"Käthchen von Heilbronn" in München:Spielen, um zu überleben

"Käthchen von Heilbronn" in München: Die Figuren überleben den Autor: Im Vordergrund liegt Vincent zur Linden, der hier Heinrich von Kleist und das Käthchen spielt, dahinter das Personal der Aufführung.

Die Figuren überleben den Autor: Im Vordergrund liegt Vincent zur Linden, der hier Heinrich von Kleist und das Käthchen spielt, dahinter das Personal der Aufführung.

(Foto: Sandra Then)

Elsa-Sophie Jach inszeniert am Münchner Residenztheater Kleists "Käthchen von Heilbronn", verwebt das mit einem Text von Christa Wolf, droht fast zu scheitern, triumphiert aber letztlich.

Von Egbert Tholl

Elsa-Sophie Jach zog es mit Macht zum Theater. Als Kind sang sie im Chor und tanzte Ballett, als Jugendliche machte sie ein Praktikum am Schauspiel Hannover, da breitete sich der Bühnenvirus in ihr aus, sie übersprang in der Schule eine Klasse, um schneller dorthin zu gelangen, wo sie jetzt ist. Zuvor studierte sie noch szenisches Schreiben, Literatur, Philosophie, Regie - nun ist sie Hausregisseurin am Münchner Residenztheater, mit 31. Und inszenierte dort, im Cuvilliéstheater, Heinrich von Kleists "Käthchen von Heilbronn" -nicht ihre erste Arbeit am Bayerischen Staatsschauspiel.

Manch' Münchner Theaterbesucher wird sich noch ans "Käthchen" am selben Haus, allerdings auf der großen Bühne erinnern. Als Abschied vom Staatsschauspiel inszenierte dort Dieter Dorn 2011 das Kleist-Stück, ohne auch nur ein Komma zu streichen. Wer das damals miterlebte, würde den Stoff keiner jungen Regisseurin anempfehlen. Aber Jach ist furchtlos, um keinen Einfall verlegen und außerdem fast erschreckend belesen. Das führt nun dazu, dass es erst einmal nicht Kleist zu hören gibt, sondern eine fiktive Fantasie über diesen. Christa Wolf schrieb 1979 "Kein Ort. Nirgends", erfand in der Erzählung eine Begegnung zwischen Kleist und der Dichterin Karoline von Günderrode in einem Salon bei Kaffee und Kuchen; beide schieden später freiwillig, aber nicht gemeinsam aus dem Leben, die Taten waren um Jahre voneinander getrennt.

Wolf erfindet hier viele Mutmaßungen über Kleists Innenleben, die letztlich metaphorisch vom Künstlerdasein in der DDR erzählen, klug, gestelzt, schwülstig. Kleist sucht Freiheit für sein Schreiben, Broterwerb ist ihm zuwider, er fühlt sich gefangen in einem unlebbaren Leben, kein Ort ist dem Rastlosen recht, nirgends.

Mit Lust überwindet Jach ihre eigene, trübselige Setzung

Die Tischrunde setzt Jach dem Publikum erst einmal voraussetzungslos in einem Live-Video vor, man sieht eine penibel ausstaffierte, illustre Gesellschaft, die viel reden muss, ohne dass man folgen könnte, die Sätze wirken aufgesagt, weder gedacht, noch gefühlt, aber mit Emphase wiedergegeben. Das geht eine Viertelstunde lang so, dann öffnet sich die Bühne ein wenig, man sieht als Schattenspiel das ewig lange und stets aberwitzige Femegericht, in dem der Graf Ritter von Strahl sich gegen die Vorwürfe von Käthchens Vater erwehren muss (was er auch leicht kann), dessen Kind verführt, verzogen, verzaubert zu haben. Nach insgesamt knapp einer halben Stunde, in der man die Inszenierung schon verloren glaubt, tritt das nach wie vor lustig gewandete Spielpersonal nun leibhaftig hervor. Man kann sich das wie eine Umsetzung von Platons "Höhlengleichnis" denken - und schon ereignet sich schönstes, direktes Theater. Blöderweise aber gibt Jach ihre Lektürefunde so schnell nicht preis, Christa Wolf kommt wieder, im Gepäck Briefe von Kleist und Texte der Günderrode - lähmende Interventionen in eine rasante Kleist-Show.

Deren Ziel ist klar: Aus Kleist trübseligem Hadern, wie es Wolf aufschrieb, schält sich als Lösung die Tat heraus, also das Stück, in dem bei Jach Kleist das Käthchen gleich selbst spielt. Und Vincent zu Linden ist darin einfach nur wundervoll, schwärmerisch, jugendlich, leuchtend. Das Käthchen, wie Kleist es sah, sieht im Graf von Strahl den ihr von höheren Bestimmungen Zugewiesenen, der sieht das lange anders, fühlt sich verfolgt, bis das Träumen und Sehnen ein glückliches Ende findet. Dazu treten auf: missgünstige Rhein- und Burg- und sonstige Grafen, hilfreiche Knechte und die per se garstige Kunigunde, der das Leben nicht sehr freundlich mitspielt und die ihre Zuneigung gerne dorthin verschwände, wo es ihr etwas hülfe, aber klappen tut das nicht, worauf Vassilissa Reznikoff mit einem trotzigen Song reagiert.

"Käthchen von Heilbronn" in München: Heinrich von Kleist (Vincent zur Linden) und seine Schwester im Geiste Karoline von Günderrode (Linda Blümchen).

Heinrich von Kleist (Vincent zur Linden) und seine Schwester im Geiste Karoline von Günderrode (Linda Blümchen).

(Foto: Sandra Then)

Kleist schüttelt also das von ihm erfundene Käthchen, die poetische und poetologische Lähmung ab, die Bühne dreht sich, auf ihr stählerne Rutschbahnen und eine grüne, gläserne Burg in der Anmutung einer Kathedrale (Bühne: Marlene Lockemann). Drei Musiker sitzen herum, spielen, was Samuel Wootton komponierte, ulkiges Zeug, elektrisches Wabern, aber auch echte, ganz tolle Songs, Schlager-Amalgam oder eine Art Neo-Neuedeutschewelle. Spätestens, wenn Liliane Amuat auf einem Apfelschimmel fliegend das Lied "Liebesblick" singt, perfromt, ausstrahlt mit herrlichem Witz, hebt die Aufführung ab, hält dann auch Günderrodes Wiederkehren locker aus, zumal es faszierend zu beobachten ist, wie vollkommen sich Linda Blümchen wandeln kann, spielt sie die Günderrode oder eine Kleistsche Zofe.

Jach hat ein stupendes Gespür für Szenenwechsel, für Schauspieler wie Moritz Treuenfels, Florian Jahr oder Simon Zagermann; das Bühnenleben prunkt gegen die implantierte Trübsal an, wird sie zwar nie ganz los, aber dennoch macht hier eine verschworene Bande zusammen lustvoll Theater.

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