgen

Naumann rechnet vor, dass ein angeblicher Haupttäter wie der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) "auf seinem Höhepunkt nicht mehr als 2000 Mitglieder" hatte, und dass die größte Demo nach dem Tod von Rudi Dutschke stattgefunden habe, mit gerade mal 70.000 Teilnehmern.

Wenn stimme, was Diekmann schreibe, dann müssten diese wenigen auf die bundesrepublikanische Mehrheitsgesellschaft eine geradezu "heroische Wirkungsmacht" gehabt haben. Aber: "Irgendjemand muss ja schuld haben."

Der Defekt des publizierenden Konservatismus, analysiert Naumann, "ist die fatale Nähe zum Populismus". Diekmann argumentiere mal mit dem großen Wir derer, die sich vom Staat entmündigen lassen, mal mit dem kleinen Wir derer, die sich nach einem Führer sehnen. "Es wird nicht so klar, welches Wir er von Kapitel zu Kapitel bevorzugt", sagt Naumann. "Aber das ist ja der Vorzug des Populismus: Gemeint sind immer die anderen."

In diesem Populismus gebe es "offenbar eine typographische Art zu denken. In Betonschrift gewissermaßen." Immer lässt sie sich nicht entschlüsseln. "Die Welt von Kai Diekmann", schließt Naumann, "ist voller Rätsel".

Naumanns Rede hat den Bild-Chef und den "Schöngeist" (Bild über Naumann) einander wohl nicht näher gebracht. Beide tauschen nach dem gelungenen Rachefeldzug Naumanns noch ein paar Höflichkeiten aus. Auf Bitten Diekmanns überreicht Naumann ihm sein Redemanuskript.

Der Bild-Chefredakteur hat jetzt Gelegenheit, wahre Größe zu zeigen. Er kann das Manuskript des Laudators einfach der zweiten Auflage seines Buches als Vorwort voranstellen.

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