Kabarettist Urban Priol:Zwischen Clownerie und brutaler Schärfe

Kabarettist Urban Priol

Urban Priol bescherte München am Donnerstag einen fast dreistündigen Lach-Marathon mit seinem Kabarett-Programm "Jetzt".

(Foto: dpa)

Nach der TV-Show ist vor der angekurbelten Bühnenkarriere: Kein Wort verliert Urban Priol im voll besetzten Münchner Circus Krone über den Ausstieg aus der beliebten Satiresendung "Neues aus der Anstalt". Stattdessen wettert er drei Stunden fast ohne Unterlass über die Welt. Und beleidigt Bayern wie Journalisten.

Von Ruth Schneeberger

Die Fans sind schwer enttäuscht: Urban Priol verlässt die "Anstalt". Die erfolgreichste Satiresendung im TV muss künftig ohne den Anstaltsleiter, der von Anfang an dabei war, und auch ohne seinen "Sprecher", Erwin Pelzig, auskommen. Von Februar an übernehmen Max Uthoff und Claus von Wagner das Format.

Sie seien im Guten gegangen, es habe keinen Ärger mit dem ZDF gegeben, es sei nur einfach an der Zeit, etwas Neues zu wagen, hatten die beiden scheidenden Kabarettisten verlauten lassen. Ein paar mehr Details hatte wohl auch ein Teil des Publikums erwartet, das den Circus Krone am Donnerstag bis auf den letzten Platz füllte. Doch auch sie wurden enttäuscht: Kein Wort verlor Priol bei seinem Auftritt in München über sein Ausscheiden aus der Sendung.

Gar nicht enttäuscht hingegen wurden sie von seinem fast dreistündigen überaus komischen Ritt durch die wirtschaftlichen und politischen Instanzen. Dabei wetterte der Unterfranke ohne Unterlass und mit nur einer kurzen Unterbrechung nicht nur gegen die üblichen Verdächtigen (Merkel, Seehofer, FDP), sondern auch ordentlich gegen die Bayern.

In Bayern ist eh alles egal

Bezogen auf das Wahlverhalten stänkerte er: "In Bayern ist eh alles egal. Da stellst Du einen Besenstiel hin, lackierst ihn weiß-blau, schreibst CSU dran - das langt." Er kenne das, er sei als Unterfranke immer schon "bei den Losern" gewesen. Diese gezielte Attacke gefiel nicht allen im Publikum, das vorher noch lautstarke Lachen alle paar Minuten wurde deutlich leiser. Da brauchte es schon einen Fußball-Witz, um die Stimmung wieder aufzuhellen.

Doch er legte nach: Horst Seehofer habe als zweitbrutalstmöglicher Aufklärer nach Roland Koch vor der Wahl verlauten lassen, er werde die Verwandtschaftsaffäre der CSU gnadenlos verfolgen. "Bis in den vierten Verwandtschaftsgrad hinein - das wird schwierig in Bayern, gerade im inzestuösen ländlichen Bereich." Auch eher zurückhaltendes Lachen im Saal.

Grüße an Hildebrandt

Daraufhin wurde Priol etwas versöhnlicher. Er habe ja von Dieter Hildebrandt erfahren (dem er im Übrigen die besten Genesungswünsche schicke, er wisse aber, es gehe voran), wie sich das mit den CSU-Wählern in Bayern wirklich verhalte: "Die Schnur am Bleistift ist zu kurz." Deshalb könne in bayerischen Wahlkabinen das Kreuzchen immer nur an der ersten und obersten Stelle gemacht werden. "Man hat schon Leute beobachtet, die die Wahlkabine nach vorne schieben wollten - seitdem werden die verschraubt." Da wird das Lachen wieder lauter. Es steigt mit jedem bayrischen Minister an, den er aus Seehofers neuem Kabinett verulkt: Die "Aigners Ilse" müsse nur im Voralpenland eine Kuh streicheln, dann sei das Wahlergebnis schon gesichert. Und "Frau Merk darf jetzt beweisen, dass sie nach Justiz auch Europa nicht kann." Mit dem Fall Mollath, wenn auch nur ganz am Rande erwähnt, da schießt er in Bayern natürlich ein Tor.

Zu guter letzt: Er habe sich das aktuelle Wahlergebnis in Bayern angesehen. Die Aussage von Seehofer, dass jeder zweite Bayer CSU gewählt habe, stimme nicht: "Bei 64 Prozent Wahlbeteiligung beträgt das, Netto vom Brutto, gerade mal 30 Prozent! 30 Prozent der Bayern wollten die CSU wiederhaben - 70 Prozent wollten mit dieser Sippenversorgungspartei im Maximilianeum nichts mehr zu tun haben. Dann bin ich ja doch bei den Gewinnern!" Da war er mit dem Publikum wieder versöhnt. Und das, obwohl er anfangs verkündet hatte: "Ich klinge ein bisschen vernäselt. Das liegt an einem 24-Stunden-Turbo-Magen-Darm-Virus, den ich gerade hatte. Sie in den ersten beiden Reihen werden in den nächsten Tagen merken, was das alles mit Ihnen macht."

Was es zu Journalisten zu sagen gibt

Als der 52-Jährige im Anschluss kräftig über Journalisten lästerte, war die Stimmung wieder auf dem Höhepunkt: Als "Aufbauhilfe für die FDP" habe die Bild-Zeitung vor der Wahl fast jeden Tag einen neuen "Schleimartikel" von Hugo Müller-Vogg gebracht, "dem ehemaligen Enddarmbewohner der Kanzlerin". Als bei Springer vor acht Jahren klargewesen sei, "die Kanzlerin ist durch", habe man Müller-Vogg "aus der Kanzlerin abgezogen und in die FDP eingenistet." Und weiter: "In der Kanzlerin wohnt jetzt Nikolaus Blome. Hauptstadtchef der Bild-Zeitung, der jetzt zum Spiegel wechselt." Damit verkümmere das "ehemalige Sturmgeschütz der Demokratie zum feuchtgewordenen Zündblättchen des boulevardesken Kanzleramts". Blome teile sich den Platz mit Patricia Riekel von der Bunten und Jörg Quoos, einst Mitglied der Chefredaktion bei Bild und jetzt Chefredakteur beim Focus. "Sollte irgendwann trotzdem ein kritischer Halbsatz über unsere Regentin fallen, dann schaut auch noch Helmut Markwort kurz im Rektum vorbei. Das ist dann aber schon nahe an der Überdehnung. Vielleicht schreibt Charlotte Roche mal einen Roman darüber."

Humoristischer Gewaltmarsch

Bei diesem humoristischen Gewaltmarsch flippt das Publikum fast aus vor Begeisterung. Und in der Tat: Der Komödiant mit dem wirren Haaransatz und dem quietschbunten Comic-Hemd ist nur vorgeblich der lustige Clown. Über weite Strecken seines Programms (das in Teilen schon bei seinem letzten Anstalts-Auftritt zu hören war) gibt er den an der vor allem im sozialen Bereich versagenden Kaste der Regierenden verzweifelnden Demokraten, der zur Beruhigung Yoga-Übungen machen muss. Mancher von ihm karikierter Politiker wirkt mit nur ein paar ausladenden Handbewegungen echter - und sympathischer - als das Original. Die meisten Pointen treffen zielsicher, sind nicht dumm und trotzdem sehr eingängig.

Doch an manchen Stellen blitzt es auf, dass hinter der lustigen Fassade mehr steckt als aufklärerisches Entertainment. Einst hatte er sich bei einem Auftritt in München gewünscht, Rainer Brüderle würde gekidnappt werden - allerdings würde der sowieso wieder freiwillig freigelassen. Für diese vermeintliche Verharmlosung der RAF wurde er von Kritikern damals hart angegangen. Und auch jetzt kommen - wenn man ganz genau hinhört - ab und zu Wünsche durch, die mit Waffengewalt zu tun haben. Eltern, deren Kinder unter G 8 leiden würden, hätten manchmal gerne eine G 3, um es denen zu zeigen, die das verbrochen hätten, sagt er. Johlender Applaus.

Lieblingsopfer Merkel

Oder: "Gesucht wird eine leicht untersetzte Frau mittleren Alters", hätte er gerne von Eduard Zimmermann gehört, wenn der noch leben würde: "Als Angela Merkel am 22. September abends ihr Büro verlässt, weiß sie noch nicht, was sie erwartet ...", parodiert er die berühmte Aktenzeichen-XY-Stimme. Zuvor hat er zwar noch betont, er mache sich Sorgen um die Kanzlerin. Der letzte vernehmbare Satz von ihr sei vor der Wahl gefallen, seitdem sei sie "abgetaucht". Doch wer weiß, wie sehr er sich an Merkel festgebissen hat, der kann sich auch weniger harmlose Interpretationen dieses Späßchens vorstellen.

Es ist wohl diese Mischung aus vorgeblich harmlosem Polit-Kabarett-Clown, unterstrichen durch sein Bühnenkostüm, und manchmal durchklingender brutaler Schärfe, für die ihn sein Publikum so verehrt. Und fast drei Stunden Wettern, das muss man erst mal schaffen. Urban Priol scheint das, trotz gerade überstandenem Darmvirus, sogar noch besser zu vertragen als seine Zuschauer, von denen manche kurz vor Schluss allein aus Kraftgründen nicht mehr können - und gehen. Der Kabarettist selbst hingegen wirkt nach der Show genauso frisch wie vorher. Womöglich ist der Auftritt für ihn die beste Therapie.

Für Herbst 2014 soll das ZDF übrigens eine neue Priol-Show planen. Ob mit oder ohne Partner, steht noch nicht fest.

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