Käthe-Kollwitz-Ausstellung:Vom Leben der Hände

Sie war engagiert, dem Sozialismus zugeneigt, Pazifistin. Und eine großartige Grafikerin. Das zeigt nun eine Ausstellung über Käthe Kollwitz im Dresdner Kupferstichkabinett.

Von Jürgen Müller

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Frau mit Orange, 1901. Druck von Kupferplatte und orange eingefärbtem Lithostein.

(Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

Es ist, als müssten sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnen. In den Radierungen von Käthe Kollwitz erscheint die Welt erst nach und nach. Drei Arbeiter sitzen an einem spärlich beleuchteten Wirtshaustisch und sind nur schemenhaft zu erkennen. Mysteriös sind die Schatten in einem Blatt der Bauernkriegsserie, das einen dengelnden Mann zeigt. Er hat die Sense vors Gesicht genommen, und es dauert einen Moment, bis man alle Details entdeckt hat.

In solchen Arbeiten orientiert sich die Künstlerin unverkennbar am Vorbild Rembrandts. Am deutlichsten ist das vielleicht in ihrem um 1893 entstandenen Selbstbildnis, das auf eine späte Arbeit des Niederländers verweist. Aufmerksam schaut sie in Richtung des Betrachters, das Licht hebt ihre rechte Gesichtshälfte hervor. Zwei Lichtflecken sind auf ihrer Hand erkennbar, welche die Radierplatte hält. Kollwitz zeigt in ihren druckgrafischen Arbeiten, dass die gegenständliche Welt zugleich im Erscheinen und im Verschwinden begriffen ist. Nichts ist von Dauer. Kunst bleibt eine Anstrengung gegen die Zeit.

Ihre Themen: Weberaufstand, Bauernkriege, Zolas "Germinal"

Die anlässlich ihres 150. Geburtstags elegant eingerichtete Ausstellung im Dresdner Kupferstichkabinett macht vor allem deutlich, mit welch brillanter Grafikerin wir es zu tun haben. Kollwitz ist die Gestalterin großer Serien zum Weberaufstand, zu den Bauernkriegen und zu Émile Zolas sozialkritischem Roman "Germinal". Zugleich hat sie in ihren Werken nie einen Hehl aus ihrer Sympathie für die französische Revolution und den Sozialismus gemacht und sich mit ihrer Kunst als entschiedene Kriegsgegnerin und Pazifistin engagiert. So ist es verständlich, dass sich in der Wahrnehmung ihrer Kunst das Was vor das Wie geschoben hat. Die handwerkliche Souveränität der Käthe Kollwitz wird oft übersehen.

Im Kupferstichkabinett entdeckt man nun eine experimentierfreudige Grafikerin, die sich nicht nur an Rembrandts Radierungen, sondern auch an Max Klingers symbolistischen Werken und an Arbeiten von Anders Zorn und Edvard Munch orientiert. Max Lehrs, der Direktor des Kupferstichkabinetts bis in die Mitte der Zwanzigerjahre, begann frühzeitig, Arbeiten von Kollwitz zu sammeln. Sie war in seinen Augen die "stärkste Persönlichkeit auf grafischem Gebiete". Die Künstlerin und der Kunsthistoriker blieben zeit ihres Lebens in engem Austausch, und Kollwitz erwies sich dem Kabinett gegenüber als besonders großzügig. In der Ausstellung sind ihre Werke im Dialog mit Arbeiten anderer zu sehen, vor allem mit Werken der zeitgenössischen Künstlerin Marlene Dumas.

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Käthe Kollwitz: Selbstbildnis nach halbrechts, um 1890.

(Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden)

Die Dresdner Schau zeigt viele Arbeiten aus eigenen Beständen. Beeindruckend sind die radierten Studienblätter, die auf demselben Blatt Hände in unterschiedlichen Positionen oder Gesichter zeigen, ohne dass sich dies zu einer Geschichte verbindet. Auch die grafischen Farbexperimente überzeugen, etwa wenn Kupferplatte und Lithostein gleichermaßen zum Einsatz kommen, um eine junge Frau mit einer leuchtenden Orange zu zeigen. Dabei findet die Farbe auf Gesicht, Wange und Lippen ein Echo. Und man glaubt ein Lächeln in dem Gesicht zu entdecken, als würde man sich eines Sommertages erinnern, an den süßen Geschmack dieser Frucht.

Als Kollwitz' Sohn Peter in der ersten Flandernschlacht im Jahr 1914 stirbt, ändert sich ihre Kunst. Sie wird monumentaler und direkter. Schrift kommt zum Einsatz. Blockhaft erscheinen die Figuren, verlieren ihre Individualität. Hände beginnen ein Eigenleben zu führen - Metaphern der Zuwendung und Hilfsbereitschaft. Diese Arbeiten führen eindringlich vor Augen, dass Solidarität keiner großen Theorie bedarf, sondern aus Handeln besteht.

Mit den vielen in der Ausstellung gezeigten Selbstbildnissen, die von 1890 bis in die Dreißigerjahre reichen, gehen die Betrachter durch ein Leben. Der aufmerksame Blick und die an die Stirn geführte Hand werden gleichsam zu Markenzeichen. Unübersehbar ist der Ernst dieser Werke, und ihre Würde. In der Ausstellung glaubt man zu begreifen, wie Würde beansprucht, eine eigene Schönheit zu sein, eine Selbstbehauptung des Menschen in der Zeit.

Käthe Kollwitz im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, bis 14. Januar. Info: www.skd.museum

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